Über die Fragen: „Hat der Mensch eine unsterbliche Seele?" und: „Gibt es eine ewige Verdammnis?" ist schon unendlich viel geredet und geschrieben worden. Dass beide Fragen von ernstester Bedeutung sind, braucht nicht betont zu werden. Aber ist es nicht eine auffallende Tatsache, dass diese Fragen, trotz der klarsten Belehrungen der Heiligen Schrift, gerade von solchen Leuten erhoben werden, die an die Schrift zu glauben, ja, „sich aufs genaueste an sie zu halten" bekennen?
*) Ich meine die sogenannten „Millenniums- oder Tagesanbruchleute", die sich neuerdings den Namen: „Internationale Vereinigung ernster Bibelforscher" beigelegt haben. (Anmerkung: heute bekannt als Zeugen Jehovas)
Ja, diese Tatsache ist nicht nur auffallend, sondern demütigend. Anstatt sich dem Worte Gottes einfältig und willenlos zu unterwerfen, trägt man seine Gedanken und Meinungen hinein und, unter dem Vorwande (gewiss auch oft der guten Meinung), der Menschheit ein möglichst großes Glück zu sichern und dem grübelnden und fragenden Geist des Menschen Anstöße aus dem Wege zu räumen, behandelt man das Wort Gottes, wie wenn es Menschenwort wäre, und Gott, als wäre Er wie „unser einer". Man sagt: „Wir bekennen — wir halten fest — wir glauben — wir halten es für weit vernünftiger — die Wissenschaft hat bewiesen usw.", und vergisst dabei, dass die Vernunft, die nur Schlüsse ziehen und Wahrscheinlichkeiten aussprechen kann, völlig außer stände ist, den Menschen über das zu unterrichten, was sein wahrer Zustand ist, sei es in gegenwärtigem oder in zukünftigem Sinne; und dass sie noch viel weniger die Frage zu beantworten vermag, wie ein Mensch Gott kennen und genießen, Ihm dienen und Ihn anbeten kann. Tatsachen können durch unsere Sinne erfasst und durch menschliche Zeugnisse bewiesen werden; außerzeitliche und übernatürliche Dinge müssen sich aber auf ein Zeugnis gründen, das über dem Menschen steht, mag es auch durch menschliche Werkzeuge vermittelt werden. Sollen wir über diese Dinge Mitteilungen empfangen, die mit göttlicher Autorität bekleidet sind, so kann das nur durch Offenbarungen von seiten Gottes geschehen; und diese finden wir ausschließlich in der Bibel, und ihnen haben wir uns deshalb unweigerlich und rückhaltlos zu unterwerfen.
Wer anders als Gott könnte uns mit Gewissheit sagen, woher wir kommen und wohin wir gehen? Unser Gewissen mag uns zuflüstern, dass wir schuldig sind und deshalb verantwortlich vor Gott, und je tätiger es ist, desto mehr werden wir unsere Untüchtigkeit fühlen, in Gottes heiliger Gegenwart zu stehen; aber es kann das Dunkel nicht lichten, kann uns keinen Weg des Entrinnens zeigen, noch die bangen Fragen bezüglich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beantworten. Nichts als eine quälende Ungewissheit, verbunden mit einem „furchtvollen Erwarten des Gerichts", wäre das Teil des Menschen, wenn nicht Gottes Wort ihn mit den Gedanken Gottes über ihn und mit Seinem Heilswege in Christus bekannt gemacht hätte. Die Erschaffung des Menschen, vor allem aber der Sündenfall mit seinen furchtbaren Folgen, und Gottes Vorkehrungen, um diesen Folgen zu begegnen, werden in diesem Worte mit göttlicher Autorität geschildert. Ja, es macht uns mit der wunderbaren Tatsache bekannt, dass der glaubende Sünder nicht nur von dem kommenden Zorn errettet werden kann, sondern auch in Christus ewiges Leben empfängt und eingeführt wird in die Gunst Gottes und in das Kindesverhältnis zu dem Vater im Himmel droben. Freilich kann das nur geschehen auf dem Wege innerer Erneuerung durch ernste
Die Leugner der Unsterblichkeit der Seele und der ewigen Verdammnis übergehen nun gerade geflissentlich den wahren Charakter und furchtbaren Ernst der Sünde, wie er im Worte Gottes dargestellt wird. Leider wird dieser Punkt, der von ganz hervorragender Wichtigkeit ist, im Allgemeinen wenig erkannt und beachtet. Und doch sind gerade deshalb die Lehren jener Leute von solch grundstürzender Bedeutung. Denn aus der Schwächung des Ernstes der Sünde folgt mit Notwendigkeit eine Herabsetzung der Verantwortlichkeit des Menschen und daraus wieder ein Verkennen des Wertes des Sühnungswerkes Christi und der Wichtigkeit der Buße. Tatsächlich wird denn auch von jenen Lehrern die Verantwortlichkeit des Menschen nur ganz oberflächlich anerkannt und das Sühnungswerk fast außer Acht gelassen. Die furchtbare Bedeutung des Verlassenseins Christi von seiten Gottes in den drei Stunden der Finsternis ist ihnen nahezu unbekannt. Es ist nicht zu verwundern. Denn wenn, wie sie behaupten, nur eine zeitliche Strafe als gerechter Lohn der Sünde genügt, warum musste dann unser Heiland solch entsetzliches Weh erdulden? warum rufen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?"? Warum war überhaupt ein so wertvolles Lösegeld wie das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, erforderlich? In Übereinstimmung damit leugnen denn auch jene Irrlehrer , dass der am Kreuze Gestorbene der Sohn Gottes war, leugnen, dass das Opfer des Leibes Jesu Christi dort ein für allemal geschehen ist*), leugnen ferner die mit solch überwältigender Kraft bezeugte leibliche Auferstehung unseres Herrn und Heilandes.
*) Der Amerikaner Russell, der im Jahre 1916 verstorbene geistige Führer und eigentliche Stifter der ganzen bösen Richtung lehrt: „Der buchstäbliche Leib Jesu war der Grund unserer Annahme bei Gott. Die Versammlung ist der mystische Leib
Und wie mit dem Sühnungswerk, so ist es mit der Buße. Sie wird im gleichen Verhältnis ihres Ernstes und Wertes entkleidet, und das nicht nur beiläufig, sondern mit voller Absicht. So urteilte schon vor Jahren ein anerkannter Verfechter jener Lehren, dass Gewissensnot und Schrecken über begangene Sünden nichts seien wie die Ergebnisse einer niedrigen sklavischen Furcht, und deshalb durchaus verwerflich. Der Betreffende war denn auch, als jemand ihn über die Verantwortlichkeit des Menschen befragte, aufrichtig genug, einzugestehen, dass er außerstande sei, sie mit seinem Lehrsystem in Einklang zu bringen, aber da sie einmal in der Schrift gelehrt werde, so leugne er sie nicht.
Es ist erschreckend, wohin man kommt, oder richtiger wohin Satan einen Menschen bringt, wenn er die Ehrfurcht vor Gottes Wort aufgibt und den törichten und bösen Spekulationen des eigenen, von Satan beeinflussten Geistes und Verstandes folgt. Es gibt kaum eine christliche Grundwahrheit, die nicht von den Tagesanbruchleuten angetastet, verdreht oder geleugnet würde. Das Opfer dieses Leibes ist seit achtzehn Jahrhunderten fortgeschritten"; und an einer anderen Stelle: „Christus ist in dem Sinne während dieser 1800 Jahre in der Welt gewesen, dass Er durch mich und dich und jeden geweihten Unterpriester dargestellt worden ist, und schließlich wird das Sühnopfer vollendet sein, und Er wird das Blut des Opfers darbringen". In Übereinstimmung damit konnte man denn auch in einer Nummer des „Wachtturm", die ausschließlich Berichte über die Beerdigungsfeierlichkeiten Russells brachte, nach einer Schilderung des unbeschreiblich schönen Blumenschmucks, folgendes lesen: „Am Fußende des Sarges stand eine gebrochene Säule aus Blumen, ein passendes Sinnbild für den teuren Leib, welcher gleich dem Leibe des Herrn im Dienste für die Brüder gebrochen worden war, während zu Häupten ein herrliches Kreuz und eine Krone aus Blumen lag. Das Kreuz versinnbildlichte seinen Anteil an dem Tode Christi, und die Krone die Krone der Herrlichkeit, welche er nun, wie wir glauben, mit unserem Herrn im Himmel trägt."
Lehrsystem stürzt die Grundlagen des Christentums geradezu um und bietet dafür, von Gott und Seinen Ratschlüssen in der Ewigkeit beginnend und mit Seinen Wegen am Ende der Tage, ja, mit Seinen Gedanken über die ewigen Ausgänge von Menschen und Dingen schließend, ein verworrenes Gewebe menschlicher Erfindungen und teuflischer Eingebungen. Was diese Lehren so besonders ernst und verführerisch macht, ist der Umstand, dass ihre Vertreter einerseits mit einer verblüffenden Sicherheit aufzutreten wissen, und dass sie anderseits die Schriften in der Weise „verdrehen", dass sie nach Belieben Stellen aus ihrem Zusammenhang herausreißen oder einzelnen Worten und Ausdrücken, unter völliger Nichtachtung deutlich redender Erklärungen der Schrift, willkürliche, ihren Zwecken dienende Deutungen geben und dann, auf diese Stellen oder Worte pochend, den Hörern oder Lesern ihre eigenen Ideen in geradezu gewalttätiger Weise aufzwingen. Die natürliche Neigung des Menschenherzens, die törichtesten Behauptungen und unsinnigsten Lehren, wenn sie nur mit der nötigen Dreistigkeit vorgetragen werden, lieber zu glauben, als die einfache, nüchterne Wahrheit, tut das Übrige.
Es ist nun nicht meine Absicht, in der vorliegenden Schrift die Lehren Russells und seiner Jünger eingehend zu behandeln; ich möchte nur einige daraus hervorheben, die immer wieder in zahllosen Schriften mit einem Eifer verbreitet werden, der für eine bessere Sache vorbildlich sein könnte.
So betonen z. B. jene Lehrer nachdrücklich, dass Menschen- und Tierseelen gleichartig seien, und führen zur Stützung ihrer Behauptung Stellen aus dem 1. Buche Mose an, unter anderen Kap. 7, 22, wo es heißt: „Alles, in dessen Nase ein Odem des Lebenshauches war, starb". Ferner Hiob 34, 14. 15: „Wenn Gott Seinen Geist und Seinen Odem an sich zurückzöge, so würde alles Fleisch insgesamt verscheiden und der Mensch zum Staube zurückkehren". Die Tiere haben, so behaupten sie, in derselben Weise eine lebendige Seele wie der Mensch. Dieser besitzt allerdings ein größeres Gehirn und deshalb mehr Verstand als die Tiere, im Übrigen aber hat er eine lebendige Seele genauso wie sie. Wenn das aber der Fall ist, wenn wir im Grunde also nur höherstehende Tiere sind, wo bleibt dann unsere Verantwortlichkeit? Man kann einem Tiere doch nicht Sünde anrechnen, ebenso wenig wie jemand behaupten wird, dass Christus gestorben sei, um die Sünden eines Tieres Hinwegzutun.
Wir erkennen hieraus ohne Mühe, warum in jenem Lehrsystem Verantwortlichkeit und Buße den ihnen gebührenden Raum nicht finden können und warum der Wert und die Bedeutung des Sühnungswerkes so in den Hintergrund treten müssen. Ja, mehr als das: die ernste und wichtige Frage, was Christus am Kreuze für uns getan hat, wird von Grund aus verfälscht.
Dass das Tier eine Seele besitzt und, wie der Mensch, eine lebendige Seele genannt wird, wird wohl von niemand geleugnet; auch nicht, dass das Tier, je nach seiner Art, gewisse geistige Eigenschaften besitzt, durch die es sich von anderen, höher oder niedriger stehenden, mehr oder weniger entwickelten Arten unterscheidet. Aber der Mensch nimmt in der Schöpfung einen in jeder Hinsicht eigenartigen Platz ein, abgesondert von und über allen anderen Geschöpfen. Seine Erschaffung lässt sich mit dem Werden der Tiere gar nicht vergleichen. Bei diesen heißt es einfach: „Gott schuf", oder: „Gott machte", oder: „Gevögel fliege über der Erde", oder: „Die Erde bringe hervor lebendige Wesen nach ihrer Art: Vieh und Gewürm usw." — „und es ward also". Wie ganz anders aber gestaltete sich die Erschaffung des Menschen! Wir lesen: „Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen in unserem Bilde, nach unserem Gleichnis, und dass sie herrschen über die Fische des Meeres und über das Gevögel des Himmels usw." Gott kündigte also die Einführung des Menschen mit einer unvergleichlichen Feierlichkeit an. Er ging mit sich selbst zu Rate, ehe Er den Menschen schuf, und Er beschloss, ihn in Seinem Bilde, nach Seinem Gleichnis zu machen; auch bestimmte Er ihn von vornherein zum Herrn über die ganze irdische Schöpfung. Der Mensch erhielt also nicht nur hinsichtlich dieser Schöpfung eine Stellung, die keinem Engel zugeschrieben wird, sondern auch einen Platz besonderer Nähe zu Gott und in gewisser Hinsicht der Ähnlichkeit mit Gott. Von keinem anderen Geschöpf sagt Gott, dass Er es in Seinem Bilde, nach Seinem Gleichnis geschaffen habe. Selbst von den Menschen in ihrem gefallenen Zustande wird bezeugt, dass sie „nach dem Bilde Gottes geworden sind". (Jak. 3, 8.) Ferner sollte der Mensch nicht nur die Erde füllen, sondern sie sich auch untertan machen und herrschen über Fische, Vögel und alles Getier, das sich auf der Erde regt. (Kap. 1, 28.) Dem Menschen wurde so eine gewaltige Überlegenheit und ein hoher Vorrang zuteil, nicht nur dem Grade, sondern auch der Art nach; er empfing sowohl eine sittliche Natur als auch einen Geist, der im Vergleich mit den bloßen Instinkten der niedrigen Schöpfung eines unbeschränkten Fortschreitens fähig ist.
Aber das ist noch nicht alles. Im 2. Kapitel bringt Jehova Gott — nicht einfach Gott (Elohim), der Schöpfer, sondern Jehova Elohim, der sittliche Regierer und Lenker des Weltalls, — den Menschen in besondere Beziehungen zu sich selbst, sowohl hinsichtlich seines Bereichs, als auch seiner Gefährtin und seiner Untertanen. Darum wird uns hier berichtet: „Und Jehova Gott bildete den Menschen, Staub von dem Erdboden, und hauchte in seine Nase den Odem des Lebens; und der Mensch wurde eine lebendige Seele". (V. 7.) Alle Tiere waren lebendige Wesen oder Seelen, aber sie lebten, indem sie geschaffen wurden. Nicht so der Mensch. Das äußere Gefäß wurde zunächst von Gott mit Sorgfalt für den Menschen gebildet, und dann erst hauchte Gott in seine Nase den Odem des Lebens. Dem Menschen allein wurde also das Vorrecht der Einhauchung des Lebensodems zuteil. Auf diese Weise wurde er, und zwar nur er, zu einer lebendigen Seele. D e s h a l b ist die Seele des Menschen unsterblich. Er empfing seine lebendige Seele durch die unmittelbare Einhauchung Gottes. Darum steht der Mensch auch in einem ganz besonderen, ihm bewussten Verhältnis zu Gott: er ist fähig, göttliche Mitteilungen zu empfangen, ist verantwortlich, Gottes Willen zu tun, und wird dereinst Gott Rechenschaft geben müssen von all seinem Reden und Handeln.
In Übereinstimmung damit hören wir gleich darauf von dem Garten Eden, den Gott für den Menschen, und zwar ausschließlich für ihn, machte, und den Er bepflanzte mit allerlei Bäumen zur Speisung des Menschen und mit „dem Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen", dem Zeichen und Prüfstein der Verantwortlichkeit des Menschen, und (gänzlich unterschieden von jenem) mit „dem Baume des Lebens in der Mitte des Gartens". Von dem verbotenen Baume zu essen bedeutete Ungehorsam und als Folge davon Tod, während von dem Essen der Frucht des anderen Baumes das Leben abhing. Dann wurden alle Tiere zu Adam gebracht, damit er als Herr ihnen Namen gebe nach seinem Belieben, und schließlich baute Jehova Gott selbst in geheimnisvoller Weise aus der Rippe Adams ein Weib, die Gehilfin und Teilhaberin all seiner Segnungen, und Er selbst „brachte sie zu dem Menschen".
So empfing der Mensch denn in jeder Hinsicht einen Platz, der ihm allein eigen ist und ihn hoch erhebt über alle übrigen geschaffenen Wesen, zugleich aber auch seiner Abhängigkeit und Verantwortlichkeit Gott gegenüber Ausdruck gibt. Doch allem voran steht die Tatsache, dass Gott in seine Nase den Odem des Lebens hauchte, sodass der Mensch sein eigentliches inneres Leben unmittelbar von Gott empfing. Er kann deshalb auch „Sohn Gottes" (Luk. 3, 38) und „Gottes Geschlecht" (Apstgsch. 17,29) genannt werden, und das in seiner natürlichen Stellung als Mensch, ganz abgesehen davon, ob er durch den Glauben an Christus aus Gnaden ein Kind Gottes wird oder nicht. Mag er sich noch so sehr erniedrigen, wie die Athener es seiner Zeit getan hatten, sein Verhältnis zu Gott als seinem Schöpfer bleibt dadurch unberührt, und er kann sich der Verantwortlichkeit, welche sein hoher Stand ihm auferlegt, nicht entziehen.
Dass der Mensch (auch der unbekehrte, nicht wiedergeborene) ein anderes Leben besitzt als alle übrigen Lebewesen, geht auch aus dem Umstand hervor, dass er ein Gewissen hat, das ihn leitet, ihn mahnt und warnt, oder sein Tun gutheißt. Er hat eine Seele, die Gott hassen kann und tatsächlich gehasst hat oder noch hasst, die so gebildet ist, dass sie sich zu Gott erheben, mit Ihm reden, Ihm danken oder Ihm fluchen kann, eine Seele, die sich in Ungehorsam und Eigenwillen gegen Gott aufzulehnen oder auch im Selbstgericht vor Ihm niederzubeugen vermag. Ich brauche kaum darauf hinzuweisen, dass alles das von keinem anderen Lebewesen, auch nicht von dem höchststehenden Affen oder dem klügsten Elefanten, gesagt werden kann. Der Mensch ist eben ein sittliches Wesen, „Gottes Geschlecht". Kommt er durch Gottes Gnade zur Einsicht über seinen natürlichen Zustand, so erinnert er sich seiner früheren Verfehlungen, erkennt seine Schuld vor Gott und fühlt, dass er Gericht von feiten Gottes verdient hat. Wie könnte man von solchen Dingen in Verbindung mit einem Tiere reden?
Wäre der Mensch nur in dem Sinne ein unreines Wesen, wie die Tiere als zu dieser Schöpfung gehörend es sind, so könnte er weder Buße tun noch an eine Sühnung für seine Sündenschuld denken. Der Begriff „Sünde" wäre dann überhaupt hinfällig, von Verantwortlichkeit könnte keine Rede sein. Der Mensch wäre, gleich der übrigen Schöpfung, zwar der Eitelkeit und Verweslichkeit unterworfen, aber nicht durch seinen Willen, durch seine Schuld. (Vergl. Röm. 8, 20.) Das Wort aber sagt, dass wir von Gott entfremdet, Feinde Gottes sind nach der Gesinnung in den bösen Werken, dass unsere natürliche Gesinnung Feindschaft ist gegen Gott usw. (Kol. 1, 21; Röm. 8, 7.) So sehen wir denn, dass jedes wahre Gefühl über Sünde, Verantwortlichkeit, Buße, Sühnung usw. schwindet, sobald man dem Betrüge Satans — denn so können wir die verhängnisvolle Lehre, die uns beschäftigt, nur nennen — sein Ohr leiht.
Ist es nun nicht überaus traurig, dass Leute, die nicht nur den Namen „Christen" tragen, sondern sich rühmen, in ganz besonderer Weise „die Wahrheit" zu kennen und ihr zu folgen, sich aus allen Kräften bemühen, den Menschen auf gleichen Boden mit dem unvernünftigen Tiere zu stellen? Außer den bereits angeführten Stellen weisen sie hin auf 1. Mose 9, 10, Psalm 104, 29. 30, Hes. 18, Offbg. 16, 3, 1. Kor. 15, 44—47 u. v. a., und folgern aus dem Umstande, dass alle anderen Geschöpfe, gleich dem Menschen, lebendige Seelen genannt werden, dass dieser keinen Vorzug vor jenen habe. Anscheinend gibt ihnen eine Stelle wie Pred. 3, 19. 20 eine Unterlage für ihre Behauptung. Triumphierend fragen sie deshalb auch: Sagt Gottes Wort selbst nicht klar und deutlich, dass Menschen und Tiere einerlei Geschick haben? „Wie diese sterben, so sterben jene, und einen Odem haben sie alle; und da ist kein Vorzug des Menschen vor dem Tiere, denn alles ist Eitelkeit. Alles geht an einen Ort; alles ist aus dem Staube geworden, und alles kehrt zum Staube zurück." Aber sie vergessen ganz und gar, dass der Prediger nur das beschreibt, was unter der Sonne geschieht, und so wie es sich der Beobachtung des Menschen äußerlich darbietet. Er fügt deshalb auch sogleich hinzu: „Wer weiß von dem Odem der Menschenkinder, ob er aufwärts fährt, und von dem Odem der Tiere, ob er niederwärts zur Erde hinabfährt?" Niemand sieht das; darum haben nach dem Urteil des nur das Sichtbare wahrnehmenden Auges Menschen und Tiere ein gleiches Geschick. Beide liegen im Tode entseelt da und verfallen der Verwesung.
Wir haben schon gesehen, dass die Bezeichnung „lebendige Seele" den Menschen nicht von den übrigen geschaffenen Wesen unterscheidet. Aber die Art und Weise, wie er zu einer solchen wurde, sondert ihn von der ganzen übrigen Schöpfung aus. Sein Leben hatte, zum Unterschiede von allen anderen Geschöpfen, eine göttliche Quelle. Er bekam Anteil an etwas, das unmittelbar von Gott kam. „Im Bilde Gottes" geschaffen, unterscheidet er sich seiner ganzen Stellung und seinem inneren Wesen nach von allen anderen Lebewesen. Die Versuche, diese völlig unterschiedliche Natur des Menschen zur Gleichheit mit dem Tiere herabzuwürdigen, gehen darum wahrlich nicht von Gott aus, sondern sind auf die alte Schlange, auf Satan, den Vater der Lüge, zurückzuführen.
Der Mensch besitzt etwas, das der Tod nicht anzutasten vermag. Der Herr ruft deshalb Seinen verfolgten Jüngern und Jüngerinnen zu: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht zu töten vermögen; fürchtet aber vielmehr Den, der sowohl Seele als Leib zu verderben vermag in der Hölle". (Matth, 10, 28.) Mit anderen Worten: Über das, was sich außerhalb des leiblichen Lebens befindet, hat der Tod keine Gewalt. Es steht durchaus außer seinem Bereich. Der Tod lässt die Seele bestehen, und zwar nicht nur die Seele des Gläubigen, sondern alle Seelen. Als die Sadduzäer einmal die Auferstehung in Frage zogen, sagte der Herr nicht etwa nur von Abraham, Isaak und Jakob oder von den anderen Gläubigen des Alten Testaments, dass sie lebten, noch gründete Er ihr Leben auf die Tatsache, dass sie „Heilige" waren, sondern Er sprach: „Gott ist nicht Gott der Toten, sondern der Lebendigen, denn für Ihn leben alle" — alle Menschen ohne jegliche Ausnahme. Ich wiederhole darum: Der Tod vermag die Seele des Menschen nicht anzutasten. Sie stirbt niemals. Die Zerstörung des Leibes berührt sie als solche in keiner Weise.
Wenn im Worte Gottes von „Sterblichkeit" die Rede ist, so handelt es sich immer um den Leib des Menschen, um den körperlichen Zustand, in welchem wir uns als Nachkommen des gefallenen Adam befinden, niemals aber um die Seele. (Man verwechselt oft — und gerade jene bösen Lehrer tun es mit Vorliebe — die Begriffe „ewiges Leben" und „Unsterblichkeit", und man kann nicht oft genug betonen, dass nur dem Glaubenden ewiges Leben zuteil wird, und zwar Leben in dem zweiten Menschen, dem letzten Adam. Es hat mit der Frage, ob sterblich oder unsterblich, oder mit unserem Zustand als Nachkommen des ersten Menschen, garnichts zu tun. Doch wir werden noch näher darauf zurückkommen.) So lesen wir in 1. Kor. 15, 53: „Dieses Verwesliche muss Unverweslichkeit anziehen, und dieses Sterbliche Unsterblichkeit anziehen" (vergl. auch V. 54), und in 2. Kor. 4, 11: „auf dass auch das Leben Jesu an unserem sterblichen Fleische offenbar werde". Ferner schreibt der Apostel in Röm. 6, 12: „So herrsche denn nicht die Sünde in eurem sterblichen Leibe, um seinen Lüsten zu gehorchen", und in Kap. 8,11: „Wenn aber der Geist Dessen, der Jesus aus den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird Er, der Christus aus den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen". Und in 2. Kor. 5, 4: „Denn wir freilich, die in der Hütte sind, seufzen beschwert, wiewohl wir nicht entkleidet, sondern überkleidet werden möchten, damit das Sterbliche verschlungen werde von dem Leben".
In dieser letzten Stelle handelt es sich so offensichtlich um den sterblichen Leib, die Hütte des Menschen, im Gegensatz zu der unsterblichen Seele, die in dieser Hütte wohnt, dass tatsächlich viel Dreistigkeit und ein großes Vertrauen auf die Urteilsunfähigkeit der Hörer oder Leser dazu gehört, um zu behaupten, nirgendwo in der Heiligen Schrift werde die Unsterblichkeit der Seele gelehrt. Der Ausdruck „unsterbliche Seele" findet sich allerdings nirgend, aber die Sache wird immer und immer wieder betont.
Außer den angeführten Stellen ist von „Sterblichkeit" oder „Unsterblichkeit" nur noch in 1. Tim. 6, 16 die Rede, wo der Apostel in Bezug auf Gott sagt, dass „Er allein Unsterblichkeit habe, ein unzugängliches Licht bewohne usw." Gott allein besitzt Unsterblichkeit, d. h. Er ist in Seiner Natur unsterblich. Diese Tatsache stößt keineswegs die andere um, dass Gott einem Teil Seiner Geschöpfe ein unvergängliches Dasein verliehen hat. „Engel" sind z. B. nicht sterblich, wie allgemein zugegeben wird und Luk. 20, 36 beweist; aber es kann nicht von ihnen gesagt werden, dass sie „Unsterblichkeit haben". Ihr Leben ist ein geschaffenes Leben, und ihr Dasein ist, gleich dem unsrigen, abhängig von Dem, der es gegeben hat, und in welchem sie es haben. Wir alle, als Menschen, „leben und weben und sind in Ihm". (Apstgsch. 17, 28.) Alle Dinge bestehen in Ihm und durch Ihn. Gott allein besitzt Seinem Wesen und Bestehen nach Unsterblichkeit; aus diesem Grunde vermag auch Er allein Unsterblichkeit mitzuteilen.
Ich wiederhole also: Der Mensch ist nur was seinen Leib betrifft sterblich, und dieser Leib, dieses Sterbliche und Verwesliche, muss nach 1. Kor. 15, 53 einmal Unsterblichkeit und Unverweslichkeit anziehen, denn Fleisch und Blut, d. i. der leibliche Zustand, in welchem wir uns gegenwärtig befinden, kann das Reich Gottes nicht ererben. Eine Verwandlung muss stattfinden, um aus diesem sterblichen Leibe einen unsterblichen zu machen. Gott sei Dank! die Zeit kommt, wo er aufgehört haben wird, sterblich und verweslich zu sein. In seinem gegenwärtigen Zustand dem Tode und der Verwesung unterworfen, falls Gottes Macht nicht eingreift (vergl. 1. Kor. 15, 51; 1. Thess. 4, 13—18), wird er in seiner Auferstehungsherrlichkeit unsterblich und unverderblich sein; eine Trennung von Seele und Leib, die heute eben den Tod des Menschen bedeutet, wird dann nie mehr stattfinden.
Der vorhin berührte Ausspruch des Apostels: „Dies aber sage ich, Brüder, dass Fleisch und Blut das Reich Gottes nicht ererben können, auch die Verwesung nicht die Unverweslichkeit ererbt" (1. Kor. 15, 50), wird von den Tagesanbruchleuten benutzt, um die leibliche Auferstehung Christi und damit die Auferstehung des Leibes überhaupt zu leugnen. „Wir bestreiten", sagen sie, „dass Christus im Fleische auferweckt wurde; Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht ererben."
Der Ausdruck „Fleisch und Blut" bezeichnet, wie bereits gesagt, den leiblichen Zustand, in welchem der Mensch als Geschöpf hienieden besteht. An diesem Zustand hat Christus teilgenommen; anders hätte Er uns nicht aus unserem Verderben befreien und aus Satans Macht erlösen können. Er ist nicht ein Geschöpf geworden, aber ein wahrhaftiger Mensch, vom Weibe geboren. Und nur indem Er Blutes und Fleisches teilhaftig wurde, konnte Er im Tode für uns eintreten und „durch den Tod den zunichte machen, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel". (Hebr. 2, 14.) Wenn ein Mensch stirbt, so tritt er aus diesem Zustand in Fleisch und Blut heraus, legt ihn ab, um zunächst in den Zwischenzustand einzutreten, in welchem Leib und Seele voneinander getrennt sind. Als Christus starb, legte auch Er diesen Zustand, in welchem Er mit unserer Schuld beladen und für uns zur Sünde gemacht werden konnte, für immer ab, um, nach kurzem Verweilen in dem Zwischen- zustand (Hades), in der Auferstehung in einem ganz neuen Zustand, als das verherrlichte Haupt der neuen Schöpfung, vor die Augen Seiner Jünger hinzutreten. Am Abend Seines Auferstehungstages erschien Er in der Mitte der kleinen, bei verschlossenen Türen versammelten Schar und sprach: „Friede euch! Sie aber erschraken und wurden von Furcht erfüllt und meinten, sie sähen einen Geist. Und Er sprach zu ihnen: Was seid ihr bestürzt, und warum steigen Gedanken auf in euren Herzen? Sehet meine Hände und meine Füße, dass ich es selbst bin; betastet mich und sehet, denn ein Geist hat nicht Fleisch und Bein, wie ihr sehet, dass ich habe." (Luk. 24, 36. 39.)
Bestimmter und deutlicher könnte die leibliche Auferstehung unseres Herrn und Heilandes nicht bezeugt sein. Der infolge ihrer Bestürzung begreiflichen Auffassung der Jünger, sie sähen einen Geist, tritt der Herr mit der wiederholten Versicherung entgegen, dass Er nicht ein Geist sei, sondern ein wirklicher, körperhafter, mit den äußeren Sinnen, Gesicht und Gefühl, wahrnehmbarer Mensch. Er selbst war es, so wie Er vor Seinem Leiden und Sterben unter ihnen gewandelt hatte, mit den Zeichen Seines Todes, den Wundenmalen an Seinen Händen und Füßen, ein Mensch, der mit ihnen essen und trinken konnte, aber — ein auferstandener Mensch, mit einem Leibe, der nicht mehr an die Gesetze dieser Schöpfung gebunden, durch Mauern und Riegel nicht behindert war, mit einem Wort: ein Mensch mit einem geistigen Leibe. (Vergl. 1. Kor. 15, 44.) Eine große Veränderung war freilich mit diesem Leibe vorgegangen, aber es war derselbe Herr, derselbe Mensch Jesus Christus wie damals, „als Er noch bei ihnen war". (Luk. 24, 44.)
Beachten wir jedoch, dass der Herr nicht mehr von „Fleisch und Blut" redet, wenn Er diesen neuen Zustand bezeichnen will. Der Zustand von „Fleisch und Blut" war im Tode zurückgeblieben. Wahrhaftig gestorben und „aus den Toten auferweckt", stand Er jetzt als Einer, über den der Tod keine Gewalt mehr besaß, der den Tod vielmehr besiegt hatte, der „nicht mehr stirbt" (Röm. 6, 9), vor Seinen Jüngern, nicht ein Geist, sondern ein wesenhafter Mensch mit Fleisch und Bein, den man mit den natürlichen Augen sehen und mit den Händen betasten konnte. Sagen wir zu viel, wenn wir behaupten: Klarer und unzweideutiger könnte die leibliche Auferstehung Jesu nicht bezeugt sein? Und doch entblöden sich jene bösen Lehrer nicht, sie zu leugnen und lieber den Herrn als einen Lügner und Betrüger hinzustellen, als ihre gottlose Lehre fallen zu lassen. Fürwahr, sie gehören zu denen, die, wie der Apostel sagt, „von der Wahrheit abgeirrt sind" und „den Glauben etlicher zerstören". Gott aber helfe uns, bis ans Ende in dem zu bleiben, was wir aus den Heiligen Schriften gelernt haben, und wovon wir völlig überzeugt sind! (2. Tim. 2, 18; 3, 14. 15.)
Ich komme jetzt auf das Wort „ewig" und den schon oft erwähnten Ausdruck „ewiges Leben" zurück. Zunächst ist an der Tatsache, dass das mit „ewig" übersetzte griechische Wort wirklich die Bedeutung von immerwährend, nie endend hat, nicht zu rütteln. Autoritäten auf wissenschaftlichem Gebiet, wie Aristoteles, Philo (ein religiöser jüdischer Schriftsteller aus der Zeit der Apostel) und andere erklären es ausdrücklich so. Die Schrift redet von dem ewigen Gott, dem ewigen Geist, dem ewigen Erbe, der ewigen Erlösung usw. Dass das Wort an sich schon diese Bedeutung hat, geht unzweideutig aus der Bemerkung des Apostels in 2. Kor. 4, 18 hervor: „Das was man sieht ist zeitlich, das aber was man nicht sieht ewig". Hier steht „ewig" in ausdrücklichem Gegensatz zu „zeitlich", ohne irgendein Hauptwort, das die Bedeutung des Eigenschaftswortes beeinflussen könnte. So werden auch die Ausdrücke ewiges Leben und ewige Pein in unmittelbarem Gegensatz zueinander gebraucht. (Matth. 25, 46.)
Doch was ist „ewiges Leben"? Wir haben schon wiederholt gesagt, dass es allein in Jesu Christus, dem Sohne Gottes, zu finden ist, und dass es dem Glaubenden als Gabe Gottes zuteil wird. „Der Lohn der Sünde ist der Tod, die Gnadengabe Gottes aber ewiges Leben in Christus Jesu, unserem Herrn." (Röm. 6, 23.) Es ist also nicht etwa „eine Zurückerstattung dessen, was durch Adam verloren wurde". Es ist etwas ganz anderes als ein endloses Leben, als Unsterblichkeit. Ewiges Leben ist weder das, was Adam vor seinem Falle besaß, noch das, was die Engel, diese heiligen, unsterblichen Wesen, besitzen. Dennoch verwechselt man immer wieder ewiges Leben mit Unsterblichkeit. Wie sehr mit Unrecht, geht schon aus der Tatsache hervor, dass ich als Gläubiger ewiges Leben besitze, dabei aber noch genau so sterblich bin, wie ich vor meiner Bekehrung war. Dieses Leben wird auch in keiner Weise angetastet, wenn ich sterbe. Es tritt in seiner vollen Herrlichkeitsentfaltung freilich erst in Erscheinung, wenn Jesus kommt und ich mit allen Erlösten den verherrlichten Leib erhalte. Aber mit Sterblichkeit oder Unsterblichkeit hat es so wenig zu tun, wie diese mit ihm. Beachten wir, dass Leben und Unverweslichkeit (nicht Unsterblichkeit, wie so oft gesagt wird) ans Licht gebracht worden sind durch das Evangelium — Seele und Leib haben gleicherweise teil an den gesegneten Folgen des Todes und der Auferstehung Christi. (2. Tim. 1,10.)
Der Besitz des ewigen Lebens nimmt die Sterblichkeit also nicht weg, verleiht auch keine Unsterblichkeit. Die Seele des Menschen ist unsterblich, ob er ewiges Leben hat oder nicht. Darum leben für Gott auch alle, mögen sie gestorben sein oder noch im Leibe wallen, mögen sie im Glauben stehen und ewiges Leben haben oder noch fern von Gott im geistlichen Tode liegen.
In Verbindung hiermit eine Stelle anzuführen wie: „Wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben n i c h t", ist ein Beweis von derselben leichtfertigen Begriffsverwirrung, der wir schon so oft begegneten. Ein unbekehrter Mensch, der nach dieser Stelle das Leben nicht hat, ist deswegen doch lebendig. Er würde auch nicht eine Spur mehr von jenem „Leben im Sohne" haben, wenn er selbst in dem Sinne von 1. Mose 3, 22 „ewiglich leben" würde. „Dies habe ich euch geschrieben", lesen wir in 1. Joh. 5, 13, „auf dass ihr wisset, dass ihr ewiges Leben habt, die ihr glaubet an den Namen des Sohnes Gottes." Ewiges Leben ist der gegenwärtige Besitz der Gläubigen, und zwar nur der Gläubigen. Was der Mensch im Sündenfall verloren hat und keine Kraft hat wiederzugewinnen, ist nicht die Tatsache des Lebens, d. h. des bewussten Daseins und Bestehens. Das besitzt jeder Mensch heute wie immer, mag er an den Namen des Sohnes Gottes glauben oder nicht. Ewiges Leben und gegenwärtiges Bestehen sind so völlig und gründlich voneinander verschieden, wie zwei Begriffe es nur sein können. Und warum vermengt man sie immer wieder? Nur um die einfache Wahrheit zu verfälschen und die Menschen in Verwirrung zu bringen. Wir sagten schon einmal: Satan, der Lügner von Anfang, der Menschenmörder, steckt dahinter.
Viel Missbrauch wird auch getrieben mit dem Worte
Gott sprach einst zu dem ersten Menschen im Paradiese: „Von jedem Baume des Gartens darfst du nach Belieben essen; aber von dem Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen, davon sollst du nicht essen; denn welches Tages du davon issest, wirst du gewisslich sterben" ( O. des Todes sterben, eine hebräische Redeweise). Mit anderen Worten: Sobald du deine Stellung als abhängiges Geschöpf aufgibst und im Eigenwillen handelst, wird die Sterblichkeit in deinen Zustand eingeführt werden, oder wird der Tod dich treffen. Bis dahin lag keine Notwendigkeit für den Menschen vor zu sterben; er hätte in nie endender Kraft und Frische von und vor Gott erhalten bleiben können als das glückliche Haupt einer sündlosen Schöpfung. Aber er fiel, und unmittelbar nach seinem Falle musste er den Garten Eden verlassen. Er durfte den Baum des Lebens nicht mehr berühren, damit er nicht etwa davon esse und nun in seinem gefallenen Zustande, als ein Sünder in der Welt, ewiglich lebe. Mit diesem gewiss überaus gnädigen Verbot hat Gott den Menschen nicht davon ausgeschlossen, geistliches Leben zu erlangen. Das Essen von dem Baume des Lebens hätte nur Unsterblichkeit oder wohl richtiger ein Nichtsterben, ein ewiglich Leben in seinem jeweiligen Zustande, ob unschuldig oder sündig, zur Folge gehabt. Unsterblichkeit ist aber nicht, ich betone es immer wieder, „ewiges Leben". Das was Adam verlor, war nicht ewiges Leben — was ich nicht besitze, kann ich nicht verlieren — ebenso wenig wie das, was ich durch den Glauben an Christus erlange, eine Rückerwerbung dessen bedeutet, was Adam einst verloren hat. Ewiges Leben war, wie Johannes sagt, „bei dem Vater" und ist erst in dem Sohne, in Christus, dem „letzten Adam", geoffenbart und hienieden gesehen worden. Es ist das, was „von Anfang" (des Christentums) war, was uns in Christus, dem „lebendigmachenden Geist" (1. Kor. 15, 45), geschenkt ist und uns nun befähigt, Gemeinschaft zu haben mit dem Vater und dem Sohne. (1 Joh 1,3)
Welch eine Unklarheit unter den Millenniumsleuten über den Begriff „ewiges Leben" herrscht, beweisen einige Sätze aus der Schrift eines inzwischen verstorbenen Hauptvertreters jener Richtung, eines Dr. John Edgar (Deutsch von Dr. Emil Lanz), die hier noch eine Stelle finden mögen. Er sagt:
„Die Seele, welche sündigt, wird sterben, denn „der Lohn der Sünde ist der Tod", und ewiges Leben in irgendwelcher Form (!) ist immer eine „Gnadengabe"... Wenn wir den nötigen Glauben an Gott haben, so werden wir zu der von Gott bestimmten Zeit (!) mit der Gabe des ewigen Lebens belohnt (!) werden." Der Schreiber behauptet also in einem Zuge, dass das ewige Leben eine Gnadengabe und eine Belohnung sei. Welch leichtfertige, böse Zusätze macht er ferner zu dem Worte Gottes, wenn er sagt, dass das ewige Leben „in irgendwelcher Form" und „zu der von Gott bestimmten Zeit" dem als Belohnung zuteil werde, der „den nötigen Glauben an Gott hat". Wie verfälscht er die einfachen, klaren Aussprüche desselben! Wo ist da das Zittern vor dem Worte Gottes, welches Gott von uns allen, besonders aber von einem „Lehrer" erwartet? Dieses Wort sagt, dass das Leben „im Sohne" sei, in Ihm, welcher der wahrhaftige Gott und das ewige Leben ist. Nach demselben Wort ist das ewige Leben ein gegenwärtiger Besitz: „Wer den Sohn hat, hat das Leben". — „Wer mein Wort hört und glaubt Dem, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben." — „Dies habe ich euch geschrieben, auf dass ihr wisset, dass ihr ewiges Leben habt, die ihr glaubet an den Namen des Sohnes Gottes."
Verwunderlich ist diese grobe Verirrung allerdings nicht, wenn man bedenkt, was die Tagesanbruchlente aus Jesu, dem Sohne Gottes, gemacht haben. Sie sagen: „Wir bekennen die Menschheit Jesu und die Gottheit Christi"; d. h. sie leugnen, dass Jesus war: „Gott, geoffenbart im Fleische" (1. Tim. 3, 16), sie bekennen nicht „Jesus Christus im Fleische gekommen". (1. Joh. 4, 3.) Nach ihnen war Jesus nur Mensch (vor Seiner Menschwerdung ein Engelfürst), und erst als der Auferstandene, als der zur Rechten Gottes erhöhte Christus, ist Er in die Gottheit erhoben (!) worden. Solche Menschen nennt der Apostel Johannes in seinem zweiten Briefe (V. 7) „Verführer" und „Antichristen" und ermahnt eine gläubige Frau, sie nicht ins Haus aufzunehmen und sie nicht zu grüßen. Denn wer das tue, nehme teil an ihren bösen Werken. (V. 10. 11.) Es widerstrebt uns deshalb auch, auf diese geradezu gotteslästerlichen Lehren näher einzugehen; die bloße Andeutung wird für eine einfältige und gottesfürchtige Seele genügen, um sich von ihnen und denen, die sie bringen, mit heiliger Entrüstung abzuwenden. Das ist zugleich die einzige Gewähr vor der Gefahr der Ansteckung und Verunreinigung. Das Schäflein Christi hört nicht auf die Stimme eines Fremden, lässt sich nicht mit ihm ein, sondern flieht vor ihm. (Joh. 10, 5.) So allein bleibt es bewahrt vor bösen Geistern und falschen Propheten. (Vergl. 1. Joh. 4, 1—6.)
Was der dem Menschen angedrohte Tod bedeutete, geht klar aus den Worten hervor: „Bis du zurückkehrst zur Erde, denn von ihr bist du genommen; denn Staub bist du, und zum Staube wirst du zurückkehren". (1. Mose 3, 19.) Was ist aus dem Staube gekommen, was der Erde entnommen? Der Leib des Menschen. Der Geist oder Odem, den Jehova in Adam hauchte, kam nicht aus dem Staube, sondern unmittelbar von Gott! Deshalb kehrt „der Staub zur Erde zurück, so wie er gewesen, und der Geist zu Gott, der ihn gegeben hat". (Pred. 12, 7.) Der Staub kehrt jedoch nicht zur Erde zurück, um dort zu bleiben, sondern um wie - der auferweckt zu werden, trotz aller Einsprüche der sogenannten „Wissenschaft" und aller Unmöglichkeitserklärungen des ungläubigen Menschengeistes. Gleich den „Leibern der entschlafenen Heiligen" (Matth. 27, 52) werden einmal die Leiber aller Gestorbenen auferweckt werden, und dann wird das Gericht kommen und das ewig gültige Urteil über die Sünde vollzogen werden. Die Verwesung des Leibes, die selbstverständlich allen Gestorbenen, ob Erretteten oder Verlorenen, gemeinsam ist, bedeutet nur einen vorübergehenden Zwischenzustand, welcher aufhört, sobald die Stimme des Sohnes Gottes in die Gräber dringt und „die in den Gräbern sind" hervorkommen, die einen zur Auferstehung des Lebens, die anderen zur Auferstehung des Gerichts. (Joh. 5, 28. 29.)
Dass Menschen tot, d. h. geistlich tot sein können, tot in Sünden und Vergehungen, während sie noch leben, und dass die Gläubigen Gott gegenüber „der Sünde gestorben" sein können, obwohl sie leben, versteht jeder einsichtsvolle Christ; auch dass das Gericht des Todes Entfernung von Gott in sich schließt, während die Gabe des Lebens uns grundsätzlich Segen von feiten Gottes einbringt. Das Wort „sterben" wird in seiner eigentlichen Bedeutung nie auf die Seele angewandt. Nicht die Seele als solche, sondern der Mensch ist zum Tode verurteilt worden. Hesekiel 48, das immer wieder in gegenteiligem Sinne angeführt wird, redet nur von dem zeitlichen Gericht, das einen Menschen als Strafe für von ihm selbst begangene Sünden trifft: Väter sollen nicht sterben wegen der Missetat ihrer Söhne, und Söhne sollen nicht sterben wegen der Sünde ihrer Väter. Ein jeder ist für sich selbst verantwortlich und wird seiner Sünde wegen gerichtet. „Die Seele, welche sündigt, die soll sterben." (Vergl. V. 4 und 20.) Das Wort „Seele" steht hier einfach für „Mensch". (Vergl. Jer. 31, 29. 30.) Der Sinn ist so unzweideutig und klar, dass man es geradezu böswillig nennen muss, wenn die Tagesanbruchleute, auf diese Stelle pochend, immer wieder ausrufen: „Hört ihr's nicht? Die Seele stirbt! Die Seele ist zum Tode verurteilt worden! Hier steht's geschrieben!"
Dass das Wort „Seele" in der Heiligen Schrift sehr oft für „Mensch" gebraucht wird, ist so bekannt, dass man eigentlich kein Wort darüber verlieren sollte; dennoch möchte ich einige wenige Stellen anführen. Wer sich die Mühe nehmen will, eine Konkordanz zu Nate zu ziehen, wird die Zahl mit Leichtigkeit vervielfältigen können. In 1. Mose 46, 27 lesen wir: „Aller Seelen des Hauses Jakob, die nach Ägypten kamen, waren siebenzig". (Vergl. Kap. 42, 5.) Beim Passahfest mussten die Kinder Israel je ein Lamm für ein oder zwei Vaterhäuser rechnen, „nach der Zahl der Seelen; einen jeden sollt ihr nach dem Maße seines Essens rechnen". (2. Mose 12) Am großen Versöhnungstage durfte niemand eine Arbeit tun; „jede Seele", so lautete die Verordnung Jehovas, „die irgend eine Arbeit tut an diesem selbigen Tage, selbige Seele werde ich vertilgen aus der Mitte ihres Volkes". (3. Mose 23, 30.) Im Neuen Testament ist es genau wie im Alten. „Die nun sein Wort annahmen", heißt es in Apstgsch. 2, 47, „wurden getauft, und es wurden an jenem Tage hinzugetan bei dreitausend Seelen." „Es wird aber geschehen, jede Seele, die irgend auf jenen Propheten nicht hören wird, soll aus dem Volke ausgerottet werden." (Apstgsch. 3, 28.) Im Alten Testament steht an der betreffenden Stelle (5. Mose 18, 79) statt „jede Seele" bezeichnenderweise „der Man n". „Jede Seele unterwerfe sich den obrigkeitlichen Gewalten." (Röm. 73, 7.) So sagt man ja auch heute noch nach allgemeinem Sprachgebrauch: Die Stadt zählt so und so viel tausend Seelen, d. h. Einwohner.
Wir kommen jetzt zu dem zweiten Hauptteil unserer Betrachtung, zu der Lehre
Seltsam sind die Verirrungen, zu welchen der menschliche Geist fähig ist, aber man wird immer wieder finden, dass der böse Wille des Menschen und die Neigung, seine ernste Verantwortlichkeit Gott gegenüber zu schwächen, diesen Verirrungen zugrunde liegen. Der Gedanke an den Tod ist für den natürlichen Menschen erschreckend, so erschreckend, dass Bildad, einer der Freunde Hiobs, den Tod geradezu den „König der Schrecken" nennt. Und kein Wunder! Denn nicht nur „wird das Licht finster in dem Zelte" des Sterbenden, nicht nur „gehen an selbigem Tage seine Pläne zugrunde" und „schwindet sein Gedächtnis von der Erde" (Hiob 78; Ps. 146, 4), sondern er geht in eine finstere Ewigkeit hinüber, um dort vor einem vergeltenden, gerechten Gott zu erscheinen und den Urteilsspruch über sein Leben hienieden zu vernehmen. Daher sein Bestreben, an den einfachsten, klarsten Aussprüchen der Schrift zu deuteln und ihnen ihre Schärfe, ihren Stachel zu nehmen.
Ruhe ist es, wonach der Mensch sich sehnt, nachdem dieses Leben ihm Mühsal, Arbeit und Not und Enttäuschungen aller Art gebracht und ihn rastlos umhergetrieben hat von einem Orte zum anderen. Vergessen möchte er alles, was ihm auf dem langen Wege begegnet ist und was sein Inneres mit Borwürfen und Anklagen, vielleicht auch mit Schmerz und Neue erfüllt. Ins Meer des Nichts möchte er hinabsinken und sich verlieren in dem süßen Gefühl des Nichtmehr seins, der völligen Auflösung oder der Erlöschung des persönlichen Daseins. So war es schon zur Zeit Buddhas, des indischen Weisen, und genau so ist es heute noch.
Allen diesen Wünschen kommt der Feind bereitwilligst entgegen, nicht nur durch die alles verneinenden Lehren des Unglaubens, nein, durch angeblich auf Gottes Wort gestützte Behauptungen „ernster Bibelforscher", durch die vermeintlichen Ergebnisse eines tieferen Studiums der Schriften, oder auch durch besondere Erleuchtungen und Offenbarungen, die man von oben erhalten zu haben behauptet. Die Seele des Menschen, so sagt man, schläft ein, wenn der Mensch stirbt, und sie wird erst wieder aus ihrem Schlafe, aus dem Zustande einer völligen Bewusstlosigkeit, aufgeweckt werden, wenn die Stimme des Sohnes Gottes sie ruft. Inzwischen verwest der Leib, „der Staub kehrt zum Staube zurück", und Gott gibt der Seele in der Auferstehung einen anderen, neuen Leib. Dass es eine leibliche Auferstehung nicht geben kann, „hat ja die Wissenschaft längst bewiesen". Auch Christus ist, wie wir bereits anführten, nur dem Geiste nach lebendig gemacht worden, jedwede andere Behauptung wird als „unbiblisch" zurückgewiesen.
So darf man denn beim Tode eines ungläubigen Menschen ganz ruhig sein; er geht ja nicht in eine finstere Ewigkeit hinüber, wo ein ernstes Gericht seiner wartet, sondern seine Seele schläft ein, „ruht sanft, friedlich und ohne irgendwelchen Kummer", und wenn sie bei der Wiederkunft Christi wieder aufgeweckt wird, so erhält sie, falls sie „in der gegenwärtigen Lebenszeit keine volle Gelegenheit zum Heil gehabt hat", dort eine neue Gelegenheit, sich für Christus zu entscheiden und so „die ihr in dem Erlösungswerk verbürgten Segnungen zu empfangen". Erweist ein Mensch sich auch dann noch als „unverbesserlich", so fällt er mit den übrigen Gottlosen, die sich schon während ihrer Lebenszeit als „unverbesserlich" erwiesen haben, in dem Feuersee, dem zweiten Tode, der Vernichtung anheim. Nimmt er das Heil an, so hat er zwar nicht teil an den höheren Segnungen der „Auserwählten" und „Überwinder", wird aber mit den übrigen „Willigen und Gehorsamen auf einer wiederhergestellten Erde zu menschlicher Vollkommenheit (!) emporgehoben werden". — „Die Unverbesserlichen werden schließlich vernichtet werden."
Welch ein Wust von verworrenen Gedanken und bösen Erfindungen! Aber sie enthalten gerade das, was der Mensch will: sie verheißen ihm Ruhe und Vergessen und am Ende Vernichtung. Ist's auch ein Ende mit Schrecken, was macht's aus? In einem Augenblick ist ja alles vorüber! Darum: „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sterben wir!" Wahrlich, vor solchen Propheten kann man nicht laut genug warnen. Von ihnen gilt das Wort des Propheten Jeremia: „Sie spannen ihre Junge, ihren Bogen mit Lüge" und „führen mein Volk irre mit ihren Lügen". Gott helfe allen Seinen Kindern, nicht auf sie zu hören! „Die Welt hört sie", dieselbe Welt, welche der Gläubige gerade deshalb überwindet, weil er glaubt, „dass Jesus der Sohn Gottes ist", was jene Leute nicht tun. (1. Joh. 4, 5. 6; 5, 5.) Lasst uns vielmehr lauschen auf das lautere Wort Gottes und dessen einfache, klare Zeugnisse bewahren!
Was lehrt denn die Heilige Schrift über diese Dinge?
Den Gläubigen angehend gibt sie zunächst die deutlichsten Belege dafür, dass bei seinem Abscheiden unmittelbar Freude und Seligkeit in Christus seiner warten. Der Räuber am Kreuz empfing vom Herrn die durch ein feierliches „Wahrlich" bestätigte Verheißung: „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein". Stephanus schaute in dem geöffneten Himmel die Herrlichkeit Gottes, sah den Sohn des Menschen zur Rechten Gottes stehen und betete sterbend: „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!" Paulus hatte Lust, abzuscheiden und bei Christus zu sein, weil es weit (eig. um vieles mehr — ein sehr starker Ausdruck) besser war. Wenn der Herr Jesus wiederkehrt, wird Gott die „durch Jesus Entschlafenen mit Ihm bringen" (1. Thess. 4, 14); sie müssen also schon vorher bei Ihm gewesen sein.
Es ist freilich noch nicht der Endzustand, in den der entschlafende Gläubige eintritt, noch nicht „das Vollkommene" oder die Herrlichkeit in ihrer vollen Entfaltung. Es ist ein vorübergehender Zwischen zustand, ein Warten auf die endgültige Vollendung, aber ein Weilen bei Christus, da wo Er sich jetzt als der verherrlichte Menschensohn befindet. Als solcher wartet Er ja auch noch auf die Erfüllung der Verheißung von Psalm 110, 1 (vergl. Hebr. 2, 8. 9 u. a. St.), auf die Zeit, wo alles Ihm unterworfen sein wird und selbst die „Unterirdischen" (die bösen Geister) sich vor Ihm beugen und anerkennen werden, „dass Jesus Christus Herr ist". Er wartet, und die Seinigen warten mit Ihm in dem seligen Genuss Seiner Gegenwart. Wie ein Geist Christus genießt, d. h. in welcher Weise und in welchem Maße, können wir freilich nicht sagen; aber das verursacht durchaus keine Schwierigkeit. Mein Geist genießt Christus jetzt trotz der Hindernisse, die das arme, irdene Gefäß ihm bereitet; ja, obgleich ich Ihn noch nicht sehe, „frohlocke ich mit unaussprechlicher und verherrlichter Freude". (1. Petr. 1, 8.) Es ist nicht mein Leib, der genießt, sondern meine Seele. Geistlicherweise genießt sie jetzt trotz der genannten Hindernisse und obwohl ich noch abwesend von meinem Herrn bin. Dann wird sie ohne die Hindernisse und als „einheimisch" bei Ihm genießen. Muss dieser Genuss nicht unendlich höher, tiefer und inniger sein?
Die in Christus entschlafenen Gläubigen harren also auf den Morgen der Auferstehung, auf die Wiedervereinigung von Seele und Leib, wo dann der Ratschluss Gottes im Blick auf sie, nämlich ihre Umgestaltung in das Bild Seines Sohnes (Röm. 8, 29), in Erfüllung gehen wird. Wie sie hienieden das Bild dessen von Staub getragen haben, so sollen sie dann das Bild des Himmlischen tragen. (1. Kor. 15, 49; vergl. 1. Joh. 3, 2.) Mit Ihm, dem Erstgeborenen vieler Brüder, werden sie eingehen in die vielen Wohnungen des Vaterhauses, d. i. in den ewigen Zustand der Freude und Herrlichkeit, den Gott für Seine Kinder bestimmt und bereitet hat. In diesem Zustand der vollen Entfaltung und Ausführung der Ratschlüsse Gottes befinden sich die „Entschlafenen" heute noch nicht. Sie warten darauf als solche, die „ausheimisch von dem Leibe und einheimisch bei dem Herrn" sind. Sie haben ihren Leib abgelegt, sind „entkleidet", aber sie warten bei dem Herrn auf den seligen Augenblick, wo Er aufstehen und die „Toten in Christus" (1. Thess. 4, 16) aus ihren Gräbern Hervorrufen wird.
Nach diesem „bei Christus sein" verlangte der Apostel Paulus, wenngleich es noch etwas Begehrenswerteres für ihn gab, nämlich „überkleidet" zu werden, d. h. unmittelbar, ohne den Tod gesehen zu haben, in jenen ewigen Zustand der Gleichförmigkeit mit Christus eingeführt zu werden.
Bezüglich der Menschen, die im Unglauben sterben, sagt die Schrift einfach: „Es ist den Menschen gesetzt, einmal zu sterben, danach aber das Gericht". (Hebr. 9, 27.) Und das Gleichnis von dem reichen Manne und dem armen Lazarus zeigt uns, dass in dem Zwischenzustand ( O. im Hades, dasselbe Wort wie Scheol im Alten Testament. Beide Ausdrücke bezeichnen nicht, wie man immer wieder behauptet, das Grab, sondern eben jenen Zwischenzustand, in welchem die Seele vom Leibe getrennt ist. Das Wort Gottes verwechselt die Begriffe Scheol (Hades) und Grab oder Grube niemals)
in welchem alle Abgeschiedenen sich befinden, für den in seinen Sünden Gestorbenen die Pein bereits begonnen hat und keine Hoffnung auf eine Änderung mehr ist. Es handelt sich auch in diesem Falle nicht um den Endzustand, das Gericht in seiner vollen Wirkung und Entfaltung, um den zweiten Tod, den Feuersee (die Hölle), sondern um eine Übergangszeit, in welcher die Seele aber bereits die Folgen ihrer Sünden und ihres Unglaubens zu tragen hat. Wie es „Geister der vollendeten Gerechten" im Himmel gibt, so finden wir auch „Geister im Gefängnis", (1. Petr. 3,19.) Beide Klassen sind im Hades, aber die einen in Ruhe und Freude, die anderen gefangen und friedelos.
Das sind die einfachen, ernsten Lehren des Wortes Gottes. Demgegenüber aber behaupten die Millenniumsleute: Nein, „wenn jemand stirbt, so schließt er seine Augen, gelangt in einen Zustand der Bewusstlosigkeit, und ein Zwischenraum verfließt. Dieser mag Wochen, Jahre oder Jahrhunderte andauern; aber die Länge der Dauer hat nichts auf sich, denn für jene Person ist diese Periode eine Zeit völliger Bewusstlosigkeit, totaler Leere. In anderen Worten: Jedem, der am Auferstehungsmorgen erwacht, wird es sein, als hätte er lediglich seine Augen geschlossen und sie im nächsten Augenblick wieder geöffnet. So ist der Zustand der Toten. Sie wissen gar nichts."
Eine nur flüchtige Vergleichung dieser Behauptung mit den Worten des Apostels in Phil. 1, 21—24 wird uns zeigen, wie böse und abgeschmackt sie ist. Paulus redet vom Sterben (V. 21) und nennt es Gewinn; er hatte Lust, abzuscheiden und bei Christus zu sein, weil es w eit b e s s e r für ihn war. Seine Hoffnung und sein Verlangen gingen also dahin, diese Erde verlassen, den Leib der Niedrigkeit ablegen zu dürfen und zu Jesu zu gehen. Seine Worte lassen in Bezug auf Deutlichkeit wahrlich nichts zu wünschen übrig. Er sehnte sich danach, nicht nur in Schwachheit, im Glauben Den zu genießen, den er über alles liebte, und dem sein ganzes Leben galt, sondern in Seiner unmittelbaren Gegenwart, ohne jede Störung von innen und außen, sich Seiner erfreuen zu können. Und nun scheuen sich jene Lehrer nicht, den Zustand, dem er so freudig entgegensah, „eine Zeit völliger Bewusstlosigkeit, totaler Leere" zu nennen. Die Verlegenheit, in welche ihre eigene Behauptung sie in Verbindung mit dieser Stelle bringt, zwingt sie denn auch, nach einem Ausweg zu suchen. Sie haben ihn darin gesunden, dass sie sagen, das hier für „abscheiden" gebrauchte griechische Wort bedeute, wenn man es buchstäblich übersetzen wolle, „wieder gelöst werden"; der Apostel habe also an sein „Wiedergelöstwerden" aus dem Gefängnis des Todes beim Kommen des Herrn gedacht.
Man weiß nicht, ob man sich mehr über die Vergewaltigung des Griechischen oder über die des ganzen Textes wundern soll. Das betreffende Wort kommt im Neuen Testament nur noch in Luk. 12, 36 vor, wo es mit „aufbrechen" übersetzt ist, und als Hauptwort in 2. Tim. 4, 6: „Die Zeit meines Abscheidens (od. Aufbruchs) ist vorhanden". Der Apostel betrachtet das Sterben gleichsam als einen Aufbruch zur Abreise aus dem zeitlichen Leben zu Christus. An ein Wiedergelöstwerden ist gar kein Gedanke. Stellen wir uns überhaupt den Fall vor, ein Mensch schaue mit heißem Verlangen danach aus, zu einer anderen geliebten Person hinzukommen, wisse aber im Voraus, er werde nur schlafend, nur völlig bewusstlos dort anlangen und eine totale Leere vorfinden!
Beachten wir auch, dass Christus unser Leben ist; weil Er lebt, leben wir. Verlieren wir nun jede Verbindung mit Ihm, wenn wir sterben? Schläft Er in uns? Fürwahr, man könnte über solche Sinnlosigkeiten einfach achselzuckend hinweggehen, wenn sie nicht einen so ernsten Untergrund hätten.
Dass der Tod in der Schrift mit dem Schlaf oder das Sterben mit dem Entschlafen verglichen wird, ist wahr; beachtenswert ist aber von vornherein, dass die Schrift die im Unglauben Gestorbenen niemals „Entschlafene" nennt. Sie wendet diese Bezeichnung nur auf Gläubige an. Darum wird Christus auch „der Erstling der Entschlafenen" genannt. (1. Kor. 15, 20.) Nachdem Er Sein Werk vollbracht hatte, übergab Er in Frieden Seinen Geist dem Vater und wurde in der Auferstehung das Haupt eines neuen Geschlechts. Im Anschluss an den lauten Schrei, mit dem Er verschied, wurden viele Leiber der entschlafenen Heiligen auferweckt. (Matth. 27, 52.) Ihr nachheriges Erscheinen verkündete den errungenen Sieg. Doch mehr noch. Stephanus, der erste christliche Blutzeuge, betete sterbend für seine Feinde: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht zu!" und nachdem er das gesagt hatte, entschlief er. (Apstgsch. 7.) Paulus schrieb an die Thessalonicher: „Wir wollen aber nicht, Brüder, dass ihr, was die Entschlafene n betrifft, unkundig seid... Denn Gott wird die durch Jesus Entschlafenen (nur sie; die übrigen Gestorbenen bleiben eben in ihren Gräbern bis zur zweiten Auferstehung) mit Ihm bringen." (4. Thess. 4, 13. 14.) Man vergl. auch die Stellen: Apstgsch. 13, 36; 1. Kor. 11, 30; 15, 6. 54. Die letzte Stelle, welche im Neuen Testament vom Entschlafen redet, ist 2. Petr. 3, 4. Dort sagen die Spötter: „Seitdem die Väter entschlafen sind, bleibt alles so von Anfang der Schöpfung an", indem sie so das schöne Wort sich zu eigen machen, wie die Welt es so gern tut, um sich über den Ernst des Todes hinwegzutäuschen. Aber selbst sie denken nicht im entferntesten an ein Einschlafen der Seele.
Im Alten Testament gibt es eigentlich nur drei Stellen, die für die vorliegende Frage in Betracht kommen: Hiob 14, 12; Psalm 13, 3 und Jerem. 51, 39 u. 57. In allen dreien ist von entschlafen oder von dem Schlafe als Bild des Todes die Rede, aber in allen handelt es sich so unzweideutig um den leiblichen Tod, das Sterben und Verscheiden in dem allgemein angenommenen Sinne des Wortes, dass der Gedanke eines Einschlafens der Seele nur mit rücksichtsloser Gewalt eingeführt werden kann. Die oft angezogene Stelle Dan. 12, 2 gehört kaum hierher, weil der Ausdruck: „die im Staube der Erde schlafen", wohl bildlich zu verstehen ist als eine Beschreibung des gegenwärtigen Zustandes Israels als Volk. (Vergl. Jes. 26, 19.)
Ehe wir diesen Gegenstand verlassen, möchte ich noch einmal auf die Geschichte des Räubers am Kreuz zurückkommen. Es wird behauptet, man könne auch übersetzen: „Wahrlich, ich sage dir heute: Du wirst mit mir im Paradiese sein". Aber abgesehen davon, dass man mit dieser Übersetzung den klaren Sinn der Stelle völlig verdreht, tut man dem Texte selbst wiederum Gewalt an. Das Wort „heute" steht im Griechischen ausdrucksvoll der Verheißung des Herrn voran, um der Bitte des Räubers: „Gedenke meiner, wenn du in deinem Reiche kommst", zu begegnen. Nicht erst am Ende der Tage, bei Seiner Wiederkunft, wollte der Herr seiner gedenken, in Seinem Reiche hienieden, nein, heute schon sollte er mit Ihm im Paradiese droben sein. Daher auch die feierliche Einleitung: „Wahrlich, ich sage dir". Groß war der Glaube des armen Schächers, groß daher auch die Belohnung. Wie wunderbar steht ferner die Verheißung des Herrn mit dem ganzen Charakter des Evangeliums Lukas im Einklang! Nur Lukas berichtet die Unterredung, er, der in seinem Evangelium immer wieder „den Sohn des Menschen" vor unsere Blicke stellt. Der erste Mensch, Adam, hat durch seinen Ungehorsam für sich und seine Nachkommenschaft das irdische Paradies verloren und erlangt es nie wieder zurück; der zweite Mensch, Christus, erwirbt durch Seinen Gehorsam bis in den Tod ein neues Eden, das Paradies Gottes (2. Kor. 12, 4), und führt als erste Siegesbeute den bekehrten Räuber mit sich dort ein. Wie wird dieser Triumph der Gnade Gottes und dieses herrliche Zeugnis für den Wert des Blutes Christi durch jene Behauptung geschmälert! Ganz gewiss wird der Herr einmal in Seinem Reiche kommen, aber diese neubekehrte Seele mit ihrem wunderbaren Glauben sollte nicht bis dahin warten, nein, noch am gleichen Tage sollte sie mit ihrem Herrn und Heiland in das himmlische Paradies eingehen, und damit sollten sich auch unseren Blicken für den Tag unseres Scheidens aus dieser Welt weit höhere Segnungen erschließen, als die Freuden und Herrlichkeiten eines irdischen Reiches sie uns bringen können.
Die Erwartung dieser höheren Segnungen kennzeichnete auch Stephanus, als der Tod seinem Leben und Dienst auf Erden ein Ende machte. Er sah die Himmel geöffnet und Jesus zur Rechten Gottes stehen, und er betete: „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!" Hat der Herr das Gebet erhört und den Geist Seines treuen Zeugen ausgenommen? Und geschah das nur zu dem Zweck, seinem Dienst und damit seiner Freude und seinen! Genuss an Christus ein Ende zu setzen und ihn einschlafen zu lassen, ihn in eine „Zeit völliger Bewusstlosigkeit, totaler Leere" einzuführen? Die Zeit ist wirklich zu schade, um sich mit einer solch törichten Behauptung zu beschäftigen.
Zum Schluss noch ein kurzer Hinweis auf Offenbarung 6, 9. 10. Dort sieht Johannes beim Öffnen des siebenten Siegels „die Seelen derer, welche um des Wortes Gottes und um des Zeugnisses willen, das sie hatten, geschlachtet worden waren", und hört sie mit lauter Stimme um Rache schreien für ihr vergossenes Blut. Es sind ohne Zweifel Seelen von Heiligen, aber sie sind weder gestorben, noch ausgelöscht, noch schlafen sie. Auf ihren Ruf wird einem jeden von ihnen ein weißes Gewand gegeben und die Antwort des Herrn zur bestimmten Zeit zugesichert. Sie sollten noch eine kleine Weile ruhen, bis auch ihre Brüder vollendet sein würden. Ohne Frage ist die Sprache hier, wie fast überall in der Offenbarung, symbolisch (sinnbildlich), wie die in der Geschichte von dem reichen und armen Mann bildlich; aber beide, Sinnbild wie Bild, setzen Leben und Bewusstsein, bzw.. Gemeinschaft mit Gott und Seinen Gedanken, voraus, keineswegs aber Auslöschung des Seins oder Bewusstlosigkeit nach dem Tode. In beiden Fällen sind die Betreffenden im Blick auf ihr leibliches Dasein gestorben, im Blick auf ihre Seele aber leben sie. Die Seele, vom Leibe getrennt, schläft nicht, ist nicht bewusstlos, sondern denkt, redet und wartet auf den Morgen der Auferstehung.
Einer einfältigen Seele macht die Frage der ewigen Verdammnis, die schon so unendlich viel, gründlich und oberflächlich, erörtert und in widersprechendstem Sinne beantwortet worden ist, keine Schwierigkeit. Sie liest im Worte Gottes: „Diese (die Ungläubigen oder Ungerechten) werden hingehen in die ewige Pein (od. Strafe), die Gerechten aber in das ewige Leben". (Matth. 25, 46.) Damit ist die Frage für sie entschieden. Schon ihr Gewissen sagt ihr, was diese Worte zu bedeuten haben. Sie grübelt auch nicht darüber, sondern weiß, dass der große, lebendige Gott, der Richter der ganzen Erde, recht tun wird. (1. Mose 18, 25.) Weiterhin kommt sie gar nicht auf den Gedanken, dass das Wort „ewig" hier vielleicht einen anderen Sinn haben könne als an anderen Stellen, dass es also nicht „für immerdar, unaufhörlich" bedeute.
Geradeso ist es, wenn sie hört, dass diejenigen, welche zur Zeit des Endes „das Tier und sein Bild anbeten" oder „das Malzeichen seines Namens annehmen", „mit Feuer und Schwefel gequält werden vor den heiligen Engeln und dem Lamm", dass „der Rauch ihrer Qual aufsteigt von Ewigkeit zu Ewigkeit", und dass sie „keine Ruhe haben Tag und N a ch t"; oder dass das Tier und der falsche Prophet „lebendig" in den Feuersee geworfen werden, wohin Satan ihnen später folgen muss, und dass sie dort „Tag und Nacht gepeinigt werden von Ewigkeit zu Ewigkeit". Sie findet in Offbg. 20 u. 21, dass alle, deren Namen nicht in dem Buche des Lebens geschrieben stehen, die Feigen, Ungläubigen, Lügner usw., ihr ewiges Teil in dem Feuersee haben, der mit Feuer und Schwefel brennt. Sie liest das und spricht, wenn auch in tiefer, schmerzlicher Bewegung, mit der großen Volksmenge in Offbg. 19: „Wahrhaftig und gerecht sind Seine Gerichte". Kann sie auch heute noch nicht hinzufügen (denn sie steht noch in der Zeit der Gnade): „Halleluja! und ihr Rauch steigt auf von Ewigkeit zu Ewigkeit", mit anderen Worten, vermag sie noch nicht ihr Halleluja mit der Ausführung des Gerichts zu verbinden, so weiß sie doch, dass die Zeit kommen wird, wo Gott sich geradeso in den gerechten Wegen Seines Gerichts verherrlichen und dadurch die Anbetung Seiner Erlösten wachrufen wird, wie Er es heute tut in den Wegen Seiner bedingungslosen Gnade. Sie drückt ihr Siegel darauf, wenn der Apostel in Röm. 2,5 ff. davon redet, dass der die Güte Gottes verachtende Mensch durch seine Störrigkeit und Unbußfertigkeit sich selbst Zorn aufhäuft am Tage des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes, an welchem über alle, die der Wahrheit ungehorsam, der Ungerechtigkeit aber gehorsam sind, Zorn und Grimm kommen werden. Sie beurteilt die Sünde des Menschen und deren Folgen nicht nach ihren Gedanken oder Gefühlen, misst sie nicht an dem Maßstabe menschlicher Gerechtigkeit, sondern sie betrachtet sie in dem Lichte der Heiligkeit Gottes und misst sie an dem furchtbaren Gericht, das den Sohn Gottes, den Heiligen und Gerechten, am Kreuze der Sünde wegen getroffen hat.
Tatsächlich entscheidet die Beantwortung der Frage: „Was verdienen meine Sünden?" die ganze Angelegenheit. Wenn der natürliche Tod der einzige Lohn meiner Sünden wäre, wenn die Gerechtigkeit Gottes sich mit dieser Strafe befriedigt erklären könnte, dann allerdings wäre die Lehre von einem Gericht nach dem Tode, von einer ewigen Verdammnis hinfällig. Aber es ist nicht so.
Gott ist „willens, Seinen Zorn zu erzeigen und Seine Macht kundzutun". (Röm. 9, 22.) Er ist Liebe und Licht, ulrd Seine Majestät muss der Sünde und Auflehnung des Menschen gegenüber aufrecht gehalten werden. Gott kann gar nicht anders handeln, Er kann sich nicht verleugnen.
Die „Toten", d. h. alle nicht im Glauben an Christus Gestorbenen, werden dereinst vor dem großen weißen Throne stehen und gerichtet werden nach ihren Wer - k e n. Die einen werden mehr, die anderen weniger geschlagen werden, je nach dem Maße ihrer Verantwortlichkeit, aber nicht einer wird der Strafe entrinnen. Dieser Gedanke ist dem Menschen überaus widerwärtig und widerspricht allen seinen Wünschen, seinem Gefühl und seiner Vernunft; aber Gefühl und Vernunft sind schlechte Wegweiser in den Dingen Gottes. Was können sie wissen von den Ansprüchen der Heiligkeit und Gerechtigkeit eines Gottes, vor dem selbst die Himmel nicht rein sind? Wenn sie recht hätten, warum hat Gott dann Christus „unser aller Ungerechtigkeit treffen lassen"? Warum lesen wir: „Um unserer Übertretungen willen war Er verwundet, um unserer Missetaten willen zerschlagen. Die Strafe zu unserem Frieden lag auf Ihm, und durch Seine Striemen ist uns Heilung geworden"? (Jes. 53, 5. 6.) Warum das alles? Warum, so fragten wir schon einmal, das furchtbare Verlassensein von Gott, wenn der Tod eine genügende Strafe für die Sünde wäre ? Nein, nicht nur der erste Tod, das Sterben, die Trennung von Seele und Leib, sondern der zweite Tod, der „Feuersee", mit anderen Worten, die ewige Verdammnis, das Erlöschen jeder Hoffnung, ein Zustand nie endender Ruhelosigkeit und Pein, ist das gerechte Teil des ungläubigen, widerspenstigen Sünders.
So redet Gottes Wort immer wieder. Wir haben bereits mehrere Stellen behandelt; ich möchte aus den vielen hierher gehörenden noch einige herausgreifen. Wir lesen in Matth. 8, 12: „Die Söhne des Reiches werden hinausgeworfen werden in die äußere Finsternis; da wird sein das Weinen und das Zähneknirschen". (Vergl. Kap. 13, 41. 42; 18, 8. 9; 22, 13.) „Wer irgend wider den Heiligen Geist lästern wird, hat keine Vergebung in Ewigkeit, sondern ist ewiger Sünde schuldig." (Mark. 3, 29.) „Es ist dir besser, einäugig in das Leben einzugehen, als mit zwei Augen in die Hölle des Feuers geworfen zu werden, wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt." (Mark, 9, 47. 48.) „Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben; wer aber dem Sohne nicht glaubt, wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm." (Joh. 3, 36.) In 2. Thess. 1, 8.9 sagt Paulus von denen, die Gott nicht glauben und dem Evangelium nicht gehorchen, dass sie „Strafe leiden werden, ewiges Verderben vom Angesicht des Herrn und von der Herrlichkeit Seiner Stärke". Vergl. damit die ernsten Worte in Hebr. 10, 26—31, die mit dem Ausruf schließen: „Es ist furchtbar, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen". Auch Petrus schreibt: „Der Herr weiß... die Ungerechten aufzubewahren auf den Tag des Gerichts, um bestraft zu werden". (2. Petr. 2, 9; vergl. Kap. 3, 7; Jud. 13.)
Aus allen diesen Stellen ergibt sich mit unzweideutiger Klarheit, dass die Verachtung der Liebe Gottes und die Verwerfung des Evangeliums die ewige Verdammnis nach sich zieht, dass der Zorn Gottes auf denen bleibt, die dem Sohne Gottes nicht glauben, dass ewiges Verderben und nie endende Strafe alle die trifft, welche dem Evangelium nicht gehorchen, dass für diejenigen, welche unter den Zorn Gottes kommen, ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt, dass sie keine Vergebung haben, sondern verloren gehen und in dem Feuersee, der mit Feuer und Schwefel brennt, für immer und ewig gepeinigt werden.
Dass dieses Ergebnis erschütternd ist, die tiefsten Gründe des Herzens bewegt, ja, unseren ganzen Menschen erbeben macht, braucht nicht gesagt zu werden. Gott will auch, dass diese Folgen erreicht werden, damit der Sünder sich aufmache, um dem kommenden Zorn zu entfliehen, dass er das „Heute" der Gnade benutze und von seinen bösen Wegen umkehre. Er will, dass wir, die wir den Schrecken des Herrn kennen, nicht müde werden, die Menschen zu warnen, sie einzuladen, zu mahnen, ja, zu überreden, dass sie sich versöhnen lassen mit Gott. (2. Kor. 5.) Er will, dass keiner eine Entschuldigung habe. Jeder Mund soll vor Ihm verstopft werden. Dass ein großer Unterschied in dem Strafmaß bestehen wird, bestehen muss, sagten wir bereits. Die Worte des Herrn selbst bestätigen es. (Matth. 11, 22. 24; Luk. 12, 47. 48.) Aber nach den nicht misszuverstehenden Aussprüchen des Wortes Gottes werden alle, deren Namen nicht in den Himmeln oder in dem Buche des Lebens angeschrieben sind, ihren Platz und ihr Teil in dem Feuersee finden.
Diese ernste, furchtbare Tatsache sucht man auf zwei Arten unwirksam zu machen, 1. dadurch dass man sagt, alle Menschen, ja schließlich selbst der Teufel und seine Engel (wiewohl nicht alle Anhänger dieser Richtung so weit gehen), würden mit der Zeit der gesegneten Ergebnisse des Erlösungswerkes teilhaftig werden; und 2. dadurch dass man lehrt, die Bösen und „Unverbesserlichen" würden zwar in die Hölle, den Feuersee, geworfen, aber nicht um darin zu bleiben, sondern um von den Flammen verzehrt zu werden. Auf die erste dieser beiden Lehren, die sogenannte Wiederbringungs- oder Allversöhnungslehre, möchte ich hier nicht weiter eingehen, — es ist bereits anderswo geschehen, — sondern nur über die zweite, die Vernichtungslehre, noch ein kurzes Wort sagen.
Die Tagesanbruchleute lehren: „Der zweite Tod wird dargestellt als ein See, der mit Feuer und Schwefel brennt. Dies ist ein eindringliches Bild von der völligen Vernichtung, von einem Tode, aus dem es keine Auferstehung gibt; denn Christus stirbt nicht mehr (Röm. 6, 9), sodass es ein zweites Lösegeld für Sünder nicht geben wird. Dieser zweite Tod wird in dem griechischen Wortlaut der Bibel häufig mit „Gehenna" bezeichnet. Es ist dies eins der drei Worte, die im Neuen Testament mit „Hölle" übersetzt worden sind. (Leider ist es so in den älteren übersetzungen; in den neueren werden die Worte: Grab, Hades und Hölle (wie im Griechischen) klar unterschieden.)
„Gehenna" ist die griechische Form des Namens „Tal Hinnom" und bezeichnet ein Tal, welches außerhalb Jerusalems, unterhalb des Berges Zion, liegt. Dieses Tal war früher der Verbrennungsort für den Allkehricht der Stadt. Beständig wurden Feuer darin unterhalten... Auch die Leichname von schweren Verbrechern, von denen man bekunden wollte, dass sie einer Auferstehung nicht würdig seien, wurden hineingeworfen. Wir sehen also, dass sich mit der „Gehenna", dem zweiten Tode, kein Gedanke der Qual verbindet. Es ist ein Zustand ewiger Vernichtung." Und in Bezug auf das Wort in Matth. 25, 46: „Diese werden hingehen in die ewige Pein", behaupten sie: „Eine ewige Strafe im Sinne von einer ewigen Abschneidung vom Leben, eine ewigdauernde Auslöschung des Seins der Seele, ist offenbar der Gedanke dieser Stelle".
Immer wieder begegnen wir derselben schlimmen Vermischung von Richtigem und Falschem, von Wahrheit und Lüge. Dass es für den in seinen Sünden Gestorbenen kein „zweites Lösegeld", keine Hoffnung mehr gibt, ist wahr; aber wie falsch ist die Verbindung, in welche diese ernste Wahrheit mit dem zweiten Tode gebracht wird! Was der Schreiber ferner über das Wort „Gehenna", als abgeleitet von „Tal Hinnom" sagt, trifft zu; ganz grundlos aber und falsch ist der Schluss, dass das Wort ein „eindringliches Bild von völliger Vernichtung" gebe und einen „Zustand ewiger Vernichtung" bedeute. Gerade umgekehrt! Das nie erlöschende Feuer und der unaufhörlich nagende Wurm (wenn wir diese beiden Bilder mit dem Worte „Tal Hinnom" überhaupt verbinden dürfen) beweisen das Gegenteil: der Unrat wurde nicht verzehrt, und die Leichname, die eines Begräbnisses (nicht einer „Auferstehung") unwürdig geachtet wurden, blieben unbeerdigt vor aller Augen liegen, ein Fraß der Würmer — in beiden Hinsichten also ein Bild bleibenden Gerichts.
Genau so ist es in Jes. 66, 22—24, an welche Stelle der Herr wohl anknüpft, wenn Er von dem Feuer und dem Wurm redet. Die Leichname, welche die im Tausendjährigen Reich nach Jerusalem Hinaufziehenden sehen werden, sind immer die nämlichen, bleiben dauernd bestehen als eine Warnung vor den furchtbaren Wirkungen und Folgen der Sünde, als ein Bild von dauern- d e m Elend, von endloser Schande. Die Gegenstände des heiligen Gerichts Gottes werden nicht zerstört, n i ch t vernichtet. „Ihr Wurm wird nicht sterben, und ihr Feuer nicht erlöschen, und sie werden ein Abscheu sein allen» Fleische."
Wie nun gar die Worte: „Diese werden hingehen in die ewige Pein" eine „ewigdauernde Auslöschung des Seins der Seele" in sich schließen sollen, ist völlig unerfindlich. Was für einen Sinn könnte der Ausdruck ewige Pein (oder Strafe) haben, wenn der Mensch durch sie vernichtet, wenn sein Sein völlig ausgelöscht würde? Gar keinen! Ist eine Pein oder Strafe ewig, so müssen die, welche von ihr betroffen werden, ein endloses Bestehe»» haben; sonst ist es keine ewige, sondern höchstens eine endgültige Strafe, die mit dein Vergehen ihrer Gegenstände aufhört. Der Ausdruck selbst also besagt genau das Gegenteil von dem, was man hineinlegt. In Verbindung mit den bereits erwähnten Ausdrücken: „ewiger Sünde schuldig" — „keine Vergebung in Ewigkeit" — „ewiges Verderben" — „bleibender Zorn" —„Weinen und Zähneknirschen" usw. beweist er das ewige Fortbestehen des Sünders in einem Leibe, welcher der Zerstörung nicht mehr unterworfen ist.
Von einer ewigen oder völligen Vernichtung redet die Schrift niemals, nicht einmal im Blick auf die Schöpfung. Sie wird nicht vernichtet, sondern, wie der Mensch, verwandelt werden, um in einem neuen Zustand weiter zu bestehen. Kann überhaupt etwas vernichtet werden? Doch mit der wissenschaftlichen Seite der Frage wollen wir uns hier nicht beschäftigen. Die Ausdrücke: vernichten, vertilgen, ausrotten, verzehren, verderben u. ähnl. kommen häufig in der Schrift vor, aber sie bedeuten niemals ein Aufhören des Seins überhaupt, in dem absoluten Sinne des Wortes, sondern nur ein Aufhören oder Vergehen der Personen oder Dinge dem Zustande gemäß, in welchem sie sich bis dahin befanden. So redet Gott im Alten Testament immer wieder davon, dass Er Israel vertilgen oder vernichten wolle, damit es keine Nation mehr sei. Er will die Seele, welche sündigt, ausrotten aus der Mitte ihres Volkes, die Gesetzlosen für immer vertilgen von der Erde, alle, die Frevel tun, ausrotten aus der Stadt usw. usw. Aus dem Neuen Testament will ich nur eine Stelle als Beleg anführen. Wir lesen in 2. Thess. 2, 8 von dem „Gesetzlosen", d. i. dem Antichristen, „den der Herr Jesus verzehren wird durch den Hauch Seines Mundes und vernichten durch die Erscheinung Seiner Ankunft". Das wird geschehen kurz vor oder in dem Beginn des Tausendjährigen Reiches, und doch finden wir nach Verlauf der tausend Jahre den Antichristen mit dem „Tiere" in dem Feuersee, wo ihnen dann der Teufel zugesellt werden wird, um mit ihnen gepeinigt zu werden von Ewigkeit zu Ewigkeit. Dass das nicht nach Vernichtung, nach einer ewigdauernden Auslöschung des Seins aussieht, brauche ich nicht zu sagen.