RB- Der Richterstuhl und der Gläubige


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Vielen Kindern Gottes ist der Gedanke an ein Erscheinen vor dem Richterstuhl Gottes oder Christi ganz unfasslich. Sie meinen, ein solches Erscheinen sei mit der Gnade, die ihnen widerfahren ist, unmöglich in Einklang zu bringen und widerspreche unmittelbar dem Worte, dass ein jeder, der dem Zeugnis Gottes über Seinen Sohn glaubt, ewiges Leben hat und nicht ins Gericht kommt. Sie übersehen dabei aber zunächst, dass die Schrift hinsichtlich der Erlösten nicht von einem Gerichtetwerden, sondern nur von einem Offenbarwerden oder Rechenschaftgeben redet, und weiter, dass ein solch völliges Offenbarwerden sowohl um Gottes als auch um ihretwillen notwendig ist. Sie haben auch wohl noch nicht verstanden, dass gerade zu dem Zweck, um uns (den Gläubigen) Freimütigkeit zu geben am Tage des Gerichts, „die Liebe hierin mit uns vollendet worden ist, dass, gleichwie Er (Christus) ist, auch wir sind in dieser Welt". Hätten sie die Vollkommenheit dieser Liebe erkannt, so würden sie sich vor dem Richterstuhl nicht fürchten; denn „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus". (Vergl. 1. Joh. 4, 47—49.)

Dem Worte „Richterstuhl" in dem eben besprochenen Sinne begegnen wir in der Schrift wohl nur zweimal, in Röm. 44, 40 und in 2. Kor. 5, 40. In der ersten Stelle lesen wir: „Denn wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden", um ein jeder für sich selbst Rechenschaft zu geben; in der zweiten heißt es: „Denn wir müssen alle vor dem Richterstuhl des Christus offenbar werden, auf dass ein jeder empfange, was er in dem Leibe getan, nach dem er gehandelt hat, es sei Gutes oder Böses". In der letzten Stelle wird also neben der Tatsache selbst auch deren Notwendigkeit betont. Alle Menschen werden, ja, müssen vor diesen Richterstuhl gestellt werden, sei es um dort gerichtet oder um offenbar zu werden. Wer in und mit seinen Sünden dort erscheint, kann selbstverständlich nur ein furchtbares, ewig gültiges Urteil erwarten; er ist ja schon gerichtet, weil er nicht geglaubt hat an den Namen des Sohnes Gottes. Wer aber dort steht, vollendet in Ihm, der am Kreuze für ihn zur Sünde gemacht und gerichtet wurde, wer also, wie der Apostel Johannes es ausdrückt, schon in dieser Welt ist, gleichwie Er (Christus) ist, darf dem Offenbarwerden mit Freimütigkeit entgegensetzen. Für ihn ist jedes Gericht vorübergegangen; es hat an seiner Statt seinen göttlichen Stellvertreter getroffen. Der Gläubige ist in der gegenwärtigen Zeit schon „Gott offenbar geworden", und wie könnte dereinst Christus solche richten, die Ihm gleich sind?

Ist es nicht bemerkenswert, dass die Schrift das Wort „Gericht" sorgfältig vermeidet, wenn sie von Gläubigen spricht, oder wenn diese in die Zahl der in Rede Stehenden auch nur eingeschlossen werden können?

Zur Klärung der ganzen Frage sei auf folgende, dem in der Wahrheit geförderten Leser wohlbekannte Tatsache hingewiesen: einerseits steht der Gläubige heute schon vor Gott in der Vollkommenheit des Werkes Christi, vollendet in Ihm — Christus ist sein Leben, sein Friede, seine Gerechtigkeit, sein Alles; „wie der Himmlische, so sind auch die Himmlischen", und bald werden sie auch, was ihren Leib betrifft, dem Bilde des Sohnes Gottes gleichförmig gemacht werden. Anderseits befindet sich der Christ, was seinen praktischen Zustand betrifft, noch in dem Leibe der Schwachheit, in welchem die Sünde wohnt und wirkt, und die Verwirklichung dessen, was er zu sein bekennt, der Genuss der ihm geschenkten himmlischen Dinge, die Verkündigung der Tugenden Dessen, der uns in Sein wunderbares Licht berufen hat, alles das hängt ab von dem Maße des Wachstums des inneren Menschen, von der mehr oder weniger treuen Benutzung und Entwicklung der geistlichen Gaben und Kräfte, die ihm geschenkt sind. In dem ersten Sinne gibt es keinen Unterschied, wir alle sind gerechtfertigt, geheiligt, sind Menschen in Christus, sind zu Teilhabern an dem Erbe der Heiligen in dem Lichte gemacht und werden, in Sein Bild verwandelt, bald mit Ihm im Vaterhause droben weilen; in dem zweiten aber gibt es zahlreiche und große Unterschiede, und so betrachtet muss jeder für sich selbst Rechenschaft geben, und ein jeder wird seinen eigenen Lohn empfangen nach seiner eigenen Arbeit, wird empfangen, nach dem er in dem Leibe getan hat, es sei Gutes oder Böses. Das erste hängt von dem ab, was Christus für uns getan hat und ist, das zweite von dem Maße, in welchem es dem Heiligen Geiste gelingt, in uns das Bild Christi hervorzubringen und die Tätigkeiten der neuen Natur in uns anzuregen und zu fördern. Obwohl also bestehen bleibt, dass einerseits alles Gnade ist, gegründet auf das Werk Christi, wird doch anderseits auch ein jeder empfangen, nach dem er in dem Leibe gehandelt hat; der eine wird mehr, der andere weniger empfangen.

Wir wiesen weiter oben darauf hin, dass der Richterstuhl eine Notwendigkeit sei, sowohl für Gott als auch für den Menschen. Es muss einmal eine Stunde kommen, in welcher alles Verborgene ans Licht kommt, alles Geheime kund wird und die verborgensten Ratschlüsse der Herzen offenbar werden. (Luk. 8, 47; Röm. 2, '46; 4. Kor. 4, 5; vergl. Pred. 42, 44.) Eine Stunde, in welcher die Gerechtigkeit Gottes sich erweist, sei es im Gericht der Ungläubigen, sei es in der Errettung der Gläubigen; wo die einen, überführt von allen ihren Gottlosigkeiten, die Rechtmäßigkeit des Urteilsspruchs Gottes, wenn auch zähneknirschend, anerkennen müssen, und die anderen, ins volle Licht der Heiligkeit Gottes gebracht, zum ersten Mal ohne jedes Hindernis und jede Störung die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne genießen werden, die ihnen hienieden schon so köstlich war, aber durch Ursachen, die in oder außer ihnen lagen, oft gestört wurde. Wo ist ein treuer, aufrichtiger Christ, der nicht von Herzen begehrte, dass alles, was den Genuss dieser seligen Gemeinschaft beeinträchtigen kann, von ihm erkannt und restlos vor Gott gerichtet werde? Weiß er doch aus Erfahrung, dass diese Gemeinschaft, so süß und kostbar sie ist, durch einen unreinen Gedanken, durch ein unnützes Wort unterbrochen wird

Gott sei gepriesen! in jener Stunde werden wir keine Spur mehr von der Natur an uns tragen, in welcher wir jetzt sündigen, und die uns so viel zu schaffen macht; aber gerade deshalb können wir auch, wenn anders unser Herz aufrichtig vor Gott ist, ohne jede Unruhe daran denken, dass wir dann von allem, was wir in diesem Leibe getan haben, Rechenschaft ablegen sollen. Haben wir verstanden, dass wir nicht mehr im Fleische, sondern in Christus sind, liegt ferner nichts Verborgenes, nichts Verstecktes, Geheimgehalten zwischen uns und Gott, ist alles bloß und aufgedeckt vor Ihm, so denken wir mit voller Freimütigkeit an dieses Offenbarwerden im Lichte des Richterstuhls; ja, mehr als das: wir verlangen danach, weil es uns, so ernst es einerseits ist, den vollen, nie so gekannten Genuss der Gemeinschaft mit Gott bringen wird. Das was wir hienieden nur in Unvollkommenheit und mit manchen, wenn auch vielleicht nur kurzen Unterbrechungen genießen konnten, wird dann für ewig unser ungetrübtes, durch nichts gestörtes Teil sein. Geht es deshalb zu weit, wenn wir sagen: Kann ein Gläubiger nicht mit Ruhe an den Richterstuhl denken, so fehlt es ihm entweder an dem wahren, geistlichen Verständnis, oder es ist etwas zwischen der Seele und Gott nicht in Ordnung, oder es liegt an beidem zugleich? Wenn jemand das vornehmste Kleid geschenkt ist, braucht er sich nicht zu schämen, von den Lumpen zu reden, in denen er einst umherging; und wenn in einer Seele bereits alles vor Gott bloßliegt, braucht sie nicht mit Sorge daran zu denken, dass das einmal so kommen soll. Wer gewohnheitsmäßig vor Gott offenbar ist, liebt das Licht und wandelt im Licht. „Jeder, der Arges tut, hasst das Licht . . ., wer aber die Wahrheit tut, kommt zu dem Lichte." (Joh. 3, 20. 2t.) Welche Gegensätze! Während der eine die Bloßstellung seiner Werke fürchtet, sucht der andere das Offenbarwerden derselben.

Gott schenke Schreiber und Leser dieser Zeilen den wachsenden Genuss eines solchen Wandels in dem strahlenden Licht Seines Angesichts! Wieviel mehr Glück und Segen würde es uns heute bringen, und welch einen Ertrag würden wir für die Ewigkeit haben!

Nach diesen allgemeinen Bemerkungen über den Richterstuhl lasst uns noch einiger Einzelheiten gedenken. Was die beiden Ausdrücke Richterstuhl Gottes und Richterstuhl Christi betrifft, so ist der Unterschied wohl nicht groß, denn Christus ist der wahrhaftige Gott; dennoch ist im Worte Gottes nichts von ungefähr, nichts unwichtig, auch nicht dieser Wechsel im Ausdruck. Wir sehen denn auch, dass in Röm. 1.4 es sich mehr um das Verhalten der Menschen in ihren Beziehungen zueinander handelt, um das Verachten der Schwachen seitens der Starken und um das Richten der Starken durch die Schwachen. Es ist gewissermaßen ein Gericht des einzelnen — „ein jeder von uns wird für sich selbst Gott Rechenschaft geben". In 2. Kor. 5 dagegen ist mehr von guten und bösen Handlungen im allgemeinen die Rede; die Erinnerung an das Flammenauge des Richters soll uns alle zu eifrigem Gutestun anreizen.

Aus dem Wortlaut der letztgenannten Stelle geht auch deutlich hervor, dass zunächst die Handlungen dem Offenbarwerden unterliegen; aber alle unsere äußeren Handlungen sind so innig und unmittelbar mit unserem Innenleben verbunden, hangen so sehr von demselben ab, dass es schwer, ja, kaum möglich ist, beide zu trennen. Darum hören wir auch wohl, dass der Herr an jenem Tage „das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen und die Ratschläge der Herzen offenbaren wird". Es wird also nicht nur unser Tun von Beginn bis zum Ende unseres Lebens vor unsere Augen treten, sondern auch die Beweggründe, die uns geleitet, die wir, uns selbst vielleicht nicht klar bewusst, verfolgt haben, werden uns in einem Lichte enthüllt werden wie nie zuvor. Indes wird das nicht geschehen, um uns zu verurteilen, sondern um uns neben unserer eigenen Unzulänglichkeit die ganze Größe und den wunderbaren Reichtum der Gnade zu zeigen, die sich mit uns vor und nach unserer Bekehrung beschäftigt hat. Für solche, die in dem Ratschluss Gottes vor Grundlegung der Welt auserwählt waren und in der Zeit berufen und gerechtfertigt wurden, wird das Offenbarwerden ihres Lebens, ihrer ganzen Geschichte mit allen ihren Einzelheiten, gleichlaufend mit der Geschichte der Gnade und des Erbarmens Gottes in Verbindung mit ihnen, von überwältigender Wirkung sein. Neben dem sicherlich oft tief beschämenden „Wie" und „Warum" all unseres Tuns werden wir das unbegreiflich gnädige Tun Gottes mit uns, Sein Leiten, Bewahren, Zurechtbringen, Vergeben, Wiedergutmachen usw. usw. in einem Licht erblicken, wie es in der Unvollkommenheit unseres Erdenwallens nie möglich war.

Noch einmal sei gesagt, dass das Offenbarwerden vor dem Richterstuhl, so furchtbar und vernichtend es für den Ungläubigen sein wird, für den Gläubigen nicht so sehr einen richterlichen als vielmehr einen aufklärenden Charakter trägt. Wir sind dort nicht als Menschen „im Fleische"; als solche sind wir ja mit Christus gestorben, vor Gottes Augen hinweggetan. Wohl aber wird in untrüglichem Lichte von uns gesehen werden, wo und wie wir hienieden „nach dem Fleische" gewandelt haben. Wir werden sehen, um wieviel Segen wir uns durch unsere Untreue gebracht, wie viele Verluste wir uns durch sie zugezogen haben. Mit diesem ernsten Gedanken, der uns heute antreiben sollte, „uns zu beeifern, Ihm wohlgefällig zu sein", verbindet sich aber unmittelbar der andere, bereits angedeutete, dass wir auch alle die Wege der Weisheit, der Treue, der Gnade und des Erbarmens Gottes mit uns zum ersten Mal sehen und verstehen werden, wie sie wirklich waren. Wir werden dann, ähnlich wie Mose auf dem Berge, Gott „von hinten sehen". Alle die ernsten Führungen Gottes, die Wege Seiner heiligenden Erziehung, die uns heute oft so seltsam und unerklärlich erscheinen, werden nicht mehr rätselhaft vor uns liegen. Mit staunender Bewunderung werden wir sie betrachten, und nur Gefühle der tiefsten Anbetung werden unsere Herzen erfüllen und zum vollkommenen Ausdruck kommen. Unwillkürlich fühlen wir, dass wir heute ganz außerstande sind, die Seligkeit jener Stunde auch nur zu ahnen, geschweige denn in Worte zu kleiden.

Dabei wollen wir aber die ernste Seite unseres Gegenstandes keineswegs aus dem Auge verlieren. Abgesehen von den Schrecken, welche der Richterstuhl für alle Nichterlösten in sich birgt, die uns antreiben, „die Menschen zu überreden", sich versöhnen zu lassen mit Gott, hat er etwas überaus Feierliches für die Gläubigen. Wir wiesen schon darauf hm. Der Rückblick auf unser ganzes vergangenes Leben, der uns einerseits die Gnade Gottes in nie gekannter Herrlichkeit schauen lässt, bringt uns auch all die Verfehlungen, all die verlorenen Stunden und Tage in Erinnerung, die nie wieder gutgemacht, nie wieder eingebracht werden können. Natürliche Eigenschaften und Neigungen, die wir heute nicht für so ernst und unheilvoll halten, wie sie es wirklich sind, und um derentwillen wir vielleicht manchen uns unverständlichen Führungen unterworfen sind, werden dann völlig von uns erkannt werden. Und wenn auch die gleichzeitige Erkenntnis der unwandelbaren Gnade Gottes in allen ihren Einzelheiten uns mit einer Dankbarkeit und Freude erfüllen mag, die das Gefühl der Beschämung kaum aufkommen lässt, werden wir doch die Verderbtheit unseres Fleisches in einer Tiefe sehen, wie es heute nicht möglich ist, und damit auch den ganzen Ernst und die Größe des Verlustes, den wir uns durch unsere Sorglosigkeit und Nachlässigkeit zugezogen haben. Ach! wieviel mehr „Gutes" hätte unser Leben aufweisen können, wenn wir nüchterner und wachsamer gewesen wären!

Es braucht kaum darauf hingewiesen zu werden, dass vor dem Richterstuhl in demselben Maße, wie unser Blick hinsichtlich der Hässlichkeit der Sünde und der Verderbtheit des Fleisches vor Gottes heiligem Auge geschärft ist, auch unser Verständnis des Werkes Christi und der Kostbarkeit Seines Blutes gewachsen sein wird. Wie rein uns dieses Blut von allen, allen unseren Sünden, die uns gerechterweise für ewig von Gott hätten trennen müssen, gewaschen hat, das werden wir in seiner ganzen Vollkommenheit erst in dem Lichte des Richterstuhls erkennen, auf welchem Der sitzt, der das große Werk vollbracht und uns tadellos vor Gottes Angesicht hingestellt hat, und in dessen Bild wir dann verwandelt sind.

Und wie kostbar ist es, dass jeder einzelne von uns seine Geschichte dort sehen wird. Er wird sehen, wie oft er — nicht so sehr wie der andere — der Versuchung zu erliegen drohte, und wie er bewahrt wurde; wie sein Fuß ausglitt, aber wie die Gnade ihn wieder aufrichtete, wie Gottes Arm ins Mittel trat, um ihn vor Sünde und Schande zu bewahren. Wir lesen im 19. Kapitel der Offenbarung: „Die Hochzeit des Lammes ist gekommen, und sein Weib hat sich bereitet". Dürfen wir dabei nicht gerade an dieses Offenbarwerden vor dem Richterstuhl Christi denken? Wie anders könnte die Braut sich für ihren Geliebten bereiten? Das herrliche Kleid, das sie zu Seiner Freude an ihrem Ehrentage trägt, „die Gerechtigkeiten der Heiligen", wird ihr gleichsam als Ergebnis dieser Bereitung gegeben.

Es könnte wohl noch manches andere in Verbindung mit dem Richterstuhl gesagt werden. So haben wir z. B. die so ernste und interessante Frage des Lohnes, der jedem einzelnen nach seiner Treue und seiner Arbeit zuteilwerden wird, kaum berührt. O was wird es sein, von Ihm zu hören: „Wohl du guter und treuer Knecht! über weniges warst du treu, über vieles werde ich dich setzen", und zu sehen, mit welcher Sorgfalt Seine Liebe das Kleinste und Geringste beachtet hat und hervorholt, worin unsere Liebe zu Ihm oder den Seinigen sich hienieden kundgetan hat! Mit welchen Gefühlen wird jeder Überwinder „den weißen Stein" entgegennehmen, auf welchem ein neuer Name geschrieben steht, den niemand kennt, als wer ihn empfängt! (Offbg. 2, t7.) Mit welch neidloser Freude werden wir die Krone betrachten, mit dem der Bruder oder die Schwester geschmückt sein wird!

Von besonders heiligem Ernst, aber auch kostbarer Bedeutung ist der Gedanke an den Richterstuhl für die Arbeiter im Werke des Herrn, seien sie Evangelisten, Hirten oder Lehrer. Sie alle sind in ihrem Maße Gottes Mitarbeiter in Seinem Weinberg oder an Seinem Hause. Der eine pflanzt, der andere begießt, „ein jeder aber wird seinen eigenen Lohn empfangen nach seiner eigenen Arbeit". Der Apostel Paulus hat als ein weiser Baumeister den Grund des Hauses gelegt, „welcher ist Jesus Christus", und ein jeder muss nun zusehen, wie er darauf weiterbaut. Das Werk eines jeden wird offenbar werden, vielleicht schon in dieser Zeit, jedenfalls aber an dem Tage, der in Feuer geoffenbart werden wird. Wenn das Werk jemandes bleiben wird, so wird er Lohn empfangen; wird es verbrennen, so wird er Schaden leiden, mag er selbst auch gerettet werden. (Vergl. 1. Kor. Z, 6—1.5.)

Paulus vereinigte in seiner Person mit dem weisen Baumeister und unermüdlichen Evangelisten auch den guten Hirten und treuen Lehrer. Wie er, von der Liebe Christi gedrängt, sich völlig aufopferte in dem Dienst der Heiligen, ist uns bekannt. Darum konnte er auch mit solch inniger Freude und seliger Erwartung an den Richterstuhl denken, wo der Ertrag seiner Arbeit gesehen werden würde. Wiederholt spricht er davon, dass die Gläubigen sein Ruhm sein würden an dem Tage Jesu Christi. (2. Kor. 1, 14; Phil. 2, 16; 4, 1.) Den Thessalonichern schreibt er: „Wer ist unsere Hoffnung oder Freude oder Krone des Ruhmes? Nicht auch ihr vor unserem Herrn Jesus bei Seiner Ankunft?" (1. Thess. 2.)

Der Apostel Johannes spricht im Blick auf seine Kinder im Glauben auch von Freimütigkeit bei der Ankunft des Herrn und von einem vollen Lohn, den er dann zu empfangen hoffe, (1. Joh. 2, 28; 2. Joh. 8.)

Fürwahr, der Lohn dieser treuen Männer wird groß sein. Wir werden es sehen und uns freuen. Und wenn wir auch nicht, wie die Apostel, auserwählte Rüstzeuge des Herrn sind, bleiben die göttlichen Grundsätze doch stets dieselben, und wer in der Zeit der kleinen Kraft das Wort des Herrn bewahrt und Seinen Namen nicht verleugnet, wird seinen Lohn nicht verlieren. Gerade zu solchen wird in dem Sendschreiben an Philadelphia gesagt: „Halte fest, was du hast, auf dass niemand deine Krone nehme!" (Offbg. 3, 11.)

Wenn wir an alle diese Dinge denken, so wird unwillkürlich die Frage in uns wach: Warum benutzen wir nicht treuer die gegenwärtige Zeit, die fliehenden Stunden, die nie wiederkehren? Warum sind wir nicht ernst e r in der Verleugnung unseres alten Ichs, in der Verwirklichung unseres Gestorbenseins mit Christus? O möchten wir alle mehr als bisher in dem Lichte des Richterstuhls wandeln, es auf unser ganzes Sinnen und Handeln fallen lassen, damit auch bei uns die beiden gesegneten Folgen sich zeigen, die der Apostel mit den Worten beschreibt: „Wir überreden die Menschen, Gott aber sind wir offenbar geworden", und weiter: „ich hoffe aber auch, in euren Gewissen offenbar geworden zu sein". (2. Kor. 5) So würden wir uns den Gewissen der Menschen empfehlen und unseren Mitgläubigen nicht zur Betrübnis oder gar zur Beschämung Anlass geben, wie es leider oft geschehen ist, sondern vielmehr zur Freude und „zum Ruhme unserthalben". Der Herr spricht: „Siehe, ich komme bald, und mein Lohn mit mir, um einem jeden zu vergelten, wie sein Werk sein wird". (Offbg. 22, °l2.) Wer das Wesen des Richterstuhls kennt und in seinem Licht wandelt, antwortet Umlauf dieses ernste Wort: „Amen, komm, Herr Jesus!"


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