CHM- Epaphroditus


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Wir bitten den Leser, sich für einen Augenblick zu Phil. 2 zu wenden, um mit uns die kurze Schilderung des interessanten Charakters des Epaphroditus zu betrachten. Es wird uns nicht viel über ihn mitgeteilt, aber in dem wenigen entdecken wir viel wahrhaft Liebliches und Schönes— vieles, das uns nach Männern von gleicher Art auch in unseren Tagen ausschauen lässt. Wir führen den inspirierten Bericht über ihn hier wörtlich an. „Ich habe es aber für nötig erachtet, Epaphroditus, meinen Bruder und Mitarbeiter und Mitstreiter, aber euren Abgesandten und Diener meiner Notdurft, zu euch zu senden, sintemal ihn sehnlich nach euch allen verlangte und er sehr bekümmert war, weil ihr gehört hattet, dass er krank war. Denn er war auch krank, dem Tode nahe; aber Gott hat sich über ihn erbarmt, nicht aber über ihn allein, sondern auch über mich, auf dass ich nicht Traurigkeit über Traurigkeit hätte. Ich habe ihn nun desto eilender gesandt, auf dass ihr, wenn ihr ihn sehet, wieder froh werdet, und ich weniger betrübt sei. Nehmet ihn nun auf im Herrn, mit aller Freude, und haltet solche in Ehren. Denn um des Werkes willen ist er dem Tode nahe gekommen, indem er sein Leben wagte, auf dass er den Mangel in eurem Dienste gegen mich ausfüllte/' (Vers 25—30.)

Es ist wohl möglich, dass Manche von uns, wenn sie diese Beschreibung lesen, sich versucht fühlen, zu fragen, ob denn Epaphroditus ein großer Evangelist, oder Lehrer, oder sonst ein hochbegabter Diener Christi gewesen sei, da ihm der inspirierte Apostel so viele hohe und ehrende Titel beilegt. Er nennt ihn nicht nur seinen Bruder, sondern auch seinen Mitstreiter. Nun wir hören nichts davon, dass er ein begabter Prediger oder ein erkenntnisreicher Lehrer in der Versammlung gewesen sei. Alles, was uns in der obigen Erzählung von ihm gesagt wird, ist, dass er zu einer Zeit, wo es galt, einem wirklichen Bedürfnis abzuhelfen und eine vorhandene Lücke auszufüllen, auftrat, um sich gebrauchen zu lassen. Die Philipper wünschten, dem verehrten und bejahrten Apostel in seinem Gefängnis zu Rom eine Hilfeleistung zu senden. Er war in Not, und sie sehnten sich darnach, seiner Not abzuhelfen. Sie liebten ihn mit ganzer Innigkeit, und Gott hatte es ihnen ins Herz gegeben, an seinen Bedürfnissen teilzunehmen. Sie dachten an ihn, obgleich er weit von ihnen entfernt war, und sie wünschten, ihm mit ihrer Habe zu dienen.

Wie lieblich war dieses, und wie musste es den Herrn erfreuen! Lauschen wir auf die herzlichen Worte, mit welchen der alte, teure Gefangene von ihrem Dienste spricht: „Ich habe mich aber im Herrn sehr gefreut, dass ihr endlich einmal wiederaufgelebt seid, an mich zu denken; wiewohl ihr auch meiner gedachtet, aber ihr hattet keine Gelegenheit .... Doch habt ihr wohlgetan, dass ihr an meiner Drangsal teilgenommen habt. Ihr wisset aber auch, ihr Philipper, dass im Anfang des Evangeliums, als ich aus Mazedonien wegging, keine Versammlung mir mitgeteilt hat in Bezug auf Geben und Empfangen, als nur ihr allein. Denn auch in Thessalonich habt ihr mir einmal und zweimal für meine Notdurft gesandt. Nicht dass ich die Gabe suche, sondern ich suche die Frucht, die überströmend sei für eure Rechnung. Ich habe aber alles in Fülle und habe Überfluss; ich bin erfüllt, da ich von Epaphroditus das von euch Gesandte empfangen habe, einen duftenden Wohlgeruch, ein angenehmes Opfer, Gott wohlgefällig." (Phil. 4, 10—48.)

Hier sehen wir den Platz, den Epaphroditus in diesem gesegneten Dienste ausfüllte. Das Opfer der Gläubigen zu Philippi lag bereit; aber wer sollte es dem geliebten Apostel überbringen? Er lag gefangen in Rom. Es war damals noch nicht die Zeit der Bankwechsel und der Postanweisungen. Auch gab es keine Eisenbahnen, welche den Reisenden in kürzester Frist von einem Ende des Erdteils bis zum anderen befördern. In jenen Tagen war es kein so leichtes Unternehmen, von Philippi nach Rom zu reisen. Doch Epaphroditus, dieser hingebende Diener Christi, bot sich an, das fehlende Glied in der Kette zu bilden, die Lücke auszufüllen.

So erklärte er sich denn bereit, das zu tun, was gerade nötig war, und nichts mehr, nämlich der Verbindungskanal zu sein zwischen der Versammlung zu Philippi und dem Apostel zu Rom. So groß und wirklich die Not des Apostels, so kostbar und zeitgemäß die Gabe der Philipper auch sein mochte, so fehlte es doch an einem Werkzeuge, um die beiden zusammen zu bringen. Epaphroditus war der Mann, um diesen Dienst zu tun, und er war bereit dazu. Er begehrte nicht ein großes, in die Augen springendes Werk zu tun, ein Werk, das ihn vor allen ausgezeichnet und seinen Namen weithin bekannt gemacht Hütte. Er war ein demütiger Diener Christi, einer von jenen Arbeitern, zu denen wir uns hingezogen fühlen. Nichts ist lieblicher und anziehender, als ein anspruchsloser, bescheidener Mann, der zufrieden ist, die gerade bestehende Lücke auszufüllen, den Dienst zu tun, der eben nötig ist, worin er auch bestehen mag, und das Werk zu vollbringen, das des Meisters Hand für ihn bestimmt hat.

Es gibt Personen, die nicht anders zufrieden sind, als wenn sie bei allem die Hauptpersonen bilden. Sie scheinen zu denken, dass kein Werk richtig und gut getan werden könne, wenn sie nicht ihre Hand dabei im Spiele hätten. Sie sind nicht damit zufrieden, eine vorhandene Lücke auszufüllen. Aber wie abstoßend und unangenehm sind solche Brüder! Sie vertrauen sich selbst, genügen sich selbst und drängen sich überall in den Vordergrund. Sie haben sich nie in der Gegenwart Gottes so recht erkannt, noch ist in Wahrheit ihr eigener Wille jemals gebrochen worden. Den dem Christen gebührenden Platz, den Platz der Selbsterniedrigung und Demut, haben sie noch nie eingenommen.

Epaphroditus gehörte nicht zu dieser Klasse von Brüdern. Er setzte sein Leben aufs Spiel, um anderen zu dienen; und wenn er auf der Schwelle des Todes stand, so dachte er, anstatt mit sich und seinen Leiden beschäftigt zu sein, wieder nur an andere. „Ihn verlangte sehnlich nach euch allen und er war sehr bekümmert" — nicht weil er krank war, sondern — „weil ihr gehört hattet, dass er krank war". Das ist wahre Liebe. Epaphroditus wusste, welche Gefühle seine lieben Brüder zu Philippi erfüllen würden, wenn sie von seiner ernsten Krankheit hörten — eine Krankheit, die ihn infolge seines bereitwilligen Dienstes für sie befallen hatte.

Alles dieses ist sehr lieblich. Es tut dem Herzen wohl, dieses schöne Gemälde zu betrachten. Epaphroditus hatte unverkennbar in der Schule Gottes etwas gelernt. Er hatte zu des Meisters Füßen gesessen und war tief in Seine Gesinnung eingedrungen. Auf eine andere Weise hätte er nimmer solche Lektionen der Hingabe und sorgenden Liebe für andere lernen können. Die Welt kennt nichts von solchen Dingen, und die Natur kann solche Unterweisungen nicht geben. Sie sind himmlisch, göttlich. Möchten wir alle mehr davon kennen! Sie finden sich selten unter uns, trotzdem unser Bekenntnis ein so hohes ist. In uns allen steckt ein nicht geringes Maß von Eigenliebe und Selbstsucht. Wie demütigend ist das und wie hässlich in Verbindung mit dem Namen Jesu! Mit dem Judentum und seinen Grundsätzen mochte sich eine solche Gesinnung vertragen, aber mit dem Christentum ist sie durchaus unverträglich.

Es bleibt uns noch übrig, mit einem Wort der rührenden Weise zu gedenken, in welcher der Apostel seinen lieben Mitarbeiter der Versammlung zu Philippi empfiehlt. Es scheint gerade, als wenn er, um menschlich zu sprechen, nicht genug aus ihm machen könnte. „Ihn verlangte sehnlich nach euch allen und er war sehr bekümmert, weil ihr gehört hattet, dass er krank war. Denn er war auch krank, dem Tode nahe; aber Gott hat sich über ihn erbarmt, nicht aber über ihn allein, sondern auch über mich, auf dass ich nicht Traurigkeit auf Traurigkeit hätte." Welch eine rührende Sprache! Welch eine Flut göttlicher Zuneigung strömt hier aus dem Herzen des Apostels! Die ganze Versammlung zu Philippi, der Apostel, ja Gott selbst — alle beschäftigten sich in ihren Gedanken mit diesem sich selbst aufopfernden Diener Christi. Hätte Epaphroditus sich selbst gesucht, wäre er mit sich und mit seinen Interessen oder selbst mit seinem Werk beschäftigt gewesen, so würden wir seinen Namen sicherlich in den Blättern des inspirierten Wortes vergeblich suchen. Aber nein; er dachte an andere, nicht an sich, und deshalb gedachten Gott, Sein Apostel und Seine Versammlung an ihn.

So wird es stets sein. Ein Christ, der viel an sich denkt, erspart anderen die Mühe, an ihn zu denken; aber der demütige, bescheidene, anspruchslose, von sich selbst entleerte Diener, der nur an andere denkt und für sie lebt, der in den Fuß- stapfen Jesu wandelt — ein solcher wird stets der Gegenstand der Liebe und Sorge Gottes und Seines Volkes sein, an ihn wird gedacht, ja er wird geehrt werden von allen. „Ich habe ihn nun," so fährt Paulus fort, „desto eilender gesandt, auf dass ihr, wenn ihr ihn sehet, wieder froh werdet, und ich weniger betrübt sei. Nehmet ihn nun auf im Herrn mit aller Freude und haltet solche in Ehren. Denn um des Werkes willen ist er dem Tode nahe gekommen, indem er sein Leben wagte, auf dass er den Mangel in eurem Dienste gegen mich ausfüllte." (V. 29. 30.)

So war es mit diesem teuren Diener des Herrn. Er hatte sein Leben nicht geachtet, sondern es seinem Meister zu Füßen gelegt, um die fehlende Verbindung zwischen der Versammlung Gottes zu Philippi und dem leidenden, bedürftigen Apostel zu Rom herzustellen. Und deshalb fordert Paulus die Philipper aus, ihn in Ehren zu halten, und deshalb ist der Name des Epaphroditus durch die Feder der göttlichen Inspiration bis auf unsere Tage bewahrt, während die Namen und Taten der damaligen sich selbst suchenden, eigennützigen Diener in ewige Vergessenheit versunken sind.


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