I.
Über die Frage der Auserwählung ist schon viel geredet und geschrieben worden, Gutes und Schlechtes. Wenn wir sie heute noch einmal behandeln, so geschieht es in dem Wunsche, wirklich beunruhigten Seelen zu Hilfe zu kommen, nicht aber um die verschiedenen Meinungen der Menschen über die Gnadenwahl zu untersuchen.
Vor Jahren wandte sich jemand, der durch die genannte Frage in große Unruhe gekommen war, an einen inzwischen Heimgegangenen Diener des Herrn (C. H. Mackintosh, den bekannten Schreiber der Betrachtungen über die fünf Bücher Mose.) mit der Bitte um Aufklärung. Diese wurde ihm gegeben. Die nachstehenden Ausführungen enthalten nun in den beiden ersten Teilen die in der Antwort entwickelten Gedanken in umgearbeiteter Form, während der letzte Teil ganz neu geschrieben wurde.
Der Inhalt des Briefes selbst ist ein so treffendes Beispiel von den Fragen und Kämpfen solch beunruhigter Seelen, dass er hier eine Stelle finden möge. Er lautet:
„Ich bin sehr unglücklich wegen der Frage der Auserwählung. Ich weiß, dass ich ein Sünder und als solcher hoffnungslos verloren bin, denn in mir ist nichts, was Gott anerkennen könnte. Doch ich möchte meiner Errettung gewiss werden. Der Gedanke, dass ich Zurückbleiben müsste, wenn der Herr kommt, um die Seinigen zu sich zu nehmen, erfüllt mich mit großer Furcht. Ich weiß, dass die Schrift sagt: „Glaube an den Herrn Jesus, um errettet zu werden", aber es ist mir gesagt worden, es sei nicht schriftgemäß zu behaupten: Christus ist für die Sünden aller Menschen gestorben. Wenn Er aber nicht für alle gestorben ist, wie kann ich dann glauben, dass Er für mich persönlich gestorben ist, oder, mit anderen Worten, wie kann ich wissen, dass ich auserwählt bin? Ich kann doch nicht glauben, ohne einen festen Grund zu haben, auf dem mein Glaube ruhen kann; und wenn Christus nicht für mich gestorben ist, wie könnte ich das dann glauben? Es wäre ja nutzlos! O wenn Sie wüssten, wie sehr ich beunruhigt bin! Ich glaube. Sie würden mit mir fühlen und versuchen, mir zu antworten.
Was ich zu wissen wünsche ist also: Wie kann jemand wissen, dass der Herr Jesus Christus für ihn persönlich gestorben ist, wenn er gar nichts in sich findet, was dieses wahrscheinlich macht? Während ich dies schreibe, fühle ich, wie hoffnungslos es ist, weiter darüber zu grübeln. Ich bin der Verzweiflung nahe, weil ich schon lange Zeit so dahingegangen bin, und doch habe ich alle die Jahre bekannt, ein Christ zu sein...Ich fürchte, ich gleiche dem Lande, von dem es in Hebr. b, 8 heißt, dass es nur Dornen und Disteln hervorbringt. Wenn Sie glauben, dass es doch noch Hoffnung für mich gibt, dann, bitte, versuchen Sie mir zu helfen!"
Wie beklagenswert ist doch ein Mensch, der in einer solchen Verfassung jahrelang dahingeht! Man begegnet zwar nicht oft einem so tiefunglücklichen Seelenzustand, wie bei dem Schreiber dieses Briefes, dennoch gibt der Brief der unklaren inneren Stellung großer Scharen von Menschen Ausdruck. Wo liegt die Wurzel all der Verwirrung und Seelennot? Die Antwort ist einfach. Sie lautet:
In der Beschäftigung mit sich selbst.
Gibt es wohl irgend etwas Gutes in uns, das dem Herrn Jesus Veranlassung hätte geben können, für uns zu sterben? Nicht das Geringste! Diese Erkenntnis mag schmerzlich und demütigend sein, aber zu ihr muss man kommen. Früher oder später muss die erweckte Seele dahin gebracht werden, zu sagen: „Ich weiß, dass in mir, das ist in meinem Fleische, nichts Gutes wohnt". Mag auch das Wollen vorhanden sein, aber das Vollbringen dessen, was recht ist, fehlt. Für das Fleisch ist in der Schrift kein Heilmittel zu finden. Dem Schreiber des Briefes ist darum nicht zu helfen, solang er fragt: Wer kann mir helfen? Er muss dahin kommen, zu fragen: „Ich elender Mensch! wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes?" Der Herr Jesus ist nicht gekommen als ein Helfer für das Fleisch, sondern als der vollkommene Retter aus dem hoffnungslosen Zustand, in dem wir uns von Natur befinden. Sobald die Seele das im Glauben wirklich erfasst, ruft sie frohlockend aus: „Ich danke Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn!" Sie erkennt dann, dass Gott ihr durch Jesus Christus eine neue Natur, ewiges Leben und den Heiligen Geist geschenkt hat. (Vergl. Röm. 7, 18—25.)
Doch untersuchen wir die Schwierigkeiten des Briefschreibers ein wenig näher. Es ist sicher ein Zeichen der Wirksamkeit des Heiligen Geistes, wenn jemand in Aufrichtigkeit sagt: „Ich bin ein hoffnungslos verlorener Sünder". Das Bekenntnis ist überaus ernst, aber notwendig, denn nur für solche ist Jesus gestorben. Er kam, „zu suchen und zu erretten was verloren ist". — „Christus ist, da wir noch kraftlos waren, zur bestimmten Zeit für Gottlose gestorben." — „Ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war" — gerade das war die Freude des guten Hirten. Wenn also der Schreiber jenes Briefes oder ein Leser dieser Zeilen, der ähnliche Kämpfe kennt, erkannt hat, dass er verloren ist, kraftlos, gottlos, dann ist es nach der Schrift klar, dass Jesus für ihn gestorben ist. Er kam ja gerade, um solche zu suchen und zu erretten,
Dass der Herr wiederkommen wird, um die Seinigen zu sich zu nehmen, ist ebenso gewiss, und keine Feder könnte beschreiben, wie schrecklich es sein muss, dann als eine „törichte Jungfrau" erfunden und zurückgelassen zu werden. Es ist mehr als verständlich, dass jemand bei einer solchen Aussicht seiner Errettung völlig gewiss werden möchte. Zugleich aber beweist sein dringendes Verlangen und verzweifeltes Sehnen, wie es in seinem Innern steht. Ein selbstgerechter Mensch oder ein gleichgültiger Bekenner oder gar ein Ungläubiger redet niemals so. Sie alle beschäftigen sich nicht mit der Möglichkeit, zurückzubleiben, wenn der Herr kommt, glauben wohl überhaupt nicht einmal an die Erfüllung der Verheißung: „Ich komme bald", wenngleich der Herr sie im letzten Kapitel des Neuen Testamentes dreimal feierlich wiederholt.
Vielleicht geht es dem einen oder anderen gläubigen Leser dieser Zeilen ähnlich wie dem Briefschreiber; auch er fürchtet zurückzubleiben, wenn Jesus kommt. Einen solchen möchte ich fragen: Bist du als ein verlorener Sünder zu Jesu gekommen? Hast du einfältig an Ihn als deinen Heiland geglaubt? Wenn ja, so bist du errettet, und es ist dein seliges Vorrecht, „den Sohn Gottes aus den Himmeln zu erwarten, Jesus, der uns errettet von dem kommenden Zorn", (1. Thess. 1, 10.) Nicht weil du das fühlst, oder weil es etwas indir gibt, was Gott anerkennen könnte, sondern weil Jesus für dich gestorben ist, weil Der, an den du glaubst, den gerechten Zorn Gottes für dich getragen hat. Du bist ein Auserwählter.
Doch kommen wir noch einmal auf den Brief zurück. Der Schreiber sagt: „Ich weiß, dass die Bibel sagt: Glaube an den Herrn Jesus, um errettet zu werden". Aber, möchte ich zunächst fragen, ist das wirklich so? Nein, die Schrift sagt: „Glaube an den Herrn Jesus, und du wirst errettet werden". (Apstgsch. 1.6, ZI.) Ferner ist es nicht genug zu wissen, dass es so in der Bibelsteht; das wissen auch die bösen Geister und viele Ungläubige, aber es dient ihnen nur zum Gericht. Was dem Schreiber und jeder zagenden Seele zu wissen nottut, ist, dass Gott es sagt, dass „der lebendige und wahre Gott" in Seinem Worte so zu uns redet. Könnte Sein Zeugnis jemals trügen? „Wenn wir das Zeugnis der Menschen annehmen, das Zeugnis Gottes ist größer." Darum, wenn du an den Herrn Jesus glaubst, das Zeugnis Gottes über Seinen Sohn annimmst, so bist du errettet. Misstraust du dem Worte Gottes? Der Kerkermeister in Philippi hörte das Wort, und noch in derselben Nacht „frohlockte er, an Gott gläubig geworden, mit seinem ganzen Hause". Hat er wohl zagend und zweifelnd gefragt, ob er ein Auserwählter sei? Mache es wie er! Glaube und frohlocke! Warum solltest du noch zweifeln?
„Aber", sagt der Schreiber weiter, „ich habe sagen hören, es sei nicht schriftgemäß, zu behaupten, dass Christus für die Sünden aller Menschen gestorben sei, und wenn Er nicht für alle gestorben ist, wie kann ich dann glauben, dass Er für mich persönlich gestorben ist?" — Beachte wohl den Unterschied zwischen dem Vordersatz und dem Nachsatz. Es ist durchaus wahr, dass die Schrift nirgendwo sagt, dass Christus für die Sünden aller Menschen gestorben ist, mit anderen Worten, dass Er als Stellvertreter die Sünden aller Menschen getragen hat. Wohl aber sagt sie, dass Er für alle gestorben ist (2. Kor. 5, 14. 15), und dass Er sich selbst zum Lösegeld gab für alle. (1. Tim. 2, 6.) Darum haben auch die Jünger „in Seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden gepredigt allen Nationen, anfangend von Jerusalem". (Luk. 24, 47.) Der Apostel Petrus bezeugte zuerst den Juden und später den Heiden, dass „jeder, der an Ihn glaubt, Vergebung der Sünden empfängt durch Seinen Namen". Dieselbe frohe Botschaft brachte der Apostel Paulus den Bewohnern von Antiochien: „So sei es euch nun kund, Brüder, dass durch diesen euch Vergebung der Sünden verkündigt wird; und von allem, wovon ihr im Gesetz Moses nicht gerechtfertigt werden konntet, wird in diesem jeder Glaubende gerechtfertigt". (Apstgsch. 10, 43; 13, 38. 39.) Ja, er nennt sich einen Diener des Evangeliums, „das gepredigt worden in der ganzen Schöpfung, die unter dem Himmel ist".
Gott lässt also der ganzen Schöpfung, allen Menschen, die unter dem Himmel sind, Vergebung der Sünden verkündigen durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi, sodass es sich jetzt einfach um die Frage handelt: Glaubst du der Botschaft Gottes über Seinen Sohn? Tust du das, so ist es ganz gewiss, dass du von allem gerechtfertigt bist, was dich vor Gott verurteilen könnte. Gott selbst ist es dann, der dich rechtfertigt, ja, Er erweist Seine Gerechtigkeit darin, dass Er den rechtfertigt, der des Glaubens an Jesus ist. (Röm. 3, 26.)
Doch du wirst einwenden: Das ist alles gut und recht, aber wie kann ich wissen, dass Christus mein Stellvertreter im Gericht gewesen ist? Wenn Er es nicht für alle Menschen war, wie kann ich wissen, dass Er es war für meine Sünden? Zunächst möchte ich darauf erwidern: Wenn die Schrift lehrte, der Herr sei am Kreuze der Stellvertreter aller Menschen gewesen, so würdest du erst recht niemals deiner Errettung gewiss werden können. — Wie? — Ja, niemals. Das mag widerspruchsvoll klingen, ist es aber keineswegs. Nicht wahr? es ist eine unbestrittene Tatsache, dass viele Menschen nicht errettet werden. Wenn Christus also der Stellvertreter aller Menschen gewesen wäre und trotzdem viele von ihnen verloren gingen, so würde Sein Sterben dir keine unbedingte Sicherheit für deine Errettung bieten, du könntest ja trotzdem zu den Verlorenen gehören. Darum ist es ganz gewiss besser, aus das zu lauschen, was die Schrift sagt. Und sie sagt, dass „Christus einmal geopfert worden ist, um vieler (beachte es wohl: nicht „aller") Sünden zu tragen". (Heb 9, 28.) Der Herr sagt, dass Sein Blut für viele vergossen werden würde zur Vergebung der Sünden. (Matth. 26, 28; Mark. 14, 24.) Schon im Alten Testament wird gesagt, dass Er die Sünde vieler (nicht „aller") getragen habe. (Jes. 53, 12.) Ferner heißt es in Hebr. 10, 14, dass Er „mit einem Opfer auf immerdar vollkommen gemacht hat die geheiligt wer -. den" (niemand anders).
So redet die Schrift von dem kostbaren Opfer Christi für die Sünde, durch welches alle, die da glauben, eine ewige Erlösung empfangen. Auf ihm dürfen sie ruhen in voller Gewissheit des Glaubens, während die menschliche Lehre, dass Christus als Stellvertreter oder als Opfer für die Sünden aller Menschen gestorben sei, wie gesagt, nur Ungewissheit und Verwirrung erzeugt. Auf diese Lehre gründen sich letzten Endes auch alle die für so wichtig gehaltenen religiösen Übungen und kirchlichen Gebräuche der Menschen. Sie sollen sie über die Tatsache hinwegtäuschen, dass sie verloren sind und nur durch den Glauben an das Opfer Christi errettet werden können.
Vieles von diesem Wirrwarr in der Lehre ist wohl auf die Nichtbeachtung des Unterschiedes zwischen Sühnung und Stellvertretung zurückzuführen. Dieser Unterschied ist schon im Alten Testament klar ans Licht gestellt worden. Am großen Versöhnungstage (s. 3. Mose 16) herrschte folgende Ordnung: Zwei Böcke wurden vor Jehova gestellt, von denen der eine für Jehova, der andere für das Volk durchs Los bestimmt wurde. Der erste Bock wurde geschlachtet und sein Blut auf den Gnadenstuhl im Allerheiligsten gesprengt; auf den zweiten Bock, als stellvertretendes Opfer, wurden alle Sünden und Übertretungen des Volkes gelegt. Zuerst also finden wir Sühnung, dann Stellvertretung — beides, ohne Zweifel, hindeutend auf das eine Opfer Christi. Will Gott Gnade erweisen, so ist es notwendig, dass Seine Gerechtigkeit zunächst durch ein vollkommenes Sühnopfer befriedigt wird. Die Gnade kann nur herrschen durch Gerechtigkeit. Nur so kann Gott ein gerechter und rettender Gott sein. (Jes. 45, 21.)
Nun, genau so wie im Vorbilde der Bock, auf den das Los für Jehova gefallen war, geschlachtet und sein Blut ins Allerheiligste gebracht und auf den Sühndeckel vor Gottes Angesicht gesprengt wurde, so ist im Gegenbilde Christus geopfert worden, um durch Seinen Sühnungstod Gott im Blick auf die Sünde vollkommen zu verherrlichen. Sein Blut ist jetzt im Heiligtum, vor Gott, in seinem ewiggültigen Werte. Auf Grund dieses Blutes kann Gott in Langmut und Geduld die Welt tragen und ihr Gnade und Vergebung verkündigen lassen. Und der Apostel kann an die Römer schreiben, dass „Gott Ihn (Christus) dargestellt hat zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben an Sein Blut, zur Erweisung Seiner Gerechtigkeit wegen des Hingehenlassens der vorher geschehenen Sünder unter der Nachsicht Gottes; zur Erweisung Seiner Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit, dass Er gerecht sei und den rechtfertige, der des Glaubens an Jesus ist". (Röm. 3, 25. 26.) Ein Sühnungswerk ist geschehen, zu welchem alle, ohne Ausnahme, Zutritt haben.
In dieser Hinsicht ist also Christus für alle gestorben. „Also hat Gott die -Welt geliebt, dass Er Seinen eingeborenen Sohn gab." Das Sühnungswerk ist vollbracht, das Lösegeld ist bezahlt, und nun kann sich Gottes Gerechtigkeit offenbaren „durch Glauben an Jesus Christus gegen alle und auf alle, die da glauben". Sie wendet sich unterschiedslos gegen alle und kommt auf alle, die da glauben. Der Wert des Sühnungstodes unseres Herrn und Heilandes ist so groß, Sein Blut so kostbar, dass der Gnadenstuhl zugänglich ist für alle, ohne Ausnahme und Unterschied. „Also nun, wie es durch eine Übertretung gegen alle Menschen zur Verdammnis gereichte, so auch durch eine Gerechtigkeit gegen alle Menschen zur Rechtfertigung des Lebens." (Röm. 5, 18.) Da gibt es keinen Unterschied, „denn derselbe Herr von allen ist reich für alle, die Ihn anrufen". (Röm. 10, 12.) Der Apostel Johannes schreibt: „Er ist die Sühnung für unsere Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die ganze Welt". (1. Joh. 2, 2.) Beachten wir wiederum: nicht „für die Sünden der ganzen Welt", sondern „für die ganze Welt", d. h. niemand ist ausgeschlossen, alle, Juden und Heiden, dürfen kommen und Gebrauch von dieser Sühnung machen.
Wenn dem aber so ist, wenn auf Grund des Sühnungstodes Jesu Christi Gottes Gerechtigkeit sich jetzt darin offenbart, dass die frohe Botschaft der Gnade jedem Sünder auf der Erde gebracht wird — denn auch hierin gibt es keinen Unterschied: „alle haben gesündigt und erreichen die Herrlichkeit Gottes nicht", dann verkündigt offenbar die Gerechtigkeit Gottes dem Schreiber des Briefes die Vergebung aller seiner Sünden. Durch die Güte Gottes zur Buße geleitet, seine Schuld und seinen sündigen Zustand erkennend und bekennend, darf er mit Freimütigkeit Gebrauch machen von der in dem Tode Christi geoffenbarten Gnade. Da, wo Gott mit Wonne ruhet, ist auch er in Ruh' gesetzt. Dasselbe Sühnopfer, das Gottes Gerechtigkeit vollkommen verherrlicht und Seine gerechten Forderungen im Blick auf die Sünde für ewig befriedigt hat, hat stellvertretend für den glaubenden Sünder gewirkt, befreit ihn von allem Gericht und schenkt ihm Frieden, Heil und ewiges Leben. Derselbe Christus, „der durch den ewigen Geist sich selbst ohne Flecken Gott geopfert hat", hat auch in dem gleichen Opfer „durch sich selbst die Reinigung der Sünden bewirkt und sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe". (Hebr. 9, 14; 1, 3.) Als der Stellvertreter Seines Volkes hat Er „unsere Sünden an Seinem Leibe auf dem Holze getragen". (1.Petr. 2, 24.)
Diese Seite des Werkes Christi wurde vorgebildet in dem zweiten Bock, dem Bock Asasel (Abwendung), auf welchen das Los für das Volk gefallen war. Nachdem durch das Blut des ersten Bockes Sühnung geschehen war, wurde dieser zweite Bock herzugebracht. Aaron musste seine beiden Hände auf den Kopf dieses Bockes legen und auf ihn bekennen alle Ungerechtigkeiten der Kinder Israel und alle ihre Übertretungen nach allen ihren Sünden. Dann wurde der Bock in die Wüste geführt, damit er so alle die auf ihn gelegten Sünden hinaustrage in ein ödes Land, mit anderen Worten: damit ihrer nie mehr gedacht werde. Nun ist das eine völlig klar: wenn Jesus in der Weise dieses Vorbildes die Sünden aller Menschen getragen hätte, wenn alle diese Sünden auf Ihn gelegt und hinweggeschafft worden wären, so würde kein Mensch je ein Gericht zu fürchten haben, keiner könnte verloren gehen. Die Schrift sagt aber im Gegenteil: „Es ist den Menschen gesetzt, einmal zu sterben, danach aber das Gericht". So wie in dem Vorbilde die Stellvertretung auf die Kinder Israel beschränkt blieb, so ist auch die Stellvertretung des Herrn nur für solche da, die glauben. Sie dürfen sagen: „Um unserer Übertretungen willen war Er verwundet, um unserer Missetaten willen zerschlagen, die Strafe zu unserem Frieden lag auf Ihm". (Jes. 53, 5.)
So ist denn der Tod Christi da als eine Sühnung für die ganze Welt, und auf Grund derselben kann allen Menschen ohne Ausnahme die Gnade verkündigt werden. Gott will nicht, dass irgend jemand verloren gehe, Er „will vielmehr, dass alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen", (1. Tim. 2, 4.) Er war einmal in Christus, die Welt mit sich selbst versöhnend. Seine Liebesabsicht war, der Welt das Leben zu geben. Aber was hat die Welt getan? Sie hat diese Liebe von sich gestoßen, den Sohn Gottes verworfen und ans Kreuz geschlagen, und nun bleibt für die Welt nichts anderes übrig als Gericht. (Joh. 12, 31.) Jeder aber, der an diesen gekreuzigten Heiland glaubt, kommt nicht ins Gericht, sondern empfängt ewiges Leben durch den Glauben an Seinen Namen.
„Also hat Gott die Welt geliebt, dass Er Seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe." (Joh. 3, 16.)
„Kommt denn und lasst uns rechten miteinander, spricht Jehova. Wenn eure Sünden wie Scharlach sind, wie Schnee sollen sie weiß werden; wenn sie rot lind wie Karmesin, wie Wolle sollen sie werden." (Jes. 4, 48.)
II.
Wir haben gesehen, dass am großen Versöhnungstage der eine Bock den Tod Christi vorbildete, wie er die Befriedigung der Gerechtigkeit Gottes und Seine Verherrlichung im Blick auf die Sünde zuwege gebracht und so eine Grundlage für die Gnadenbotschaft an die ganze Welt geschaffen hat, während der andere Bock uns Jesus als den Stellvertreter für die Sünden Seines Volkes vor Augen stellte. Die Verherrlichung Gottes muss den ersten Platz haben, da sie der Sünde und dem Bedürfnis des Sünders völlig und für immer begegnet. Wir haben ferner gesehen, dass die neutestamentlichen Schriften von beidem reden: von Jesu als der Sühnung für die ganze Welt, und von Ihm als dem Träger der Sünden vieler. Wie die Gerechtigkeit Gottes sich in dem Versöhnungswerke geoffenbart hat und sich darin erweist, wird uns in Röm. 3, 21—26 vorgestellt, die Stellvertretung Jesu für die Sünden Seines Volkes in Röm. 4, 24. 25.
In Röm. 5, 1—3 finden wir dann die Wirkung, die durch die Erkenntnis dieser Dinge und den Glauben daran hervorgebracht wird. „Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus... und rühmen uns in der Hoffnung der Herrlichkeit Gottes." Wer also hat Frieden mit Gott, wer kann sich Seiner Herrlichkeit rühmen? Alle, die an den Herrn Jesus Christus als ihren Heiland und Stellvertreter glauben. Ihnen wird ihr Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet. Denn das Wort, dass dem Abraham sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet worden ist, steht nicht nur Abrahams wegen geschrieben, „sondern auch unsertwegen, denen es zugerechnet werden soll, die wir an Den glauben, der Jesus, unseren Herrn, aus den Toten auferweckt hat, welcher unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden ist".
Wie einfach ist das alles! Wie klar beantwortet es die Frage: Wie kann ich wissen, dass Jesus für meine Sünden gestorben ist? — Ja, wie kannst du es wissen? Indem du an Gott glaubst, der Jesus, deinen Herrn, aus den Toten auferweckt hat; indem du Sein Zeugnis annimmst. So wird dir dein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet. Es ist Gott selbst, d.er sich so deiner Seele durch den Glauben offenbart, der Gott, der Jesus deiner Übertretungen wegen dahingegeben und deiner Rechtfertigung wegen auferweckt hat. Wenn Jesus heute noch auf dem Kreuze wäre oder noch im Grabe läge, gäbe es freilich keine Gewissheit der Vergebung, keine Rechtfertigung. Wir wären noch „in unseren Sünden", (1. Kor. 15, 17.) Satan weiß das auch sehr gut. Daher die vielen Bilder und Darstellungen von Jesu am Kreuze.
Ohne den Tod Jesu auf dem Kreuze wäre sicherlich eine Erlösung undenkbar. Aber wenn Er nur gestorben und nicht auch aus den Toten auferstanden wäre, so wäre unser Glaube eitel, wir wären noch in unseren Sünden. (1. Kor. 15, 17.) Darum steht so klar und deutlich geschrieben, dass Er unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden ist. Wir bedürfen eines auferstandenen Heilandes, und diesen hat Gott uns gegeben.
Triumphierend ruft Paulus den Korinthern zu: „Nun aber ist Christus aus den Toten auferweckt, der Erstling der Entschlafenen", (1. Kor. 15, 20.) Ja, der Heilige und Gerechte, der mit unseren Sünden beladen, für uns zur Sünde gemacht, am Kreuze hing, ist aus den Toten auferweckt worden durch die Herrlichkeit des Vaters, und nun wird allen Menschen Vergebung der Sünden verkündigt durch diesen auferstandenen und verherrlichten Menschen zur Rechten Gottes. (Apstgsch. 13, 37—39) Gott selbst, der Jesus auferweckt hat, ist es, der jetzt jeden Glaubenden rechtfertigt. Nachdem unser hochgelobter Herr einmal für Sünden am Kreuz gelitten hat, braucht Er nie wieder dafür zu leiden und zu sterben. Gott selbst versichert dem Glaubenden, dass sie für immer hinweggetan sind, dass ihretwegen ewiglich keine Ansprüche mehr an ihn gestellt werden können. Jesus, sein Stellvertreter, hat alle seine Sünden an Seinem eigenen Leibe auf dem Fluchholze getragen, und nun gibt es für ihn „keine Verdammnis" mehr. Er ist „ein Mensch in Christus", dem Auferstandenen. Von Gott „zuvorerkannt" vor Grundlegung der Welt, und „zuvorbestimmt, dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu sein", ist er nun in der Zeit „berufen" und „gerechtfertigt". (Röm. 8, 1. 28. 30.)
Wie der zweite Bock am Versöhnungstage die auf ihn bekannten und übertragenen Sünden in die Wüste trug, damit sie nie wieder ins Gedächtnis gebracht würden, so hat Jesus alle unsere Sünden vor Gottes Augen hinweggetan, und zum Zeugnis dessen hat Gott Ihn auferweckt und zu Seiner Rechten gesetzt. Die Sünden des Gläubigen können ihm niemals wieder zugerechnet werden.
„ Wer wird wider Gottes Auserwählte Anklage erheben? Gott ist es, welcher rechtfertigt; wer ist, der verdamme?" (Vergl. Röm. 8, 33. 34.)
Aber, möchte gefragt werden, schließt diese Darstellungsweise nicht die Auserwählung völlig aus? ES scheint vielleicht so, in Wirklichkeit ist es aber keineswegs so. Was uns not tut ist nur, uns einfältig unter Gottes Wort zu beugen, anstatt auf menschliche Meinungen und Vernunftschlüsse zu hören. Wenn wir das tun, so werden wir finden, dass die beiden Begriffe: des Menschen Verantwortlichkeit und Gottes Unumschränktheit, sich nicht etwa gegenseitig ausschließen, sondern nebeneinander hergehen, sich durchaus miteinander vertragen.
In dem Tode des Herrn hat sich von feiten Gottes Sein gerechter Zorn gegen die Sünde und Seine unendliche Liebe zu dem Sünder geoffenbart. „Hierin ist die Liebe Gottes zu uns geoffenbart worden, dass Gott Seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat, auf dass wir durch Ihn leben möchten." — „Der Vater hat den Sohn gesandt als Heiland der Welt." (1. Joh. 4, 9. 14; lies auch Joh. 3, 14-16.) „Gleichwie Moses in der Wüste die Schlange erhöhte, also musste der Sohn des Menschen erhöht werden, auf dass jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe." Die letzten Worte sind aus dem Munde Dessen gekommen, der nicht lügen kann, der die Wahrheit selbst ist. Der von den feurigen Schlangen gebissene Israelit brauchte nicht zu fragen — hat es auch wohl nicht getan —: Wie kann ich wissen, dass Moses die Schlange für mich erhöht hat? Gottes Gebot an Moses lautete: „Mache dir eine feurige Schlange und tue sie auf eine Stange; und es wird geschehen, jeder, der gebissen ist und sie ansieht, der wird am Leben bleiben". (4. Mose 21, 8.) Ist es heute nicht genau so mit dem Sünder und dem Herrn Jesus? Jeder, der an Ihn glaubt, wird nicht verloren gehen, sondern ewiges Leben haben. Würde es nun nicht widersinnig sein zu fragen: Wie kann ich wissen, dass Jesus für mich gestorben ist? Oder anderseits zu behaupten, dass der Mensch nicht verantwortlich sei, dem Zeugnis Gottes zu glauben? Nein, die Frage lautet vielmehr: Wie ist es möglich, einer Liebe, die sich so geoffenbart hat, und der nun durch Jesus gepredigten Vergebung der Sünden nicht zu glauben?
Aber, wirft man wieder ein — Verstand und Unglaube werden nie aufhören, ihre Einwürfe zu machen — aber, wie kann beides, eine allen Menschen gegenüber geoffenbarte, allen angebotene Gnade und die Auserwählung einer bestimmten Zahl von Menschen gleichzeitig wahr sein? Wie ist beides miteinander zu vereinbaren? Das Wort Gottes gibt in einfacher, schlagender Weise Antwort auf diese Frage. Wir alle kennen das Gleichnis von dem großen Abendmahl, das ein Mensch machte. (Luk. 14.) Viele wurden dazu «ungeladen, aber alle weigerten sich zu kommen, alle machten Entschuldigungen, nicht einer nahm die Einladung an, aber auch nicht einer wurde gezwungen, hereinzukommen. Nein, aber was tat der Hausherr? Er sandte seinen Knecht auf die Straßen und Gassen der Stadt und ließ die Armen und Krüppel und Lahmen und Blinden hereinbringen. Und als noch Raum war — denn sein Haus sollte voll werden —, ließ 'er die an den Wegen und Zäunen Liegenden nötigen, ins Haus zu kommen.
Welch ein Bild! Der Mensch ist tatsächlich so hoffnungslos böse, dass er, wenn es in seine freie Wahl gestellt wird, Gott zu glauben oder nicht zu glauben, das letztere wählt und die Einladung zu dem großen Mahle Gottes ausschlägt. Er will Christus nicht als seinen Heiland annehmen. Warum nicht? Hat Gott ihn so gemacht? Nein, der traurige Zustand des Menschen ist das Ergebnis seiner eigenen Schuld. Er glaubte und vertraute Satan und misstraute Gott, und er tut das heute noch. Des Menschen persönliche Schuld ist ja verschieden groß, aber diese Abneigung, ja, dieser Hass gegen Gott beweist die Schrecklichkeit seines Zustandes. Mag auch die freundliche, dringende Einladung Gottes an alle ergehen, so ist doch nicht einer da, der ihr folgt.
Ist das Gericht solch böser Geschöpfe gerecht oder nicht? Und wenn nun Gott in der Unumschränktheit Seiner Gnade trotzdem eine Anzahl, die Er aus den Armen und Elenden auswählt, errettet, wenn Er diesen in Seiner Liebe nachgeht und sie in Sein Haus bringen lässt, ist Er dann ungerecht? Kann Ihm irgendein Vorwurf daraus gemacht, kann Er gefragt werden: „Warum tust Du also?" — Wahrlich nicht, und doch geschieht es!
Als zur Zeit Noahs die Bosheit des Menschen ihren Gipfelpunkt erreicht hatte, sodass das Gericht nicht länger zögern konnte, gab Gott dem Menschen noch 120 Jahre Zeit zur Buße; dann erst ließ Er die große Flut kommen, die alles Lebendige auf Erden vernichtete, und nur eine einzige Familie wurde in der Arche gerettet. Und als nach dem Turmbau zu Babel die über die ganze Erde hin zerstreuten Menschen in den schrecklichsten Götzendienst verfielen, führte Gott e i n.e n Menschen, Abram, heraus mit den Worten: „Ich will d i c h segnen, und ich will deinen Namen groß machen, und d u sollst ein Segen sein", und machte ihn dann zum Vater des „auserwählten" Volkes Israel. Auch lesen wir in der Schrift von „auserwählten" Engeln. Niemand scheint diese Dinge zu leugnen, und doch gibt es kaum etwas, das die Menschen mehr hassen, mehr bekämpfen, als die kostbare Wahrheit von der Gnadenwahl.
Wir haben oben gesagt, dass der Mensch, wenn er seiner eigenen freien Wahl überlassen bleibt, Christus verwirft. Das war sogar bei Israel, dem auserwählten irdischen Volke Gottes, der Fall, und zwar unter den denkbar günstigsten Umständen. Gott sandte ihm Seinen Sohn auf dem Wege, den die Propheten in so mancherlei Weise angekündigt hatten: der gute Hirt „ging durch die Tür in den Schafhof ein". (Vergl. Joh. 10, 1.) Aber — „Er kam in das Seinige, und die Seinigen nahmen Ihn nicht an." (Joh. 1, 11.) An einer anderen Stelle lesen wir: „Gott war in Christus, die Welt mit sich selbst versöhnend, ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnend". (2. Kor. 5, 19.) Das will sagen: Gott erschien inmitten der Menschenkinder in der Person Seines Sohnes, um ihnen Sühnung und Vergebung zu bringen, in bedingungsloser Gnade mit ihnen zu handeln. Aber — Er kam, „und kein Mensch war da". Er rief, „und niemand antwortete". (Jes. 50, 2.) Im Gegenteil, von der Krippe bis zum Kreuze schritten der Hass und die Feindschaft des Menschen von Schlimmem zu immer Schlimmerem. Wohl wurden einzelne (und schließlich eine große Zahl) dahin geführt, an Jesu Namen zu glauben und so ewiges Leben in Ihm zu finden; aber aus eigener, freier Wahl nahm keiner Ihn an. Niemand wollte zu Ihm kommen, obgleich „die Güte und Menschenliebe unseres Heiland-Gottes" in Ihm erschienen war. (Tit. 3, 4.)
Anbetungswürdig ist die Ruhe des Herzens, die völlige Abhängigkeit von dem Vater, die Jesus inmitten all dieser Verwerfung offenbarte. Wunderbar sind Worte wie diese: „Alles was der Vater mir gibt, wird zu mir kommen, und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen". Oder: „Niemand kann zu mir kommen, es sei denn dass der Vater, der mich gesandt hat, ihn ziehe...Jeder, der von dem Vater gehört und gelernt hat, kommt zu mir." (Joh. 6, 37. 44. 45.) Oder: „Mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus der Hand meines Vaters rauben". — Oder wenn Er über sich und die Seinigen zum Vater redet: „Gleichwie du Ihm (dem Sohne) Gewalt gegeben hast über alles Fleisch, auf dass Er allen, die du Ihm gegeben, ewiges Leben gebe ...Ich bitte für sie; nicht-für dir Welt bitte ich, sondern für die, welche du mir gegeben hast, denn sie sind dein." (Joh. 40, 29; 77, 2. 9.) Welch eine friedliche Ruhe inmitten der wilden Wogen menschlichen Hasses! Unser teurer Heiland kannte den gerechten Vater, und Er wusste, dass nicht einer von denen, die der Vater Ihm gegeben hatte, verloren gehen würde.
Die beiden Seiten der Wahrheit, dass das Evangelium sich an alle Menschen ohne Ausnahme richtet, aber dass nur diejenigen zu Jesu kommen, die der Vater Ihm gegeben hat, tritt uns in besonderer Klarheit auch entgegen in der schon angeführten Stelle: „So sei es euch nun kund, Brüder, dass durch diesen euch (unterschiedslos) Vergebung der Sünden verkündigt wird, und von allein, wovon ihr in: Gesetz Moses' nicht gerechtfertigt werden konntet, wird in diesem jeder Glaubende gerechtfertigt", und gleich nachher: „Und es glaubten, so viele ihrer zum ewigen Leben verordnet waren." (Apsgsch. 13, 38. 39. 48.) Wir haben hier wieder die menschliche und die göttliche Seite der Sache vor uns. Wollen wir eine dieser Wahrheiten annehmen und die andere verwerfen? oder an der einen oder anderen etwas zu ändern suchen? Vielleicht möchte man einwenden: Dann darf man aber auch nur den Auserwählten das Evangelium verkündigen. Die Apostel dachten und handelten anders: sie redeten zu allen also, d. h. mit einer solchen Kraft und Freudigkeit, dass eine große Menge von Juden und Griechen glaubte. (Apstgsch. 14, 1.) Wie gut vertragen sich doch die beiden Seiten miteinander, wenn Einfalt im Herzen ist!
So gibt es denn nichts, was eine ernstlich suchende Seele hindern oder zurückhalten könnte, Gott rückhaltlos zu vertrauen und ihrer Errettung völlig gewiss zu sein. Dass alle, die wirklich glauben, zum ewigen Leben verordnet sind, braucht kaum gesagt zu werden, denn niemand anders wird glauben, niemand anders kommt zu Jesu, um das Leben zu haben. Man vergisst so leicht, dass die Wahrheit von der Auserwählung ein kostbares Gut des Gläubigen ist, nicht aber dem Unbekehrten verkündigt wird. Diesem gebietet Gott, Buße zu tun und an Den zu glauben, den Er gesandt hat. (Apstgsch. 17, 30.) Aber immer wieder muss es wiederholt werden:
Der Mensch will weder glauben was Gott sagt, noch von seinem Wege umkehren und Buße tun. Die Gesinnung des natürlichen Menschen, auch des religiösen, ist „Feindschaft wider Gott", so verschieden diese Feindschaft sich auch äußern mag. Darum, wenn Gott nicht auf Grund Seines unumschränkten Gnadenwillens dennoch eine von Ihm bestimmte Zahl erretten würde, so würde offenbar kein Mensch errettet werden.
Wenden wir uns jetzt zu einigen Stellen, die von der Auserwählung reden. Beachten wir von vornherein, dass es sich bei dieser Frage nicht nur um Persönlichkeiten handelt, sondern um einen wunderbaren Ratschluss, den Gott vor Grundlegung der Welt gefasst hat, der aber „von den Geschlechtern und Zeitaltern her verborgen war" und erst den Aposteln und Propheten des Neuen Testamentes geoffenbart worden ist. Zm Römerbrief verkündigt Paulus ihn mit den Worten: „Denn welche Er zuvorerkannt hat, die hat Er auch zuvorbestimmt, dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit Er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern". (Röm. 8, 29) Aus einer Welt also, für die es nach dem gerechten Urteil Gottes nur Gericht und Verdammnis geben konnte, hat Gott eine Anzahl Menschen — und, gepriesen sei Sein Name! es sind ihrer unzählige — zuvorerkannt und zuvorbestimmt, dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu fein. Dass dies die Bewunderung und Anbetung der Engel wachruft und sie begehren lässt, „in diese Dinge hineinzuschauen", ist zu verstehen. .
Ein solcher Ratschluss konnte nur in dem Herzen eines Heiland-Gottes entstehen, nur Er konnte ihn zur
Ausführung bringen, und, so dürfen wir hinzufügen, Er hat es getan. In unserer Stelle lesen wir weiter: „Welche Er aber zuvorbestimmt hat, diese hat Er auch berufen; und welche Er berufen hat, diese hat Er auch gerechtfertigt; welche Er aber gerechtfertigt hat, diese hat Er auch verherrlicht". (V. 30.) Um das tun zu können, gab es nur das eine Mittel, dass Er Seines eigenen Sohnes nicht schonte, sondern Ihn für uns alle dahingab. Nachdem dieses Mittel zur Anwendung gekommen ist, heißt es jetzt: „Wer wird wider Gottes Aus erwählte Anklage erheben? Gott ist es, welcher rechtfertigt; wer ist, der verdamme? Christus ist es, der gestorben, ja, noch mehr, der auch auferweckt, der auch zur Rechten Gottes ist." (V. 32—34.) Fürwahr, eine herrliche Kette von lauterem Golde: zuvorerkannt, zuvorbestimmt, berufen, gerechtfertigt, verherrlicht! Und alles das von Gott, auf Grund des Todes und der Auferstehung Seines geliebten Sohnes! Sollte uns wohl noch etwas scheiden können von dieser ewigen, in Christus Jesu geoffenbarten Liebe?
Doch hier gibt's wieder ein „Aber". — Aber, wirft man ein, wenn das von der Auserwählung Gesagte wahr ist, müssen wir dann nicht daraus folgern, dass Gott eine andere Zahl von Menschen dazu bestimmt, ja, zuvorbestimmt hat, verloren zu gehen? Keineswegs. In keinem Teil der Heiligen Schriften findet sich ein solcher Gedanke. Ich wiederhole vielmehr: Der Grund, weshalb jene verloren gehen, liegt in ihrem Zustand des Verlorenseins: sie sind verloren, weil sie sündig sind und die Sünde lieben und tun, und sie bleiben und gehen verloren, weil sie dem Zeugnis Gottes, das in der einen oder anderen Weise an sie herantritt, nicht glauben. Die Schrift redet deutlich und klar über beide Punkte. Zunächst heißt es betreffs derer, die verloren gehen, dass es geschieht, weil „sie die Liebe zur Wahrheit nicht annahmen, damit sic errettet würden". (2. Thess. 2, 10.) Dann: „Das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit", (1. Kor. 1, 18.) Ferner: Das Evangelium ist „in denen ver. deckt, die verloren gehen", weil sie Satan, dem Gott dieser Welt, mehr Vertrauen schenken als Gott. (2. Kor. 4, 3. 4.) Christus kam in diese Welt, Gott ließ in Seiner Liebe den ganzen „Lichtglanz des Evangeliums der Herrlichkeit Christi" ausstrahlen; aber die Menschen wollten Jesus nicht, sie hassten das Licht. Ihr Zustand ist bis heute derselbe geblieben. Ihr Ende ist deshalb Verderben. Umgekehrt lesen wir von den Erretteten: „dass Gott sie von Anfang erwählt hat zur Seligkeit in Heiligung des Geistes und im Glauben an die Wahrheit". (2. Thess. 2, 13.) Auch sie war e n verloren wie alle übrigen, aber sie gehen nicht verloren, weil sie an Den geglaubt haben, der da kam, „uni zu suchen und zu erretten, was verloren ist". Es ist nicht ein Verdienst ihrerseits, wenn sie errettet werden; es ist die unumschränkte Gnade Gottes.
So lehrt Gottes Wort, mag der Mensch es annehmen oder nicht, und der Glaube erfaßt es und preist Gott.
Die Dinge liegen heute noch genau so wie zur Zeit des Laubhüttenfestes in Joh. 7. Damals verwarfen die Juden Jesus und suchten Ihn zu töten. Trotzdem stand Jesus an dem letzten, dem großen Tage des Festes in der Mitte der die Gnade Verwerfenden auf und „rief und sprach: Wenn jemand dürstet, so komme er zu nur und trinke". So ist es auch heute. Die Allgemeinheit hasst und verwirft Christus. Ja, die Bosheit und Gottentfremdung der Menschen hat eine vielleicht nie gekannte Höhe erreicht. Aber inmitten des zunehmenden Verderbens erschallt auch heute derselbe Gnadenruf: „Kommet her zu mir!" Und so wie der Herr damals sagte: „Noch eine kleine Zeit bin ich bei euch", ist auch in der Gegenwart den Menschen nur noch eine kurze Frist gegeben. Bald wird die Gnadensonne untergehen und die Nacht anbrechen, in der niemand wirken kann.
Mein lieber, unbekehrter Leser! Hat der Heilige Geist in deine r Seele den Durst nach Wahrheit, Friede und Ruhe geweckt, o dann komm heute noch zu Jesu! Wer zu Ihm kommt, dessen eigener Durst wird nicht nur gestillt werden, nein, aus seinem Leibe sollen auch Ströme lebendigen Wassers anderen zu fließen. (Joh. 7, 38.)
III.
Die Kapitel 9-11 des Briefes an die Römer zeigen in besonderer Ausführlichkeit und Deutlichkeit, dass Gott von jeher nach den Grundsätzen einer auserwählenden Gnade gehandelt hat. Doch da es nicht der Zweck dieser Zeilen ist, von der Gnadenwahl als solcher zu reden, und der Inhalt jener Kapitel schon wiederholt einer näheren Besprechung unterzogen worden ist*), möge hier dieser kurze Hinweis genügen. Nur auf eine Stelle aus dem 9. Kapitel möchte ich aufmerksam machen, wo der Apostel, im Anschluss an das Wort des Herrn an Mose: „Ich werde begnadigen, wen ich begnadige, und mich erbarmen, wessen ich mich erbarme", sagt: „Also liegt es nun nicht an dem Wollenden noch an dem Laufenden, sondern an dem begnadigenden Gott". (V. 15. 16.) Diese Stelle hat schon vielen Lesern zu schaffen gemacht. Eigentlich mit Unrecht, denn der Sinn ist einfach. Der Apostel will sagen: Gnade ist nicht eine Belohnung, die dem Wollen oder Laufen eines Menschen zuteil wird, sondern ein freies Geschenk Gottes, das Er in Seiner Liebe und nach dem Recht Seiner Unumschränktheit dem Glaubenden zuwendet. Wie geschrieben steht: „Dem aber, der nicht wirkt, sondern an Den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet... Darum ist es aus Glauben, auf dass es nach Gnade sei." (Kap. 4, 5. 16.) — Und so muss es sein, sonst wäre Gnade nicht mehr Gnade. (Kap. 33,6)
Aber wie verhält sich der Mensch dieser Gnade gegenüber? Er will keine Gnade. Entweder verachtet und ' verwirft er sie, oder er behandelt sie gleichgültig. Da ist, so wunderbar es klingen mag, kein Mensch auf Erden, der mit seiner eigenen Seele Mitleid hätte. Darum tritt Gott ins Mittel und rettet in Seinem Erbarmen wen Er will. Anderseits lässt Er freilich auch das Gericht der Verhärtung über solche kommen, die sich, wie einst der Pharao, trotzig gegen Ihn auflehnen und alle Seine Mahnungen und Warnungen verachten. So ist es Israel als Volk ergangen — „Verstockung ist Israel zum Teil widerfahren, bis dass die Vollzahl der Nationen eingegangen sein wird" (Röm. 77, 25) —, und so wird es der Namenchristenheit am Ende der Tage ergeben. Gleichwie Gott Seinem irdischen Volke einen Geist der Schlafsucht g e - geben hat, so sendet Er der Christenheit eine wirksame Kraft des Irrwahns, dass sie der Lüge glauben. (2. Thess. 2, 11.12) Wie ernst, wie unausforschlich sind doch die Gerichte Gottes! (Röm.11, 33.)
Wenn wir uns jetzt wieder den Schriftstellen zuwenden, die von „Auserwählung" reden, wollen wir zunächst beachten, dass das Wort zwischen einer Auserwählung „v o n Grundlegung der Welt a n" (Vergl. bezüglich dieses Ausdrucks Matth.13,35; 25,34) und von einer solchen „vor Grundlegung der Welt" unterscheidet. An die erste Art haben wir wohl zu denken, wenn wir in Matth. 24, 22. 24 u. 31 von „Auserwählten" lesen, die in den Zeiten des Endes auf dieser Erde leben und durch die Drangsale jener Tage hindurch zu der Herrlichkeit des Reiches geleitet werden. So ist auch in Offbg. 13, 8 und 17, 8 von Menschen die Rede, deren Namen nicht in dem Buche des Lebens geschrieben sind „v o n Grundlegung der Welt an", im Gegensatz zu solchen, von denen das gesagt werden kann. Für unsere gegenwärtige Betrachtung kommt jedoch nur die zweite Art von Auserwählung, die „v o r Grundlegung der Welt", in Betracht. Die Gläubigen der Jetztzeit sind errettet und berufen, nicht nach ihren Werken, sondern nach Gottes eigenem Vorsatz, „nach der Gnade, die uns in Christus Jesu vor den Zeiten der Zeitalter gegeben worden ist". (2. Tim. 1,9) In Übereinstimmung damit sagt der Apostel Petrus, dass wir erlöst worden sind „mit dem kostbaren Blute Christi, als eines Lammes ohne Fehl und ohne Flecken, welcher zuvorerkannt ist vor Grundlegung der Welt", (1. Petr,1,19.20)
Wie groß und wunderbar ist der Gedanke, dass vor der Erschaffung aller Dinge, vor Beginn der Zeit, vor dem Anfang von Himmel und Erde in 1.Mose 1,1 solche Gedanken und Ratschlüsse im Herzen Gottes waren über Wesen, wie wir sind! Nicht Engeln wandte sich Sein Gnadenvorsatz zu, nicht die „Täter Seines Wohlgefallens" bestimmte Er zu Erben Seiner Herrlichkeit, sondern unreine, gefallene Geschöpfe, die wie verlorene Schafe fern von Ihm umherirrten auf Wegen des Eigenwillens und der Sünde. Kann solcher Gnade gegenüber noch irgend ein Gläubiger an sich und seine Würdigkeit denken und sich ängstlich fragen: Wie kann ich wissen, ob ich auch auserwählt bin? Sollte er nicht lieber mit Tersteegen singen und sagen: „Ich will, anstatt an m i c h zu denken, ins M e er d er Li e b e mich versenken"?
Mit der herrlichen Stelle in Röm. 8, 29.30 haben wir uns bereits beschäftigt, auch die in 2. Thess. 2, 13 schon erwähnt, wo der Apostel Gott so herzlich dafür dankt, dass Er die geliebten Thessalonicher „von Anfang erwählt habe zur Seligkeit in Heiligung des Geistes und im Glauben an die Wahrheit". Geht das Wort „von Anfang" vielleicht auch nicht so weit wie das „vor Grundlegung der Welt", so lenkt es unsere Herzen doch auch zur Ewigkeit zurück. „Von Anfang" — nicht des Christentums oder der Verkündigung des Evangeliums an die Thessalonicher, sondern „von jeher" — hatte Gott sie „erwählt", für sich erwählt zur Seligkeit, und durch die mächtige Absonderung des Heiligen Geistes waren sie mittels des Glaubens an die Wahrheit für Gott geheiligt worden. Auf diese Weise war ihre Erwählung ihnen zur vollen Gewissheit geworden.
Wieder ein Wort, das den Blick der gläubig lauschenden Seele von dem armen Ich und seinem Tun ablenkt, hin zu dem anbetungswürdigen Wirken Gottes. Was konnte den „Heiligen" veranlassen, solch unheilige Wesen, blinde Götzendiener, wie die Thessalonicher gewesen waren, für sich zu erwählen und sie zu Seinen Anbetern zu machen? In ihnen wahrlich nichts! Es war einzig und allein das Ergebnis Seiner Liebe, des Reichtums Seiner Barmherzigkeit. Und was war durch diese Liebe in ihnen hervorgebracht worden? Eine völlige Umkehr von den toten Götzenbildern zu dem lebendigen Gott, um Ihm nun zu dienen und Seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten. Die Kunde von ihrem Glauben an Gott und von den dadurch hervorgebrachten kostbaren Früchten hatte sich überallhin verbreitet und dem Apostel samt allen, die davon hörten, den äußeren Beweis ihrer Auserwählung gegeben. „Wissend, von Gott geliebte Brüder, eure Auserwählung", hatte er ihnen schon in seinem ersten Briefe schreiben können. (Vergl. Kap.1,2-10.)
Beachte es wohl, teure glaubende Seele, nicht ihnen hatten diese Früchte die Gewissheit ihrer Auserwählung gegeben, sondern anderen. Sie besaßen diese Gewissheit in dem Zeugnis Gottes, das ihnen in der Kraft des Heiligen Geistes gebracht worden war, und das sie in einfältigem Glauben ausgenommen hatten. Sie hatten Gott geglaubt, der Seinen Sohn für sie dahingegeben hatte. Sie hatten Sein Wort trotz vieler Drangsale in Freude des Heiligen Geistes ausgenommen, und, in diesem Wort ruhend, waren sie ihrer Auserwählung gewiss.
Mache es auch so, und dein Herz wird zur Ruhe kommen, auch wenn d u nicht auf „Werke des Glaubens, Bemühung der Liebe und Ansharren der Hoffnung" bei dir Hinweisen kannst, wie der Apostel bei den Thessalonichern. Überlass das anderen! Klammere du dich nur immer fester an das Wort des Gottes, der nimmer lügen kann und der dich auserwählt hat, nicht weil du reich warst oder bist, sondern im Gegenteil, weil du arm warst, und der das getan hat, damit du reich werden möchtest „im Glauben und ein Erbe des Reiches, welches Er denen verheißen hat, die Ihn lieben". (Jak. 2, 5.) Gerade das Törichte, Schwache, Unedle, Nichtige und Verachtete der Welt hat Gott auserwählt, um die Weisen und Starken und „das was ist" zunichte zu machen. Vor Ihm soll sich kein Fleisch rühmen, (1 Kor. 1, 26—29.) Gott will Seinen Ruhm mit keinem anderen teilen.
Dies führt uns zu der bekannten und schon einmal angeführte!! Stelle in Eph. 2, 4—10. Warum hat Gott uns, die wir einst tot waren in Vergehungen und Sünden, Kinder des Zorns wie die übrigen, mit dem Christus lebendig gemacht? „Auf dass Er in den kommenden Zeitaltern den überschwänglichen Reichtum Seiner Gnade in Güte gegen uns erwiese in Christus Jesu." Wie einfach und verständlich sind die Worte, und wie unendlich groß gerade in ihrer Einfachheit! Wenn Gott uns in Christus vor Grundlegung der Welt auserwählt und uns zuvorbestimmt hat zur Sohnschaft für sich selbst, so hat Er es getan „zum Preise der Herrlichkeit Seiner Gnade". (Kap. 2, 4—6.) Kein anderer Beweggrund hat Ihn geleitet, kein anderer hätte Ihm genügen können. Durch Gnade sind wir errettet.
Wie seltsam lautet angesichts aller dieser Dinge die Frage: „Wie kann jemand wissen, dass der Herr Jesus Christus für ihn persönlich gestorben ist, wenn er gar nichts in sich findet, was dieses wahrscheinlich macht?" Wie zeigt sie, wohin die Beschäftigung mit sich selbst, das Schauen auf das armselige Ich, anstatt auf die unaussprechliche Gabe Gottes, das zagende und zweifelnde Herz führt! Welch eine betrübende Antwort gibt es auf die Offenbarung der vielen Liebe Gottes, die der Apostel Johannes also beschreibt: „Hierin ist die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass Er uns geliebt und Seinen Sohn gesandt hat als eine Sühnung für unsere Sünden"! (1. Joh. 4, 10.) Wer eine solche Frage stellt, beweist allerdings, dass er noch „nicht vollendet ist in der Liebe", wie Johannes weiter sagt. (V. 18.) Vollendet, wohlgemerkt, nicht in seiner eigenen Liebe — wie könnte er darin je zur Vollendung gelangen, solang er in diesem Leibe der Schwachheit pilgert? — sondern in der Liebe Gottes. Mit anderen Worten: ein solcher hat diese Liebe in ihrer Vollkommenheit noch nicht erkannt; er misst ihre Größe an seiner Würdigkeit, bzw. Unwürdigkeit, und so kann nichts anderes als „Furcht" sein Inneres erfüllen. O möchte es doch mehr von uns allen wahr sein: „Wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat"! (V. 46.)
Es bleibt uns noch übrig, auf einige andere Stellen aufmerksam zu machen, die mit unserem Gegenstand in Verbindung stehen. Wir berührten schon kurz das Wort in Apstgsch. 43, 48: „Und es glaubten, so viele ihrer zum ewigen Leben verordnet waren". Ein Wort, das dem Unglauben ein Anstoß ist, den Glauben aber frohlocken lässt. Ja, Gott sei gepriesen! nicht einer wird in der Schar der Erlösten fehlen, der von Ihm zum ewigen Leben verordnet ist. Gott wird Seinen Gnadenratschluss ausführen, ganz unabhängig von den schwachen Werkzeugen, die Seine Hand benutzt. Und welch große Scharen werden einst droben sein, bei deren Errettung überhaupt kein menschliches Werkzeug tätig war!
Nicht einer fehlt, Du riefst sie alle, Sie singen laut mit Jubelschall: Dem Lamme Ehr', das uns versöhnt!
In 2. Tim. 2, 10 hören wir den Apostel Paulus sagen: „Ich erdulde alles um der Aus erwählten willen, auf dass auch sie die Seligkeit erlangen, die in Christus Jesu ist, mit ewiger Herrlichkeit". Dieselbe Liebe,
die Jesus einst trieb. Sein Leben für die Auserwählten zu lassen, war in dem treuen Diener wirksam und drängte ihn, keine Drangsal und Mühe, nicht Bande und Tod zu scheuen, wenn nur das Wohl der geliebten Herde dadurch gefördert wurde und die einzelnen Gläubigen auf dem schmalen Pfade dem Ziele zu erhalten blieben.
Auch in dem Briefe an Titus redet Paulus von dem Glauben der „Auserwählten Gottes", anderseits aber auch von „der Gnade Gottes, die erschienen ist, heilbringend für alle Menschen", und dann wiederum von der Güte und Menschenliebe unseres Heiland-Gottes, der uns (die Auserwählten) errettet hat, nicht aus Werken, die, in Gerechtigkeit vollbracht, w i r getan hatten, sondern nach Seiner Barmherzigkeit. (Kap. 1,1; 2, 11; 3, 4. 5.)
Immer wieder finden wir, wie die beiden Seiten der Wahrheit nebeneinander herlaufen, sich gegenseitig ergänzend, aber nie einander widersprechend: Gottes Unumschränktheit in den Wegen Seiner Gnade und des Menschen Verantwortlichkeit, von dieser Gnade Gebrauch zu machen; Gott in dem Reichtum Seiner Liebe und Barmherzigkeit die gerechte Grundlage zu einem vollkommenen Heil in Christus legend, der Mensch rettungslos verloren, und dabei hassenswürdig, völlig unfähig, auch nur einen Finger zu seiner Errettung zu rühren; Gott ein Heiland-Gott, dessen Güte und Menschenliebe, von niemand begehrt, allen erschienen ist, und der Mensch feindselig gegen Gott und Seine Güte verachtend. Sein Heil vernachlässigend.
Aber nicht nur Paulus, auch andere Apostel betonen die Wahrheit von der Auserwählung. So nennt z. B. der Apostel Petrus, dessen Namen wir schon erwähnten, die Gläubigen aus Israel, an die er schrieb, „Aus erwählte nach Vorkenntnis des Vaters, durch Heiligung des Geistes, zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu Christi", (1. Petr, 1, 1.2.) Auserwählt, nicht im Laufe der Zeit, in Abraham, sondern im Schoße der Ewigkeit, nach Vorkenntnis Gottes, des Vaters, waren sie jetzt von den übrigen Menschen abgesondert durch den Heiligen Geist selbst und waren, statt zu gesetzlichem Gehorsam und zur Besprengung mit Stier- und Bocksblut, zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu Christi geführt worden. So bildeten sie ein „auserwähltes" Geschlecht, ein königliches Priestertum. (Kap. 2, 9.) Und woher wussten sie das alles? Durch das lebendige, ewigbleibende Wort Gottes, das ihnen verkündigt worden war, und das sie geglaubt hatten. „Euch nun, die ihr glaubet, ist die Kostbarkeit." (Kap. 2, 7.)
Wir begegnen dem Worte „auserwählt" ferner noch in 2. Joh. 1, 1. 13 und in Röm. 16, 13 in Verbindung mit einzelnen Personen; außerdem in Kol. 3, 12: „Ziehet nun an, als Auserwählte Gottes, als Heilige und Geliebte: herzliches Erbarmen, Güte usw." und schließlich in Offbg. 17, 14, wo wir lesen: „Und die mit ihm (dem Lamme) sind Berufene und Auserwählte und Treue".
So findet sich die Wahrheit von der Auserwählung im ganzen Neuen Testament bestätigt, von den Evangelien bis zur Offenbarung. Sie bildet einen der Eckpfeiler des ganzen Gebäudes der Wahrheit. Begreiflich sind deshalb die Bemühungen des Feindes, sie den Gläubigen zu rauben oder doch wenigstens ihre Sinne darüber zu verwirren. Wie lieblich, ja, ergreifend tritt sie uns schon in den Worten entgegen, die der Herr im Blick auf die Seinigen an den Vater richtet: „Ich habe deinen Namen den Menschen geoffenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast.. Dein waren sie, und mir hast du sie gegeben." (Joh. 17, 6.) „Dein waren sie" — schon lange das Eigentum des Vaters nach Seiner unumschränkten Vorherbestimmung und Auswahl, und Er hatte sie jetzt dem Sohne „aus der Welt gegeben", damit sie Sein Wort bewahrten und von Ihm zeugten. Findet sich auch an dieser Stelle der Ausdruck „auserwählt" nicht, so zeugen die Worte des Herrn doch so klar von derselben Wahrheit, dass wir sie nur mit Anbetung lesen können.
Derselbe Herr rief später Seinem Diener Paulus zu: „Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht! denn ich bin mit dir, und niemand soll dich angreifen, dir Übles zu tun; denn ich habe ein großes Volk in dieser Stadt." (Apstgsch. 18,9-10) Ein „großes Volk" war in Korinth, von dem Herrn ersehen und Ihm bekannt, lang bevor die Predigt Seines Knechtes dort erscholl und von den Korinthern glaubend angenommen wurde. Alle diese Glaubenden waren, dem göttlichen Ratschluss nach, des Herrn Eigentum, „zum ewigen Leben verordnet", und sollten nun, trotz aller Gegenanstrengungen des Feindes, dem Apostel als Frucht seines Dienstes geschenkt werden.
Kann es, so möchten wir zum Schluss noch einmal fragen, in diesen Dingen für irgend eine aufrichtige, dem Worte unterwürfige Seele eine Schwierigkeit geben? Vor allem, wenn wir uns ins Gedächtnis rufen, dass die Wahrheit von der Auserwählung nicht für den noch nicht erretteten Sünder da ist, sondern denen, die geglaubt haben, als ein kostbares Gut geschenkt ist, um ihnen zu zeigen, aus welch ewiger, göttlicher Grundlage ihr Heil ruht? Wohl kann man verstehen, dass ein untreuer, von seinem Gewissen verurteilter Christ bezüglich der Frage seiner Errettung in Ungewissheit geraten kann. Aber dann liegt die Ursache eben darin, dass der Geist Gottes in ihm betrübt ist und ihn, anstatt sein Herz mit Friede und freudiger Heilsgewissheit zu erfüllen, strafen und an seine Untreue erinnern muss. Aber ein aufrichtiger Christ darf mit unumstößlicher Gewissheit, auf Grund des Zeugnisses seines Gottes, daran festhalten, dass er in Christus vor Grundlegung der Welt von Gott auserwählt ist, um heilig und tadellos vor Ihm zu sein in Liebe. Er darf ferner versichert sein, dass Gottes Gnade ihn trotz all seiner Mangelhaftigkeit und seines vielfachen Zukurzkommens hindurchbringen wird bis an das herrliche Ziel.
Die ernsten Warnungen und selbst Drohungen des Wortes Gottes richten sich nicht an aufrichtige, zagende Seelen, — ihnen ruft es zu: „Fürchte dich nicht! denn ich bin mit dir" —, sondern an sorglose und gleichgültige, an solche, die, müde geworden, zurückgeblieben sind und nun in Gefahr stehen, völlig von dem Wege abgewandt zu werden.
Doch uns allen gilt das Wort: „Darum, Brüder, befleißiget euch umsomehr, eure Berufung und Erwählung festzumachen (nicht bei Gott, sondern in unseren Herzen); denn wenn ihr diese Dinge tut, so werdet ihr niemals straucheln". Und: „Lasst uns das Bekenntnis der Hoffnung unbeweglich festhalten, denn treu ist Er, der die Verheißung gegeben hat". (2. Petr,1,10; Hebr. 10,23)