CHM- Wahres Christentum


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andere Schriften von C.H. Mackintosh

Die Gegenwart Christi in dieser Welt lieferte den endgültigen Beweis von dem ganz und gar unverbesserlichen und unheilbaren Ruin des Menschen Als der Mensch den Sohn Gottes verwarf und kreuzigte, erwies sich sein Fall als ein völlig hoffnungsloser. Wir haben schon wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass es gut und nötig ist, hierüber klar zu sein. Solange ein Mensch von dem Gedanken geleitet wird, seinen verlorenen Zustand durch irgendetwas verbessern zu müssen, ist ihm die Fundamental-Wahrheit des Christentums noch durchaus fremd. Leider herrscht über diese einfache Wahrheit des Evangeliums in der Christenheit eine große Finsternis und Unwissenheit. Das völlige Verderben des Menschen wird geleugnet, in der einen oder anderen Weise hinwegdisputiert, oder man will die Einrichtungen und Satzungen der mosaischen Haushaltung benutzen, um ihn zu veredeln und ihn für die Gegenwart Gottes passend zu machen. Auf diese Weise schwindet mehr und mehr jedes Verständnis über die Natur der Sünde und über die Forderungen der Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes; man setzt die volle, freie und unumschränkte Gnade Gottes beiseite und wirft gleichsam den Opfertod Christi über Bord. Der Herr gebe allen, die sich in irgendeiner Weise in Seinem Werke bemühen, den aufrichtigen Wunsch, mit mehr Ernst, Kraft und Treue die alten Grundwahrheiten in Wort und Schrift so darzustellen, wie sie uns in den Büchern des Neuen Testaments wieder und wieder mitgeteilt sind! Es tut wahrlich not in unseren Tagen, das Banner der Wahrheit aufrecht zu halten, nicht in einem Geiste der Streitsucht, sondern in Milde und Einfalt, aber auch in Entschiedenheit und Ernst. Wir bedürfen Männer, die in Wahrheit „Christus predigen," die Ihn als den wahren Prüfstein für den Menschen und für die Welt, als das vollkommene Opfer Gottes und als das einzige, erhabene Vorbild jedes wahren Gläubigen verkündigen.

Wahres Christentum ist nicht das Bestreben eines gefallenen Geschöpfes, Christus nachzuahmen, oder durch das Halten des mosaischen Gesetzes Gerechtigkeit zu erwirken, sondern es ist in erster Linie die Annahme eines gekreuzigten und auferstandenen Christus, als der Grundlage aller unserer Hoffnungen für Zeit und Ewigkeit. Wie könnte ein unwiedergeborener Mensch durch das Halten des Gesetzes, durch welches Erkenntnis der Sünde kommt, Gerechtigkeit erlangen? Wie könnte er sich je darangeben, Christus nachzuahmen? Es ist ganz und gar unmöglich. Er muss von neuem geboren werden. Er muss ein neues Leben empfangen haben, ehe er Christus in seinem Wandel darstellen kann. In den Fußstapfen Christi zu wandeln und Seinem Beispiel nachzuahmen, ist für einen unbekehrten Menschen eine völlig hoffnungslose Aufgabe. Nein, ein Blick auf das gesegnete Beispiel unseres Herrn Jesu ruft in einer aufrichtigen Seele diese Wirkung hervor, dass sie sich in tiefer Verabscheuung ihres eigenen Ichs in den Staub beugt; und wenn sie dann von diesem Platze aus den Blick zu dem Kreuze erhebt, an welches Christus als unser Sündenträger und göttlicher Stellvertreter genagelt war, so strömen Friede und Vergebung auf sie Herab infolge Seines gesegneten Opfers, und dann, aber auch keinen Augenblick eher kann sie sich ruhig und glücklich zu Seinen Füßen niederlassen, um Ihn als ihr Vorbild und Muster zu erforschen.

Wenn ich daher das Leben Jesu getrennt von Seinem Versöhnungstode betrachte, wenn ich mich an diesem vollkommenen Maßstabe messe und denke, dass ich mich selbst einem solchen Bilde immer mehr gleichgestalten müsse, so kann nichts anderes als Verzweiflung mein Los sein. Wenn ich aber meinen Blick auf den Vollkommenen und Heiligen richte, der meine Sünden an Seinem Leibe auf das Holz trug, wenn ich Ihn sehe, wie Er in Seinem Tode und in Seiner Auferstehung den ewigen Grund zu meinem Frieden und zu meinem Heile legte, dann kann ich mit einem friedeerfüllten Herzen und mit einem befreiten Gewissen jenes wunderbare Leben betrachten und darin erkennen, wie ich wandeln soll; denn „Er hat uns ein Beispiel gelassen, dass wir Seinen Fußstapfen nachfolgen sollen/'

Während also Christus als Prüfstein uns unsere Schuld zeigt, ordnet Christus als Opfer diese Schuld und nimmt sie hinweg, und Christus steht als Vorbild vor den Augen unseres Herzens und zeigt uns das Muster, welchem wir nachahmen sollen. Mit einem Worte, Christus ist unser Leben, und Christus ist unser Vorbild; und der Heilige Geist, welcher auf Grund des vollbrachten Erlösungswerkes Wohnung in uns gemacht hat, wirkt in uns zu dem Zwecke, um uns dem Bilde Christi immer mehr gleichförmig zu machen. „Wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden verwandelt nach demselben. Bilde, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, als durch den Herrn, den Geist“ (2. Kor. 3, 18.)

Sicher werden wir stets fühlen und anerkennen müssen, wie unendlich weit wir hinter diesem erhabenen Vorbilde zurückbleiben; aber dennoch ist Christus unser Leben, obgleich die Offenbarung dieses Lebens durch Schwachheiten, Mängel und Gebrechen in mannigfaltiger Weise gehindert sein mag. Das Leben Christi ist unser Leben geworden, wie der Apostel Johannes schreibt: „Welches wahr ist in Ihm und in euch, weil die Finsternis vergeht und das wahrhaftige Licht schon leuchtet/' (1. Joh. 2, 8.) Wir können und dürfen uns mit nichts Geringerem als das zufrieden geben. Er ist unser Leben, und Er ist unser Vorbild und Muster. „Für mich ist das Leben Christus," konnte Paulus sagen. Christus wurde in dem täglichen Leben des Apostels durch die Kraft des Heiligen Geistes dargestellt.

Es möge sich daher niemand täuschen! Nicht der ist ein wahrer Christ, der durch die Beobachtung zahlreicher Satzungen und Zeremonien, durch Gebete, Almosen und Opfer seinen gefallenen, verlorenen Zustand zu verbessern und ihm ein erträgliches Kleid zu geben sucht; auch nicht der, welcher sich von „bösen" zu „toten" Werken wendet, der sich des Trinkens, Schwörens, leichtfertigen Redens etc… enthält, ein ehrbares Leben führt und die Orte besucht, wo das Wort Gottes verkündigt wird. Die Natur kann und mag sich in ein frommes, religiöses Gewand hüllen, sie mag selbst das Leben und den Wandel Christi nachzuahmen suchen, aber alle ihre Bemühungen sind eitel, all ihr Tun ist vergebens. Denn „was aus dem Fleische geboren ist, ist Fleisch" und kann nie etwas anderes werden; es kann das Reich Gottes nicht sehen, noch in dasselbe eingehen. Der Mensch muss von neuem geboren werden.

Tas ist die göttliche und ewige Grundlage alles wahren Christentums. Leben aus Gott muss da sein, jenes Band, welches mich mit „dem zweiten Menschen, dem letzten Adam," unauflöslich verbindet. Der erste Mensch ist verurteilt, gerichtet und beiseitegesetzt worden. Der zweite Mensch kam und stand neben dem ersten und versuchte und prüfte ihn und bewies in der vollkommensten Weise, dass sich in der Natur, in dem Charakter und Zustand desselben nicht das Geringste befand, was für die neue Schöpfung, für das himmlische Reich, welches eingeführt werden sollte, hätte passend gemacht werden können; ja, es zeigte sich, dass kein einziger Stein des alten Gebäudes für das neue umgearbeitet werden konnte, dass „in dem Fleische nichts Gutes wohnt," und endlich dass der Boden von all dem Schutt einer gefallenen und verderbten Menschheit gereinigt und ein völlig neues Fundament in dem Tode des zweiten Menschen gelegt werden musste, der in der Auferstehung, als der letzte Adam, das Haupt der neuen Schöpfung geworden ist. Außer Ihm und getrennt von Ihm gibt es und kann es kein Leben geben. „Wer den Sohn hat, hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht." (1. Joh. 5, 12.)

So lautet die bestimmte Sprache der Heiligen Schrift, und sie wird Stand halten trotz all der Vernunftgründe und Schlüsse derer, welche sich ihrer freien und erleuchteten Anschauungen, der Kraft ihres Verstandes und der Weite ihrer theologischen Ansichten rühmen. Es macht in der Tat wenig aus, was die Menschen denken und sagen; wir haben nur auf das Wort unseres Gottes zu lauschen, welches bis in alle Ewigkeit bestehen wird, und dieses Wort erklärt allen solchen: „Ihr müsset von neuem geboren werden." Der Mensch kann hieran nichts ändern. Da ist ein Reich, welches durch nichts erschüttert werden kann, und um in dieses Reich eingehen zu können, ist eine neue Geburt notwendig. Der Mensch ist nach jeder Seite hin und in jeder Weise geprüft worden und hat die Probe nicht bestanden, und jetzt heißt es: „Christus ist einmal in der Vollendung der Zeitalter geoffenbart worden zur Abschaffung der Sünde durch das Schlachtopfer Seiner selbst“ (Hebr. 9, 26.)

Das ist die einzige Grundlage des Friedens und Lebens, und wenn eine Seele wirklich auf diesem Boden steht, wenn sie auf dieses Fundament gegründet ist, so kann sie ihre Freude darin finden, Christus als ihr Vorbild und Muster zu erforschen. Tann ist es aus mit allen ihren eigenen armseligen Anstrengungen, Vergebung, Leben und die Gunst Gottes zu erwerben; sie hat sie als „tote Werke" erkannt, sie hat Leben in Jesu gefunden, und jetzt ist es ihr wichtigstes Geschäft, Ihn zu studieren, Seine Fußstapfen aufzusuchen und in denselben zu wandeln; zu handeln, wie Er handelte, zu reden, wie Er redete, mit einem Worte, zu suchen, allezeit Ihm ähnlich zu fein und Ihm und Seinem Bilde immer mehr gleichgestaltet zu werden. Die wichtige Frage für den Christen ist nicht: „Was kann mir dieses oder jenes schaden?" oder: „Was ist denn Böses dabei, wenn ich dieses oder jenes tue?" sondern: „Ist es Christus ähnlich? Würde Er so handeln? Wird Er dadurch verherrlicht?" Er ist unser göttliches Muster. Wenn die gläubigen Männer ermahnt werden, ihre Weiber zu lieben, so heißt es: „Wie Christus die Versammlung liebte." Und wie es in diesem Falle ist, so ist es in jedem. Welch ein Vorbild! Welch ein Muster! Wer könnte ihm jemals gleichkommen, wer es je erreichen? Gewiss, niemand! Aber es handelt sich nicht darum, ob wir es jemals erreichen werden oder nicht, sondern einfach um die Tatsache, dass Christus unser Vorbild ist, und dass ein jeder, der da sagt, dass er in Ihm bleibe, auch schuldig ist, selbst so zu wandeln, wie Er gewandelt hat. (1. Joh. 2.) Und möchten wir wohl ein niedrigeres, weniger vollkommenes Vorbild haben? Sicherlich nicht!

Wir brauchen den christlichen Leser kaum darauf aufmerksam zu machen, welch ein weites Feld praktischer Wahrheit diese letzte Seite unseres Gegenstandes vor uns offenlegt. Welch ein kostbares Vorrecht ist es, fähig und berufen zu sein, Tag für Tag zu den Füßen unseres Herrn und Meisters zu sitzen und das Leben und Verhalten unseres großen Vorbildes zu erforschen: zu sehen, was Er war, Seinen Worten zu lauschen, den Geist, der Ihn beseelte, zu betrachten, Seinen wunderbaren Pfad durch diese Welt in allen seinen Einzelheiten zu verfolgen, zu sehen, wie Er „umherging, Gutes tuend/' wie es Seine Speise und Sein Trank war, den Willen Gottes zu tun und den Bedürfnissen des Menschen zu begegnen; und dann daran zu denken, dass Er uns liebt, dass Er für uns starb, dass Er unser Leben ist, dass Er uns den Heiligen Geist gegeben hat, um durch die Kraft desselben alles zu Boden zu halten, was von unserem alten Ich ist, und in unserem täglichen Leben Christus selbst mehr und mehr darzustellen!

Welche Zunge vermöchte die 'Kostbarkeit aller dieser Dinge auszusprechen? Es ist nicht ein Leben nach gewissen Regeln und Vorschriften, nicht das Beobachten einer Reihe von Pflichten, oder das Bekennen einer Anzahl christlicher Lehren — nein, es ist die Vereinigung mit Christus durch den Heiligen Geist, der in den Gläubigen wohnt, und die Offenbarung Christi in einer finstern und argen Welt. Das ist, wir wiederholen es und möchten es dem christlichen Leser mit allem Nachdruck einprägen, ein wahres, echtes, lebendiges Christentum. Etwas anderes, etwas geringeres kann nimmermehr genügen. Wer dieses Christentum nicht anerkennt, ist noch fern von Gott und fern von dem Reiche Gottes.

Wer aber andererseits wirklich dahin gebracht worden ist, an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes zu glauben, wer als ein Verlorener und Schuldiger seine Zuflucht zu dem Blute des Kreuzes genommen hat, ein solcher besitzt Christus als sein Leben; er ist in Christus und Christus in ihm, und es sollte Tag für Tag sein Bestreben sein, seine Augen fest und unverrückt auf sein vollkommenes Vorbild gerichtet zu halten und Ihm so nahe als möglich zu kommen. Das ist das Geheimnis aller praktischen Gottseligkeit und Heiligkeit. Das allein ist, wie gesagt, ein lebendiges Christentum und steht in direktem Gegensatz zu dem, was man gewöhnlich „ein religiöses Leben" nennt und was meistens nichts anderes ist, als ein äußeres Festhalten an starren, leblosen Formen, ein Beobachten trockener Satzungen, was aber nichts gemein hat mit der Frische und Wirklichkeit des wahren Lebens eines Gläubigen.

Das wahre Christentum bringt einen lebendigen Christus ins Herz und ins Leben und übt so einen göttlichen Einfluss auf alles auf, was in seinen Bereich kommt. Es durchdringt alle Verhältnisse und Verbindungen des menschlichen Lebens. Es belehrt uns, wie wir uns als Gatten, als Väter, als Herren, als Dienstboten, als Kinder, etc… zu verhalten haben; und es belehrt uns nicht mittels trockener und ermüdender Regeln und Vorschriften, sondern indem es in der Person Christi ein vollkommenes Muster dessen, was wir sein sollten, vor unsere Augen stellt.

Es richtet unseren Blick auf den Einen, der als Gottes vollkommener Prüfstein uns ohne jede Entschuldigung ließ, der als Gottes fleckenloses Opfer jede Sünde und jede Unreinigkeit von uns entfernte, und der jetzt, als unser gesegnetes Vorbild, den Gegenstand unserer bewundernden Betrachtung und die Richtschnur bildet, welcher wir stets und allein nacheifern sollend Mögen wir sein, wo wir wollen, und mag unsere Arbeit bestehen, worin sie will, wenn nur Christus durch den Glauben in unseren Herzen wohnt und in unserem täglichen Leben zur Darstellung kommt. Wenn wir Ihn im Herzen und vor Augen haben, so wird sich alles von selbst regeln. Aber besitzen wir Ihn nicht- so haben wir nichts.

Möge der Herr alle unsere Herzen aufwecken, dass wir treuer als bisher Seine Nähe suchen, in Seiner Gemeinschaft wandeln und in all unserem Tun Sein Bild hervorstrahlen lassen! Möchten wir befähigt werden, mit mehr Aufrichtigkeit und Wahrheit zu sagen: „Unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus als Heiland erwarten, der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit Seinem Leibe der Herrlichkeit, nach der wirksamen Kraft, mit der Er vermag, auch alle Dinge sich zu unterwerfen!" (Phil. 3, 20. 21.)


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