Der Pfad und die Hoffnung des Christen


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Andere Schriften von W.T. Turpin

1 Mose 5, 18—24; Heb. 11, 1—6.

Die Grundsätze, welche zu den Zeiten galten, worauf das Alte Testament hauptsächlich sich bezieht, waren sehr verschieden von denjenigen, nach welchen Gott in jetziger Zeit mit den Seinigen verfährt, und nach welchen zu wandeln Er sie berufen hat. Und doch ist es interessant zu sehen, wie Gott sich in den Gläubigen jener Tage, besonders in denjenigen, von welchen in Heb. 11 die Rede ist, unabhängige Zeugen des großen Grundsatzes erweckte, welcher klar ans Licht trat, sobald Sein Sohn, der Herr Jesus Christus, das Werk vollendet hatte, das Sein Vater Ihm zu tun gegeben, und wieder in den Himmel zurückgekehrt war. Diese Zeugen waren sowohl während, als auch schon vor der Zeit der jüdischen Haushaltung vorhanden, welche durch das Sichtbare auf den Menschen, wie er von Natur ist, einwirken sollte. Sie hatte ihre Zeit, ihren besonderen Zweck, und Gott wirkte durch dieselbe zur Erfüllung Seiner Vorsätze. Und dennoch erwählte Er sich aus der Mitte selbst dieses Volkes des Schauens Seine Zeugen für den einfachen Grundsatz des Glaubens.

Der Christ nun ist ganz besonders dazu berufen, durch den Glauben zu wandeln, und hat daher sehr dagegen zu wachen, dass er sich nicht durch Sichtbares regieren und leiten lässt, indem er dadurch von dem ihm angewiesenen Pfad abweicht. Es ist dies etwas, das unsre Herzen scharf auf die Probe stellt; aber ich wiederhole es, sobald wir uns durch etwas Sichtbares leiten lassen, sobald dasselbe uns Beweggrund oder Zweck wird, oder wir davon Licht oder Weisung für unseren Weg erwarten, so haben wir diesen einfachen, gesegneten Pfad verlassen, welchen Gott den Seinigen vorgezeichnet hat. Es mag freilich gesagt werden, dass wenn man sich unter den Kindern Gottes umsehe, man tausend Beispiele finde, wo im Blick auf das Sichtbare gehandelt werde. Aber es ist höchst wichtig, geliebte Freunde, dass wir nicht der oft vorhandenen Neigung unsrer Herzen folgen, einen Grundsatz aus dem zu machen, was in der Tat nichts anderes ist, als ein Verläugnen unserer wunderbaren Berufung. Wir sind berufen worden, davon zu zeugen, dass wir einen unsichtbaren Gott haben, welcher durch den natürlichen Verstand nicht erfasst werden kann, aber auf den der Glaube die Blicke gerichtet hält, indem er Ihn zur Richtschnur seines Handelns macht. Er war es, auf Den Moses blickte, von welchem der Geist Gottes sagt, dass er „standhaft aushielt, als sähe er den Unsichtbaren" (Heb. 11, 27).

Zwei Dinge nun kennzeichnen den Christen: sein Herz hat einen unsichtbaren Gegenstand im Himmel, außerhalb alles dessen, was dieser Welt angehört, nämlich den verherrlichten Christus zur Rechten Gottes, und er trägt eine unsichtbare Kraft in sich, den Heiligen Geist. Und diese Kraft, die ihm innewohnt (denn mein Leib ist der Tempel des Heiligen Geistes), wirkt auf und durch ihn stets in Bezug auf diesen Gegenstand, leitet seine Beweggründe und gibt ihm Kraft von Ihm aus. Sobald wir diesen Standpunkt verlassen, so wandeln wir nicht in Übereinstimmung mit unsrer Berufung, wir handeln nicht nach dem Grundsatz des Glaubens, welcher über alles hinweg zu Gott schaut, Ihn in allem sieht, einfach im Blick auf Ihn handelt, und Kraft von Ihm empfängt. Ich bin überzeugt, dass ein großer Teil der Schwierigkeiten, welche wir als Einzelne und als Gesamtheit auf unserm Wege erfahren, daher rührt, dass wir nicht einfach durch Glauben wandeln.

Es ist außer allem Zweifel, dass viele der Schwierigkeiten, welche wir als Gesamtheit haben, durch den niedrigen Zustand der Einzelnen geschaffen worden sind, durch ihre Schwäche, ihren Mangel an Treue. Der gute Zustand einer Versammlung ist stets nur das Resultat davon, dass die Einzelnen in Aufrichtigkeit vor Gott wandeln, und geistliche Kraft des Ganzen ist nie vorhanden, ohne dass die Einzelnen für sich treu sind. Dass wir dies so viel übersehen haben, ist nach meiner Überzeugung die Ursache unsrer allgemeinen Schwäche, denn der praktische Zustand unsrer Seelen hat einen unendlich großen Einfluss auf das gesamte Zeugnis, welches wir als Glieder des Leibes Christi aufrechtzuhalten haben. Wenn ich nicht persönlich mit Gott wandle als im Verhältnis eines Kindes zu Ihm stehend, als jemand, der ein Erbe Gottes und Miterbe Jesu Christi ist, so kann ich auch unmöglich meiner Verantwortlichkeit als ein Glied des Leibes Christi nachkommen, sondern werde auf die eine oder andere Weise die Versammlung nachteilig beeinflussen. Und dies ist es, was mich in Bezug auf den vorliegenden Gegenstand vorzugsweise beschäftigt. Es ist eine besondere Schönheit des Alten Testamentes, dass darin der Platz und die Verantwortlichkeit, welche der Einzelne Gott gegenüber hat, so klar ans Licht tritt. Wir begegnen darin der Gottseligkeit, der Frömmigkeit des Einzelnen, dem Wandel des Einzelnen mit Gott, wenn sich auch natürlich alles nach dem Maß der Offenbarung Gottes in jener Zeit richtete. Dies letztere darf durchaus nicht aus dem Auge gelassen werden. Für jene Zeit war Henochs Wandel wohl ein Wandel mit Gott, aber die Offenbarung Gottes und die Mittheilung Seines Sinnes, welche wir empfangen haben, geht weit über die Erkenntnis Henochs hinaus. Um daher heutzutage mit Gott zu wandeln, müssen wir unseren Platz vor Ihm einnehmen gemäß der Offenbarung Seiner selbst, die Er uns in Seinem Worte gegeben hat.

Wie es mir scheint, finden wir bei einiger Betrachtung eine interessante Ähnlichkeit zwischen Henochs und unserer Zeit. Man hört manchmal sagen: Es ist leicht über Henochs Wandel mit Gott zu sprechen; aber er begegnete sicher nicht halb so vielen Schwierigkeiten und Prüfungen wie die Gläubigen heutzutage. Dies aber, geliebte Freunde, ist eine sehr oberflächliche Beurteilung der Zeit Henochs, von der uns das Wort Gottes ein Bild gibt. Er lebte inmitten eines ihn umringenden Systems, welches Satan bis auf unsre Zeit nur noch mehr entwickelt hat; er befand sich inmitten der Welt, wie Kain sie geschaffen hatte. Man muss nicht vergessen, dass die Welt so, wie wir sie jetzt sehen, nicht aus der Hand Gottes hervorging. Er schuf wohl die Erde, nicht aber das herrschende System der Dinge um uns her, in welchem wir solch schreckliche Entfernung von Gott erblicken. Satan hat dieses zu Stande gebracht auf Grund der Empörung des Menschen gegen Gott. Er ist der Gott und Fürst der uns umringenden Welt, welche, dem Grundsatz nach, schon in den Tagen Henochs vorhanden war. Ich berühre nur kurz zwei Dinge, welche die Hauptbestandteile des Systems bildeten, von welchem Henoch umgeben war: es waren dies eine Religion und eine Stadt.

Kain war der Gründer einer Religion, welche die Forderungen der Gerechtigkeit Gottes hinsichtlich des gefallenen Menschen nicht anerkannte, und auch die Tatsache übersah, dass dieser Fall den Fluch über die Erde herbeigeführt. Kain brachte Gott die Frucht der Erde dar. Es fehlte bei ihm sicher nicht an Energie oder an Ernst; nein, er arbeitete und bebaute die Erde, und, obschon verflucht, brachte sie ihm ihre Frucht hervor, welche er dann Gott opferte, gerade als ob kein Fluch vorhanden wäre. Beachten wir wohl den wichtigen Grundsatz, der uns darin entgegentritt. Sobald der Fall des Menschen, seine Entfernung von Gott nach Natur und Handlungsweise Tatsache geworden war, konnte er auf keinem anderen Weg als durch ein stellvertretendes, auf den Tod Christi hindeutendes Opfer, Gott nahen. Sobald der Mensch dies auf einem anderen Weg versucht, so folgt er, dem Grundsatz nach, der Religion Kains, welche sich dadurch kennzeichnete, dass sie Gott ein äußeres Opfer, eine Form des Gottesdienstes darbrachte, worin die Verleugnung des großen Grundsatzes lag: „Ohne Blutvergießung ist keine Vergebung."

Was die „Stadt" betrifft, so ist sie der Ausdruck gerade dessen, was wir heutzutage rings um uns her sehen. Die Geschicklichkeit und der Erfindungsgeist des Menschen wurden auf die größtmögliche Höhe zu bringen gesucht, und alles getan, um die Welt in ihrem gefallenen, verdorbenen Zustand erträglich zu machen für den Menschen, welcher sich von Gott abgewandt und entfernt hatte. So war Kains Welt.

Wie schön ist es daher zu sehen, wie Gott sich mitten ans einem solchen Schauplatz heraus einen Zeugen berief; und die Mitteilung, welche uns der Heilige Geist im 1. Buch Mose darüber macht, ist köstlich für unsere Herzen. Henoch stand als ein Zeuge der Kraft Gottes da, soweit wenigstens sie damals geoffenbart war; er blieb bewahrt inmitten des damaligen Zustandes der Dinge, und „wandelte mit Gott." Dies ist es gerade, geliebte Freunde, wozu wir, ein jeder von uns, in diesen Tagen berufen sind; wir sind dazu berufen, mit Gott zu wandeln. Wie wenig aber kommen wir im Allgemeinen diesem nach. Ich hörte einmal einen lieben Diener Gottes erzählen, dass, als er seine Heimat verließ, um an anderen Orten für den Herrn zu arbeiten, er oft gläubige Landsleute traf, welche ausgewandert waren und sich anderswo angesiedelt hatten. Wenn er sie fragte, warum sie hierher gezogen seien, antwortete der eine so, der andre anders, aber selten bekam er eine Antwort die darauf hindeutete, dass sie den Willen und das Wohlgefallen Gottes in dieser Sache zu erforschen gesucht hatten. Ist es nicht sehr ernst, geliebte Freunde, dass wir so wenig wissen von diesem Wandel mit Gott, so wenig von der Verheißung Gottes erfahren: „Ich will dich unterweisen und dich lehren den Weg, in dem du wandeln sollst; mit meinem Auge will ich dir raten" (Ps. 32, 8). Es fehlt heutzutage nicht so sehr an Erkenntnis der Schrift; man weiß ihre verschiedenen Haushaltungen zu unterscheiden; man versteht die Tragweite und Bedeutung gewisser Teile des Wortes Gottes; aber was uns fehlt, das ist dieser Wandel mit Gott, diese Gemeinschaft mit Ihm, dieses Geleitetsein durch Sein Auge, dieses Leben durch Glauben, welcher uns über unsre Umstände hinweghebt und zu Demjenigen hinleitet, der droben in der Herrlichkeit ist. Wir sollten auf unsrer Hut sein, dass unsre praktische Gemeinschaft mit Gott nicht hinter unsrer Erkenntnis zurückbleibe, denn sobald dies der Fall ist, so liefert es dem Feind Material genug in die Hände, um schreckliche Verwüstungen anzurichten. Ein äußeres Verständnis der Dinge Gottes ohne einen persönlichen Wandel mit Ihm ist in Satans Hand eine Waffe, durch welche er traurige Resultate herbeiführen kann.

Die erste Bedingung nun eines Wandels mit Gott ist, dass wir klar darüber seien, welches die Stellung ist, in welcher wir uns Ihm gegenüber befinden. Verstehen wir in unseren Seelen das Verhältnis, in welches Gott nach Seinem Wohlgefallen die Seinigen durch Christus gebracht hat? Ist keine Wolke vorhanden zwischen uns und Ihm, keine ungelöste Frage in Bezug auf Seine Gesinnung gegen uns? Und was mehr ist, entsprechen unsre praktischen Beziehungen zu Gott diesem Verhältnis? Es ist unmöglich, mit Ihm zu wandeln, so lange das Verhältnis, das Er geschaffen und uns geoffenbart hat, nicht verstanden, verwirklicht und genossen wird. Noch kann von einem Wandel mit Gott die Rede sein, wenn ungerichtete Sünde das Gewissen befleckt; letztere macht diesen Wandel nicht nur für den Betreffenden zur Unmöglichkeit, sondern wird auch der Versammlung im Ganzen schaden. Sicher denken wir nicht genug an diese Dinge, welche doch zum großen Theil die Ursache der bedenklichen Schwachheit sind, welche inan unter dem Volke Gottes findet. Wie wünscht doch der Herr die einzelne Seele zu erreichen, wenn Er zu uns sagt: „Der Mensch prüfe sich selbst"; und weiter: „Deshalb sind viele unter euch schwach und krank und ein gut Teil entschlafen." Ungerichtete, in der Versammlung geduldete Sünde war es, die in Korinth Trübsal verursachte; freilich waren dort besondere Fülle vorhanden, aber dies berührt die Wahrheit des Grundsatzes nicht, dass Schwachheit und Schwierigkeiten in der Versammlung unausbleiblich sein werden, wenn einzelne Glieder derselben nicht im Genuss der Freude und des Friedens wandeln, welche die Verwirklichung des Verhältnisses mit Gott mit sich bringt, oder wenn vorhandenes Böses nicht gerichtet wird.

So seltsam es klingen mag, so ist es doch wahr, dass sehr viele Gläubige sich nicht bewusst sind, in einem ewigwährenden Lebensverhältnis mit dem Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi zu stehen. Sie kommen nicht weiter als dazu, sich als Sünder zu betrachten, deren Schuld vergeben ist. Ist dies nicht sehr traurig? Wie kann ich mit Gott wandeln als Sein Kind, wenn ich nicht weiß, dass ich im Kindesverhältnis zu Ihm stehe? Wie kann ich vor Ihm wandeln als ein Glied am Leibe Christi, wenn ich dieses Verhältnis nicht kenne, und der Verantwortlichkeit, die es mir auferlegt, nicht Nachkomme? Alles dies ist unsrer ernsten Aufmerksamkeit wert.

Um zu Henoch zurückzukehren, so finden wir in Heb. 11. noch einen wesentlichen Punkt in Betreff des Wandels mit Gott. Henochs Leben hatte nur einen Zweck, welchen wir so schön in den Worten angedeutet finden: „Vor seiner Entrückung hat er das Zeugnis gehabt, dass er Gott Wohlgefallen habe." Das war es, wonach er strebte. Fragen wir uns doch, geliebte Freunde, ob dies auch der Wunsch unsrer Herzen sei? Betrachten wir unser tägliches Leben, betrachten wir die Einzelheiten in unsrer Geschichte als Christen, prüfen wir alles, worin wir tätig sind, unsre geschäftlichen, unsre häuslichen, unsre kirchlichen Beziehungen. Ist in allem diesem unser Herz einfach darauf gerichtet, Gott wohlzugefallen? Wie lieblich ist der Gedanke, dass bevor Henoch die Welt Caius, mit all ihren Hindernissen und Versuchungen verließ, er „das Zeugnis gehabt hat, dass er Gott Wohlgefallen habe". Der innige Wunsch, Gott wohlzugefallen, wär das Eine das ihn beherrschte, das jeden Vorsatz, jede Handlung leitete.

Es besteht eine interessante Verschiedenheit zwischen dem, was uns von Henoch, und dem, was uns von Abel erzählt ist. Bon dem letztem lesen wir, dass Gott „Zeugnis gab zu seinen Gaben" (Vers 4). Dort war es eine Frage der Annahme des Opfers, des Blutes und des Fettes, welches Abel Gott dargebracht, dadurch bezeugend, dass er die Forderungen eines heiligen Gottes anerkannte, sowie das Verderben in welches Adam die Schöpfung geführt. Er stellt ein Lamm zwischen sich und den gerechten Gott, ein Opfer, welches das Gericht, dessen er schuldig war, tragen sollte, und dessen Vortrefflichkeit wir durch das Fett angedeutet finden, ein weiteres Vorbild auf Christus. Er brachte das Fett und das Blut, und Gott gab Zeugnis „zu seinen Gaben". Wenn es sich aber um den Wandel eines Menschen mit Gott handelt, dann lautet das Zeugnis „Du hast mir Wohlgefallen". Es ist eine wunderbare Sache, dieses Zeugnis für sich zu besitzen, dieses göttliche Geheimnis zu haben zwischen der eigenen Seele und Gott, von dem Niemand weiß als Er und ich!

Bei einer Seele aber, welche in der Gegenwart Gottes sich befindet, und stets in Beziehung zu Ihm handelt, werden wir auch immer aufrichtige, völlige Selbstverleugnung finden. Es hat keinen Wert, wenn die Leute sagen, dass sie Gott vor Augen haben, solange es augenscheinlich ist, dass sie das eigene Ich in den Vordergrund stellen auf die eine oder andere Weise. Wenn ich den Unsichtbaren vor mir habe und all mein Tun sich nach Ihm richtet, all mein Denken dahin geht. Ihm wohlzugefallen, so habe ich in meinem Gewissen das freudige Bewusstsein, dass ich tue, was Ihm wohlgefällt; ich trage eine gesegnete, verborgene Quelle der Befriedigung und Freude in nur; die Zuneigungen der Seele sind dadurch abgezogen von den tausend Dingen, denen sie hier unten in Gefahr ist, sich zuzuwenden, und an Denjenigen gefesselt, welcher der Mittelpunkt all unsrer Gedanken sein sollte.

So sehen wir also, dass zu unseren wie zu Henochs Zeiten ein Wandel mit Gott dieselbe Grundlage hat, nämlich den gesegneten Beweggrund und Zweck, in allem Ihm allein gefallen zu wollen, ohne an sich selbst oder das Urteil andrer zu denken. Betrachten wir den Pfad des vollkommenen Menschen, des Herrn Jesu Christi, auf dieser Erde, Wir sehen Ihn in Psalm 18, als den abhängigen Menschen, und hören Ihn sagen? „Ich habe Jehova stets vor mich gestellt." O was wäre doch dies für unsre Herzen, wenn wir den Herrn stets vor uns stellen würden! Welche Ruhe, welche Selbstbeherrschung würde es uns verleihen, welch heiligenden Einfluss auf uns haben, wenn wir immer zu diesem gesegneten, unsichtbaren Gegenstand hingewandt wären.

Es ist oft genug Energie zu allerlei Werk vorhanden; aber der Herr gebe, dass wir doch mehr wissen, was es ist, Sein Wohlgefallen zu erforschen, und in Ruhe und Stille des Herzens Gemeinschaft mit Ihm zu haben.

Was sind mm betreffs der Gegenwart und Zukunft die Aussichten desjenigen der diesen Wandel mit Gott führt, zu welchem du und ich berufen sind? Für die Gegenwart bringt er dir Leiden, Verlust, Schmach, Demütigung auf Schritt und Tritt. Dies sind seine Folgen, denn nicht Unterwürfigkeit, sondern Aufruhr und Gegenspruch gegen Gott herrschen ja, jetzt ebenso wie in Henochs Tagen, auf dem Schauplatz, wo er entfaltet werden und ans Licht treten muss. Er schließt Leiden in sich, und um uns denselben zu unterziehen und sie auszuhalten, müssen wir den Weg der Selbstverleugnung gehen. Dies ist Gottes Weg mitten durch die uns umringenden Schwierigkeiten, die so oft gerade daher rühren, dass das Gegenteil von Selbstverleugnung uns erfüllt. Würden wir einfach nur nach Gott fragen, Seine Ansprüche, Sein Wohlgefallen berücksichtige, und uns Seinen Gedanken unterwerfen, so würden viele Schwierigkeiten bald verschwinden. Ach, wir kennen die Lehre, möchte ich sagen, von allem diesem so wohl, aber wie viele von uns wandeln ernst und aufrichtig vor dem Herrn darin? Und doch lässt sich nichts Traurigeres denken, als Leute, welche die Erkenntnis dieser Dinge bloß im Kopfe haben. Es ist die Neigung unserer Zeit, es sich in allem leicht zu machen, und leider zeigt sich dies auch in der Art, wie Gottes Wahrheiten heutzutage oft ausgenommen werden. Denn anstatt dass sie das Gewissen wie ein Pfeil durchbohren und die Seele in die Gegenwart Gottes bringen, werden sie angenommen, als ob einem durch sie keinerlei Verpflichtungen auferlegt würden. Dian lernt sie wie ein Stück Geschichte, und ist von ihrer Richtigkeit überzeugt, ohne jedoch in Betreff ihrer das Bewusstsein der Verantwortlichkeit erwachen zu lassen.

In der besonderen Neigung und dem Charakter einer Zeit besteht jeweilen auch die Gefahr der Versammlung Gottes und die Versuchung für die Heiligen. Die Menschen mögen heutzutage suchen, sich alles so leicht und mühelos wie möglich zu machen, aber um in der Schule Gottes voranzukommen gibt es keinen leichten, mühelosen Weg. Dort kann auf keine andre Art gelernt werden als durch ein geübtes Gewissen. Wenn dasselbe nicht durch die Wahrheit beeinflusst ist, wenn es sich nicht in der Gegenwart Gottes befindet, so kann von einem Wandel mit Gott nicht die Rede sein. Das Gewissen ist der einzige Weg, auf welchem Gott das Herz des Menschen erreichen kann, und wenn dasselbe beim Hören der Wahrheit nicht tätig ist, so erreicht dieselbe ihren göttlichen Zweck nicht bei ihm. Wie oft kommt es vor, dass man durch dieselbe aufgeblasen wird, anstatt sich darunter zu beugen, und zu erkennen, dass die Wahrheit Gottes aus dem Menschen nichts macht. Bei einen: richtigen Zustand des Herzens ist eine von göttlicher Wahrheit erfasste Seele zufrieden, nichts zu sein, ja selbst zu leiden in dieser Welt. Selbstverleugnung, Ausgeber: Seiner selbst, kennzeichnete den Pfad des Herrn Jesu hienieden, Schmach, Verachtung, Verlust waren Sein Theil bis nach Golgatha. Während wir kein Recht haben irgendetwas zu beanspruchen, da wir auch das Kleinste nur durch Gottes freie Gnade haben, gab Er willig alles, worauf Er Rechte und Ansprüche hatte, auf. Wie wenig folgen wir Ihn: nach auf dem Weg, den Er uns vorangegangen ist. Wenn wir Jünger Desjenigen sein wollen, welcher nicht hatte, da Er Sein Haupt hinlegte, so kann der Grundsatz, so viel als möglich in und von dieser Welt zu besitzen, uns nicht beherrschen; in: Gegenteil werden wir suchen uns mit so wenigem wie möglich zu belasten. Es ist notwendig, dass derjenige, welcher mit Gott wandeln will, gemäß der Offenbarung Seines Willens, welche wir heutzutage durch Sein Wort haben, klar und deutlich den Gedanken vor sich stelle: „Es ist dem Knecht genug, dass er sei wie sein Herr."

Ich möchte die Leute lieber zögernd und bedachtsam diesen Pfad betreten sehen, als ohne Bewusstsein der Verantwortlichkeit, welche er ihnen auferlegt. Einer aufrichtigen, treuen Seele, welche mit geübtem Gewissen die Sache vor Gott bringt, wird Licht und Kraft geschenkt werden, um auf demselben zu wandeln. Es ist keine Kleinigkeit, sich nicht von dem Sichtbaren beherrschen zu lassen, um einfach den Gedanken Dessen zu entsprechen, der droben ist. Gott gebe, dass wir es nicht als eine leichte Sache betrachten, praktischerweise ein Christ zu sein, noch den Ernst unsrer göttlichen Stellung vergessen, indem wir dieselbe nicht höher achten als die vergänglichen Dinge dieser Erde. Und ich wiederhole es, nichts ist gefährlicher, noch in unseren Tagen häufiger, als ein bloßes Lernen und Aufnehmen von Wahrheiten, von welchen das Gewissen unberührt bleibt, und die daher ihren Einfluss auf die Seele verfehlen.

Wenn wir aber auch wohltun, den Ernst eines Wandels mit Gott durch diese Welt recht zu erwägen, so müssen wir andrerseits die Freude und Segnung, die er uns bringt, nicht aus dem Auge verlieren. Oder ist das Bewusstsein der Liebe und Teilnahme des Herrn nicht eine reiche Entschädigung für alles, was wir etwa leiden oder einbüßen? Er wandelt unseren Weg mit uns, Er tröstet und stützt uns, und richtet unsre Blicke auf unsre herrliche Zukunft.

Und was ist unsre Aussicht am Ende dieses Pfades? Während die Hoffnungen des Israeliten ganz mit dieser Erde verknüpft waren und sich auf Fülle und Gedeihen in Betreff alles Sichtbaren bezogen, während Reichtum, Ehre, Wohlstand sozusagen sein Geburtsrecht, sein Erbteil hier unten waren, welches er recht lange zu genießen wünschte, so ist dasjenige, was vor uns liegt, das, von dieser Erde weggenommen zu werden, vielleicht heute schon! Glauben wir dies wirklich, dass im nächsten Augenblick schon die Wolke der Herrlichkeit uns umgeben könnte? Gott gebe, dass die gesegnete Hoffnung der Wiederkehr unseres Herrn uns nicht nur als Lehre bekannt sei, sondern als eine lebendige Wirklichkeit in Frische und Kraft vor uns stehe. Wallen unsre Herzen beim Gedanken an sie jetzt noch über mit derselben Freude und Sehnsucht wie zur Zeit, da wir sie zuerst erkannten, vielleicht vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren? Ist es das Ereignis, nach welchem wir am meisten ausschauen, ist es unsre freudige Erwartung, verwandelt zu werden und den Tod nicht zu sehen, wie Henoch, welcher „entrückt ward, damit er den Tod nicht sehen sollte"? Glauben wir es, Geliebte, dass wir heute schon könnten „entrückt werden in Wolken dem Herrn entgegen in die Luft"? (1 Thess. 4.)

Wie traurig ist es doch, dass diese herrlichen Wahrheiten so vielfach ihre Frische und Wirklichkeit für unsere Seelen verloren haben, und für uns bloß wie ein Theil eines Glaubensbekenntnisses sind. Sobald wir sie aber nur als „unsere Lehre" festhalten, anstatt ihnen einen praktischen, bildenden, lebendigen Einfluss aus uns zu gestatten, so ist es vorüber mit einer richtigen Herzensstellung gegen den Herrn, wir verleugnen die wunderbare göttliche Kraft dieser Dinge, wir sind, wie jemand treffend gesagt hat, „so klar wie der Mond, und so kalt wie der Mond". Welch ein trauriges Bild! Möge der Herr uns vor einem solchen Zustand bewahren.

Ich bin überzeugt, dass das, was uns besonders Not tut in dieser Zeit, ein treuer Wandel des Einzelnen mit Gott ist. Wenn wir die Bedeutung des Pfades, zu welchem wir berufen sind, mehr bedenken und herzlicher uns sehnen würden nach dem Augenblick, wo wir dem Herrn entgegeneilen werden, um dann allezeit bei Ihm zu sein, so würden Weltförmigkeit und Irdischgesinntheit sicher keinen Raum in unserm Wandel und Herzen finden.

O möchte doch ein jeder von uns diese Dinge in Einsamkeit und Stille vor dem Herrn erwägen, mit dem Gedanken: „Herr, bin ich's?" und möge Er Seinen Segen zu Seinem Worte geben, auf dass wir angespornt werden möchten zu einem innigeren, treueren Wandel mit Ihm, in der gesegneten Hoffnung, bald dieser Welt enthoben zu werden, um für immer Sein Angesicht zu schauen, und bei Ihm zu sein.


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