Das Künstliche und das Geistliche


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Andere Schriften von W.T. Turpin

Es gibt eine Sache, die durch das Wort gelehrt und durch die Erfahrung bestätigt wird, wie schwach auch das Bias; sein mag, in welchem die Seele sie erfasst, nämlich dass wir nur insofern dem Herrn in unseren Wegen ähnlich sind, als wir mit Ihm, wo Er ist, uns beschäftigen. „Wir aber alle, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden in dasselbe Bild verwandelt von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, als durch den Herrn, den Geist" (2. Kor. 3,18).

Haben wir aber, frage ich, in unserer Seele erfasst, oder besser, sind wir von dem erfasst worden, was in diesen wunderbaren Worten enthalten ist? Entdecken wir nicht oft einen Mangel an jener Wirksamkeit und Kraft des Lebens in uns, welche Ruhe und freudiges Vertrauen des Herzens hervorbringt? Und bringt nicht das Fehlen dieser Dinge, verbunden mit dem Gefühl, dass sie vorhanden sein sollten, bei manchen eine Art künstlichen Seelenzustandes hervor, welcher in seinen Äußerungen das gerade Gegenteil von stoben und Geist ist?

Die Frische und Energie des Lebens ist etwas unvergleichlich Erquickendes und Schönes, und so sorgsam und fleißig auch etwas gebildet sein mag, das dem Leben gleicht, so ist doch der Unterschied zwischen dem Künstlichen und dem Wirklichen sogleich erkennbar.

Wie eine Pflanze im Sonnenschein von Licht und Wärme umringt ist, so ist ein Christ, als solcher, in dem Lichte, und ist überdies der Gegenstand der Liebe des Vaters, wie Jesus es war. — „Du hast sie geliebt, gleich wie Du mich geliebt hast" (Joh. 17,23).

Es ist aber ein großer Unterschied zwischen einer Seele, welche durch diese Dinge in göttlicher Kraft wirklich aufrechtgehalten und beherrscht wird, und einer anderen, welche dieselben mühsam festzuhalten sucht, indem sie sich mit Schmerzen bewusst ist, dass sie dieselben nur anerkennt, wenn auch mit geistlichem Verständnis, aber nicht wirklich genießt. Es ist gerade derselbe Unterschied, wie wenn mein Herz sich bemüht, den Frieden Gottes zu bewahren, anstatt dass der Friede Gottes wie eine Schutzwache mein Herz bewahrt (Phil. 4, 7). Doch am meisten macht sich dieser Unterschied in seiner praktischen Wirkung spürbar. Wenn die Seele nicht festgehalten wird, sondern festzuhalten sucht, so ist in ihrem Zustand immer jene Unruhe vorhanden, welche stets durch Anstrengung erzeugt wird. Das wahre Christentum ist das Gegenteil von diesem allem. Unsichtbare Wirklichkeiten sind die herrschende Kraft, welche die Seele beeinflusst, sie erfüllt und leitet, während die Zuneigungen der neuen Natur durch Christus, ihren Gegenstand, gebildet und befriedigt werden. Und als Folge davon genießen wir Ruhe und Friede in den gegenwärtigsten Umständen, während wir auf dem Pfade wandeln, den „das Auge des Adlers nicht erspähet hat."

Es sollte nichts Gezwungenes an uns, als Christen, gesehen werden; Anstrengung irgendwelcher Art verrät Mangel an Kraft. Die Gegenwart Christi teilt uns nicht nur alles mit, sondern bringt auch in uns hervor, was für dieselbe passend ist, während Anstrengung offenbart, dass wir nicht in Seiner Gegenwart sind, da sie in der Regel gemacht wird, um das zu erlangen, was als das einfache Resultat des dort Verweilens bei uns vorhanden sein sollte. Ich möchte nicht, dass es für einen Augenblick schiene, als ob ich irgendwelche Trägheit oder Gleichgültigkeit entschuldigen wolle, und dies besonders in Sachen, welche mit einem Wandel im Geiste und nicht im Fleische zu tun haben. Aber ich fühle, man muss den Kindern Gottes gegenüber sehr darauf bestehen, dass die Gegenwart Christi allein Macht über das Herz haben und dasselbe befriedigen kann. Welch gesegnete Sache für einen armen Wurm, aufrecht gehalten und erquickt zu werden durch die Gegenwart des Herrn der Herrlichkeit, ein Gegenstand zu sein, aus welchen Seine Gegenwart, Sein Licht und Seine Liebe wirkt.

Durch was wurde Johannes gebildet? War es nicht durch den innigen Umgang mit dem Herrn, von welchem sein Liegen an der Brust Jesu ein so schöner Ausdruck ist? Er nahm diesen Platz ein, weil er wusste, dass es seinem Herrn und Meister wohlgefiel, und sollten wir nicht im Glauben das Gleiche tun? Welche Ruhe genoss er dort! Fand er es schwierig, zu sagen: „Herr, wer ist es?" Petrus mochte es schwierig finden und er war froh, sich die Nähe, in der Johannes sich befand, zu Nutze zu machen. Aber was diesen selbst betraf, so war seine Frage das einfache und natürliche Resultat seines Verweilens an diesem Platze. Jesu gesegnete Person, an deren Brust er ruhte, war für ihn alles, und um Seiner selbst willen war er dort. O dass doch Christus und alles, was Er ist, unsere Herzen mehr beherrschte! Dann würden unsre Blicke von Ihm zeugen, unsre Lippen von Ihm sprechen, unsre Gedanken sich um Ihn bewegen, und das alles ganz leicht und natürlich, in geistlicher Kraft. In einem Wort, Christus würde praktisch unser Leben sein, wie Er wahrhaftig und wirklich unser Leben ist, und durch Seine Herrlichkeit würden wir verwandelt werden in dasselbe Bild, als durch den Herrn, den Geist.

Zu welcher Erforschung des Herzens dieses leitet, weiß allein der Herr und derjenige, der diese Erfahrung gemacht hat — was es heißt, sich zu erheben und getrennt von allem zu wandeln, durch das wir einst beherrscht und gehindert waren, oft viel mehr als wir selbst es dachten. Aber Christus ist würdig. Mochten wir doch wissen was es ist, in etwas völligerem Maße unter dem Einfluss Seiner Kraft und Gegenwart zu verweilen, von Ihm allein gebildet zu sein, lange genug, so zu sagen, uns auf dem Berge aufzuhalten, um das Bild der Herrlichkeit in uns aufzunehmen. Nicht weil es dort so gut sein ist, noch in erster Linie, um ein Zeugnis für andere zu sein oder selbst bereichert zu werden, sondern um deswillen was Er ist, um Seiner eigenen, Ihm innewohnenden Kostbarkeit willen. Freilich werden wir mir in dem Maße, als Christus der Gegenstand unserer Augen und Herzen ist, in unseren Seelen zunehmen und ein Zeugnis für andere sein. Es ist ein großer Trost und eine Freude zu wissen, dass die ganze Macht Gottes durch den Geist für uns vorhanden ist, um uns in diesem gesegneten Wandel auf Erden zu unterstützen.

Möge der Herr durch Seinen Geist die Herzen Seiner Geliebten so anziehen, gewinnen und befriedigen, dass sie, indem sie ihr alles in Ihm finden, sein mögen „wie ein Baum, der gepflanzt ist am Wasser, und am Strome seine Wurzeln ausstreckt, und es nicht merkt, wenn eine Hitze kommt. Und sein Laub ist grün, und in einem Jahr der Dürre sorget er nicht, und höret nicht auf. Frucht zu tragen" (Jer. 17, 8).


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