CHM- Jetzt und dann oder die Zeit und die Ewigkeit.


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andere Schriften von C.H. Mackintosh

Die Grundsätze, die der Herr im zwölften Kapitel des Evangeliums nach Lukas ausspricht, sind sehr ernst und in das praktische Leben eingreifend, und es ist gerade in unserer Zeit von der größten Wichtigkeit, dass dieselben beherzigt werden. Weltliebe und Fleischeslust können ein solches Licht nicht ertragen, noch vor demselben bestehen. Wenn jemand verlangen würde, dass wir den Inhalt dieses kostbaren Teiles des göttlichen Wortes kurz zusammenfassten, so würden wir es also bezeichnen: „Die gegenwärtige Zeit, im Lichte der Ewigkeit betrachtet." Der Herr wollte dabei offenbar Seine Jünger in das Licht einer Welt versetzen, wo alles in direktem Gegensatz mit dem ist, was wir hienieden sehen, um ihre Herzen unter den heilsamen Einfluss unsichtbarer Dinge zu stellen und ihrem Wandel himmlische Grundsätze zu geben.

Indem dies die gesegnete Absicht des göttlichen Lehrers war, legte Er den Grund zu Seiner Belehrung mit den scharfen Worten: „Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer, welcher Heuchelei ist." Es handelt sich darum, nichts zu verbergen, sondern die Strahlen des göttlichen Lichtes bis in die innersten Winkel unserer Herzen eindringen zu lassen. Es darf kein Widerspruch zwischen der inneren Überzeugung unserer Herzen und unsern Worten, zwischen unserm Wandel und unserm Bekenntnis sein; kurz, wir haben ganz besonders die Gnade nötig, welche „ein redliches und gutes Herz" in uns schafft, um uns diese vortreffliche Zusammenstellung praktischer Wahrheit zunutze machen zu können.

Wir sind natürlicher Weise nur zu sehr geneigt, bekannte Wahrheiten mit Gleichgültigkeit zu hören. Man zieht ihnen oft interessante Erörterungen über Lehrpunkte oder prophetische Gegenstände vor, weil man vielleicht meint, sich dabei in allerhand weltlichen Dingen gehen lassen und irdische Interessen ungehindert verfolgen zu können. Aber die ernsten, klaren, in die Gewissen tief einschneidenden Wahrheiten dieses Kapitels, wer kann sie ertragen, außer diejenigen, die durch die Gnade sich von dem „Sauerteig der Pharisäer, welcher Heuchelei ist", zu reinigen suchen? Dieser Sauerteig, welcher sich mit einem schönen Äußeren bekleiden kann, zeigt sich auf verschiedene Arten und ist nur umso gefährlicher. Ja, überall wo er sich befindet, ist er ein absolutes Hindernis für den Fortschritt der Seele, sowohl in der erfahrungsmäßigen Erkenntnis als in der praktischen Heiligung. Wenn ich nicht mein ganzes Herz unter die Wirkung der göttlichen Wahrheit stelle, wenn ich mich in irgendeiner Sache ihren Lichtstrahlen zu entziehen suche, mir im Geheimen etwas Vorbehalte, wenn ich mich bestrebe, die Wahrheit meiner eigenen Gedanken- und Handlungsweise anzupassen, oder mein Gewissen betreffs ihrer Forderungen schweigen zu machen, so bin ich von dem Sauerteig der Heuchelei angesteckt und mein Wachstum zu der Ähnlichkeit mit Christo wird unmöglich. Es ist daher für jeden Jünger Christi sehr wichtig, sein Herz zu Prüfen und zu sehen, ob nichts von diesem schädlichen Sauerteig vorhanden sei. Mögen wir durch die Gnade Gottes völlig davon befreit werden, auf dass wir zu jeder Zeit sagen können: „Rede, Herr, denn dein Knecht höret!"

Nicht nur ist die Heuchelei jedem geistlichen Fortschritt ein Hindernis, sondern sie verfehlt auch immer ihren Zweck; denn „es ist nichts verdeckt, das nicht aufgedeckt, und nichts verborgen, das nicht kund werden wird". (Vers 2.) Jeder wird richtig bemessen, und jeder Gedanke und jede verborgene Gesinnung wird ans Licht gebracht werden; das, was die Wahrheit jetzt tun würde, wird dann der Gerichtsthron tun. Der geringste Grad, die schwächste Schattierung dieser Heuchelei wird in dem Lichte, das vom Richterstuhl Christi ausstrahlen wird, bloßgestellt werden. Nichts wird sich demselben entziehen können.

Dann wird alles Wirklichkeit sein; jede Sache wird ihren wahren Namen tragen. Jetzt wird Weltförmigkeit oft Schicklichkeit oder Sitte, Habsucht Vorsicht genannt; das selbstsüchtige Trachten nach Bequemlichkeit und das Absorbiert sein von den eigenen Interessen wird als lobenswertes Geschick und Klugheit in den Geschäften betrachtet. So ist es jetzt, aber dann wird es gerade das Gegenteil sein; denn alle diese Dinge werden in ihrem wahren Lichte gesehen und bei ihrem rechten Namen genannt werden. Daher ist es wahre Weisheit für den Jünger des Herrn, in dem Lichte jenes Tages zu wandeln, an welchem die verborgenen Gedanken aller Herzen offenbar werden.

Der Apostel sagt: „Wir müssen alle geoffenbart werden vor dem Richterstuhl Christi", alle, sowohl Erlöste als Verlorene, obwohl nicht zur gleichen Zeit, noch in derselben Stellung. Aber soll das ein Gegenstand der Angst für den Gläubigen sein?- Keineswegs, wenn sein Herz von dem Sauerteig der Heuchelei gereinigt ist, wenn seine Seele in der Grundwahrheit befestigt ist, dass Christus sein Leben und seine Gerechtigkeit ist, so dass er mit dem Apostel sagen kann: „Gott sind wir offenbar geworden, ich hoffe aber auch in euern Gewissen offenbar geworden zu sein." (2. Kor. 5, 10. 11.) Aber wenn diese Lauterkeit und Geradheit des Herzens und dieser Friede des Gewissens fehlen, so wird der Gedanke an den Richterstuhl Christi ohne Zweifel Beunruhigung verursachen.

Wir sehen daher, dass, in der Belehrung des Herrn in Lukas 12, Er die Gewissen Seiner Jünger in das volle Licht jenes Richterstuhls zu stellen sucht: „Ich aber sage euch, meinen Freunden: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und nach diesem nichts mehr zu tun vermögen. Ich will euch aber zeigen, wen ihr fürchten sollt: Fürchtet den, der nach dem Töten Gewalt hat, in die Hölle zu werfen; ja, sage ich euch, diesen fürchtet." — „Menschenfurcht legt einen Fallstrick" (Spr. 29, 25); sie ist mit dem „Sauerteig der Pharisäer" nahe verbunden. Aber „die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang" ; durch sie wird Sein Jünger befähigt, zu denken, zu reden und zu handeln, wie wem: er sich schon im Lichtglanz des Richterstuhls Christi befinden würde. Welche Würde, welche Charaktergröße verleiht sie ihm, während sie zugleich den Geist des Hochmuts vernichtet, indem sie die Seele unter dem Einfluss des alles durchdringenden göttlichen Lichtes bewahrt. Nichts beraubt hingegen den Jünger Christi mehr seiner Würde, als in seinem Wandel durch die Meinung oder das Urteil der Menschen beeinflusst zu sein. Solange es so mit uns steht, können wir unserm göttlichen Meister nicht mit festen Schritten nachfolgen. Diese elende Sache ist mit der törichten Idee, unsere Wege vor Gott verbergen zu wollen, eng verbunden; beide hangen mit dem „Sauerteig der Pharisäer" zusammen und werden ihre Vergeltung vor dem Richterstuhl finden.

Und warum die Menschen fürchten? Warum sollten wir uns durch ihre Meinungen leiten lassen? Wenn ihre Meinungen die Prüfung in der Gegenwart Dessen, der Macht hat, in die Hölle zu werfen, nicht ertragen können,, so sind sie nichts wert; denn es ist mit Ihm, dass wir zu tun haben. „Mir ist es das Geringste, dass ich von euch beurteilt werde, oder von einem menschlichen (Gerichts-) Tage," sagte Paulus, und schaute auf die Zeit, wann der Herr kommen werde, „welcher auch das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen und die Ratschläge der Herzen offenbaren wird; und dann wird jedem sein Lob werden von Gott." (2. Kor. 4.) Die Menschen mögen wohl jetzt zu Gericht sitzen, aber dann werden sie es nicht mehr können, und darum, warum sollten wir unsern Wandel nach dem Urteil einer solch' schwachen und vergänglichen Autorität einrichten? O liebe Freunde, lasset uns mit Ernst darnach trachten, mit Gott zu wandeln, jetzt im Blick auf dann zu leben, indem wir die Zeit im Lichte der Ewigkeit betrachten.

Indessen könnte das arme ungläubige Herz einwenden: „Aber wenn ich mich also über die Gedanken und Meinungen der Menschen erhebe, wie soll ich meinen Weg in einer Welt machen können, wo diese Meinungen und Gedanken herrschen?" Diese Frage ist sehr natürlich; aber der Herr selbst hat dieselbe auf die beste Weise beantwortet. Indem Er diese Gedanken des Unglaubens voraussah, nachdem Er zuerst gesucht hat, Seine Jünger über die schwere und dunkle Atmosphäre der Zeit zu erheben, um sie in das reine und durchdringende Licht der Ewigkeit zu versetzen, fügt Er hinzu: „Werden nicht fünf Sperlinge um zwei Pfenning verkauft? und nicht einer von ihnen ist vor Gott vergessen; ja, selbst die Haare eures Hauptes sind alle gezählt. So fürchtet euch nun nicht; ihr seid vorzüglicher als viele Sperlinge." Diese Worte lehren uns nicht nur, Gott zu fürchten, sondern auch Ihm zu vertrauen; nicht nur werden wir gewarnt, sondern auch beruhigt. „Fürchtet" und „fürchtet nicht", das mag ein Widerspruch scheinen für Fleisch und Blut; aber nicht für den Glauben; denn derjenige, der am meisten Gott fürchtet, wird am wenigsten die Umstünde fürchten. Ein Mensch des Glaubens ist zugleich der abhängigste und der unabhängigste der Menschen, abhängig von Gott, unabhängig von den Umständen, indem das zweite immer die Folge des ersteren ist.

Betrachten wir einen Augenblick den Grund, auf welchen: der Friede des Kindes Gottes ruht. Derjenige, der Gewalt hat, in die Hölle zu werfen, derjenige, den inan allein fürchten soll, hat selbst die Haare unseres Hauptes alle gezählt. Er hat sich gewiss nicht diese Mühe gegeben, um uns, sei es in dieser oder jener Zeit, umkommen zu lassen. Die bis ins Einzelne gehende Fürsorge unseres Vaters sollte jeden Zweifel, der sich in unsern Herzen erheben könnte, zum Schweigen bringen. Nichts ist zu groß und nichts zu klein für Ihn. Jene Sterne ohne Zahl, welche durch den unendlichen Weltraum schweben, und ein Sperling, der zur Erde fällt, sind gleich vor Ihm; Sein unendlicher Geist überschaut mit der gleichen Leichtigkeit den Lauf der Zeitalter und die Haare unseres Hauptes. Dies ist der vollkommen feste Grund, auf dem Jesus Sein „Fürchtet euch nicht" und „Seid nicht in Unruhe" stützt. Wir fehlen oft in der praktischen Anwendung dieses göttlichen Grundsatzes. Wir bewundern denselben vielleicht als Theorie; aber nur in der Anwendung durch den Glauben, wird sein Wert und seine Schönheit wirklich gesehen und erfahren. In der Tat, wenn wir ihn nicht praktisch üben, so ist er für uns nur wie gemalte Sonnenstrahlen, während wir unter den eisigen Einflüssen unseres Unglaubens schmachten.

In dem Teile des Wortes, den wir vor uns haben, sehen wir, dass ein aufrichtiges und mutiges Zeugnis für Christum mit dieser Unabhängigkeit von den Gedanken der Menschen und diesem friedvollen Vertrauen auf die zarte Sorge unsers himmlischen Vaters eng verbunden ist. Wenn mein Herz über die Menschenfurcht erhaben ist und die süße Ruhe genießt, welche mir die Gewissheit gibt, dass selbst meine Haare alle gezählt sind, dann bin ich imstande, Christum vor den Menschen zu bekennen. (Siehe Verse 8 bis 10.) Wir brauchen nicht, was uns betrifft, über die Folgen eines solchen Bekenntnisses besorgt zu sein, denn solange Gott uns hienieden brauchen will, wird Er uns auch bewahren. „Wenn sie euch aber vor die Synagogen und die Obrigkeiten und Gewalten führen, so sorget nicht, wie oder was ihr antworten oder was ihr sagen sollt, denn der Heilige Geist wird euch in derselben Stunde lehren, was ihr sagen sollt." Um Christum offen bekennen zu können, muss man von dem Einfluss der Menschen völlig befreit und im vollen Vertrauen auf Gott für alles wohl befestigt sein. Überhaupt, je mehr man sich unter dem Einfluss der Menschen befindet oder meint, ihnen gefallen zu müssen, desto weniger ist man geeignet, ein Knecht Christi zu sein (Gal. 1, 10); aber man kann nur durch den lebendigen Glauben von dem Joch menschlichen Einflusses wirklich befreit werden.

Gewiss hat kein Mensch sich je die Mühe gegeben, die Haare unseres Hauptes zu zählen; wir selbst haben uns auch nicht die Mühe gegeben; aber Gott hat es getan, und daher kann ich mehr auf Ihn als auf irgendeinen Menschen vertrauen. Es gibt kein Bedürfnis, klein oder groß, dem Er nicht entsprechen kann; wir haben nur unsere Zuflucht zu Ihm zu nehmen und auf Ihn zu harren, uni zu erfahren, dass Er alles für uns ist. Er kann sich dabei der Menschen als Werkzeuge bedienen, aber wenn wir uns auf das Werkzeug verlassen, anstatt an die Hand die es gebraucht, so bringen wir einen Fluch auf uns, denn es steht geschrieben: „So spricht der Herr: Verflucht der Mann, der auf einen Menschen vertraut und Fleisch macht zu seinem Arm, und dessen Herz vom Herrn weicht!" (Jer. 17, 5.) Der Herr bediente Sich der Raben, um Elia zu nähren; aber Elia dachte nie daran, auf die Raben zu vertrauen. Der Glaube stützt sich auf Gott, rechnet auf Ihn, hängt Ihm an, setzt sein Vertrauen auf Ihn, harrt auf Ihn, erwartet Sein Wirken und stellt sich nicht Hindernisse in den Weg durch ein törichtes Vertrauen auf Geschöpfe, kurz, übergibt Ihm alles. Selbst wenn man durch tiefe Wasser hindurchzugehen hat, erhebt sich der Glaube immer über die Wogen, mit vollkommenem Frieden in Gott ruhend, während er zugleich die Werke Seiner Allmacht rühmt.

Also ist der Glaube, der „kostbare Glaube", das einzige in dieser Welt, das sowohl Gott als den Menschen den rechten Platz gibt.

Während der Herr Jesus also damit beschäftigt war, Seinen Zuhörern diese erhabenen Grundsätze an die Herzen zu legen, unterbrach Ihn ein wahres Erdenkind mit einer Erbschaftsfrage. „Einer aus der Volksmenge aber sprach zu Ihm: Lehrer, sage meinem Bruder, dass er das Erbe mit mir teile." (Luk. 12, 13.) Wie wenig kannte dieser den wahren Charakter des göttlichen Menschen, an Den er eine solche Zumutung stellte! Der Herr war gewiss nicht vom Himmel gekommen, um über Eigentumsfragen zu urteilen, noch um Schiedsrichter zwischen zwei Männern zu sein, die nach den Gütern dieser Welt begierig waren. Der Geist der Habsucht war in dieser Sache offenbar und herrschte sowohl bei dem Klüger als bei dem Angeklagten. Der eine suchte zu nehmen, der andere zu behalten. „Er aber sprach zu ihm: Mensch, wer hat mich zu einem Richter oder Teiler über euch gesetzt?" Es ist hier nicht die Frage, zu wissen, wer Recht und wer Unrecht hatte. Nach der reinen und göttlichen Lehre Christi hatten sie beide Unrecht. Was sind einige Jucharten Land im Lichte der Ewigkeit? Christus lehrte nicht nur Grundsätze, die allen Prozessen betreffs Eigentums gänzlich entgegen waren, sondern gab durch Seinen Charakter und Sein Leben das Beispiel des Gegenteils hievon. In Bezug auf Sein Erbteil nahm Er nicht Zuflucht zum Gesetz. Er war „Erbe aller Dinge"; das Land Israel, der Thron Davids, die ganze Schöpfung gehörte Ihm; aber die Menschen wollten Ihn nicht anerkennen, noch Ihm das Seinige geben. „Die Weingärtner sprachen untereinander: Dieser ist der Erbe; kommet, lasset uns ihn töten und sein Erbe in Besitz nehmen." Und der Erbe ergab sich darein mit vollkommener Geduld; aber gepriesen sei ewig Sein Name, indem Er sich in den Tod gab, zerstörte Er die Macht des Feindes und führte viele Söhne zur Herrlichkeit.

So sehen wir in der Lehre und im Leben des vom Himmel gekommenen Menschen die wahre Offenbarung der Grundsätze des Reiches Gottes. Während Er sich nicht als Schiedsrichter in solchen Fragen aussprechen wollte, lehrte Er Wahrheit, die, wenn sie in den Herzen ausgenommen würde, solche Rechtssprüche gänzlich unnötig machte. Wenn die Grundsätze des Reiches Gottes die Oberhand hätten, so würde man keine Gerichtshöfe brauchen. Jeder wird dies zugeben. Der Christ aber, da er zum Reiche Gottes berufen ist, soll sich auch durch die Grundsätze dieses Reiches leiten lassen und dieselben ausüben, was es auch kosten mag. Daher beraubt er seine Seele der göttlichen Segnung und schwächt sein Zeugnis, im Verhältnis als er die Verwirklichung dieser Grundsätze vernachlässigt. Es ist also klar, dass derjenige, welcher sich an die Gerichtshöfe wendet, darin nicht durch die Grundsätze des Reiches Gottes, sondern durch diejenigen der Welt geleitet wird. Schon das moralische Gefühl der göttlichen Natur in uns sollte uns die große Inkonsequenz eines Menschen erkennen lassen, der bekennt, aus Gnaden errettet zu sein, und der gegen seinen Nächsten das Gesetz in Anspruch nimmt — der, während er anerkennt, dass, wenn er sein Recht von Seiten Gottes empfangen würde, sein Platz für die Ewigkeit in der Hölle wäre, dennoch auf seinem Recht gegenüber seinesgleichen besteht. Es ist ihm eine Schuld von zehntausend Talenten erlassen worden, und er ergreift und würgt seinen Mitknecht wegen elenden hundert Denaren!

Es ist wohl wahr, dass, wenn der Christ diese Dinge im Lichte des Reiches Gottes, im Lichte der Ewigkeit, betrachtet und darnach handelt, er sich Verlusten und Leiden aussetzt; aber wer wird „des Reiches Gottes würdig geachtet", wenn nicht derjenige, der bereit ist, „um desselben willen zu leiden" ? (2. Thess. 1, 5.) Da das Reich Gottes noch nicht auf Erden aufgerichtet und der König desselben verworfen ist, so ist es richtig und passend, dass die Untertanen dieses Reiches zu leiden berufen sind. Jetzt leidet die Gerechtigkeit, im tausendjährigen Reich wird sie herrschen, und im neuen Himmel und auf der neuen Erde wird sie wohnen.

Indem nun der Christ das Gesetz in Anspruch nimmt, um sich Recht zu verschaffen, handelt er, als ob das tausendjährige Reich schon da wäre. Er vergisst, dass er, in der Nachfolge seines jetzt verworfenen Herrn, berufen ist, allerlei Unrecht und Schmach geduldig zu ertragen. Diese Dinge übel zu empfinden und rächen zu wollen, widerspricht dem Bekenntnis, Ihm anzugehören. Ich bitte meine Leser, ihre Aufmerksamkeit ernstlich auf diese Tatsache zu richten. Möge sie auf die Gewissen aller tief einwirken! Lasst uns diese Dinge nicht leicht nehmen, denn nichts hindert so sehr die Förderung, die Kraft, das Gedeihen des Reiches Gottes in den Herzen, wie die Weigerung, sich nach den Grundsätzen dieses Reiches zu benehmen.

Der Christ sollte in allen Dingen durch diese Grundsätze geleitet sein. Wenn er in Geschäften ist, so sollte er dieselben als ein Kind Gottes, als ein Diener Christi führen. Er sollte nicht am Sonntag den Charakter eines Christen und am Montag den Charakter eines Kaufmanns haben. Ich soll den Herrn in meiner Werkstatte, in meinem Laden oder Bureau bei mir haben. Es ist ein Vorrecht für mich, in meinen Geschäften von Gott abhängig zu sein; aber, uni von Ihm abhängig sein zu können, müssen meine Geschäfte derart sein und nach solchen Grundsätzen geführt werden, dass Er sie gutheißen kann. Wenn ich sage: „Ich muss wohl meine Geschäfte machen wie andere Leute sie machen," so verlasse ich den wahren christlichen Standpunkt und befinde mich im Strom der Gedanken der Welt. Wenn ich z. B. zu auffälligen Zeitungsanzeigen, Maueranschlagen und anderen ähnlichen Mitteln der Reklame Zuflucht nehme, so ist es offenbar, dass ich nicht in einem Geiste einfacher Abhängigkeit von Gott arbeite, sondern vielmehr im Vertrauen auf die Grundsätze der Welt. Wenn jemand einwendet: „Aber wie soll es mir in meinen Geschäften gelingen?" so würde ich mit folgender Frage antworten: „Was ist dein Zweck? Ist es um Nahrung und Kleidung zu haben, oder um Geld aufzuhäufen? Wenn es das erstere ist, so hat Gott verheißen, für dich darin zu sorgen, so dass, wenn du auf dem Wege bist, den Er gutheißt, du dich nur auf Ihn zu verlassen hast."

Der Glaube stellt die Seele immer auf einen Standpunkt, der von demjenigen, den die Welt einnimmt, ganz verschieden ist, was auch unser Beruf oder unsere Lebensstellung sein mag. Sehen wir z. B. David im Terebin- thental. Warum kämpft er nicht wie andere Menschen? Weil er auf dem Grund des Glaubens stand. Ebenso Hiskia; warum kleidet er sich in einen Sack, während die andern den Harnisch anziehen? Weil er in einfacher Abhängigkeit von Gott wandelte.

Aber jemand könnte fragen: „Ist es denn ungerecht, unsere Interessen zu wahren suchen und uns der Mittel zu bedienen, die uns dafür zu Gebote stehen?" Gewiss nicht. Was wir sagen wollen, ist, dass, wie klar und unanfechtbar unser Recht auch sein mag, das Nachsuchen dieses Rechtes bei Gericht dem Reiche Gottes gerade entgegengesetzt ist. Der Knecht in Matth. 18 wird ein „böser Knecht" genannt und den Peinigern überliefert, nicht weil es eine ungerechte Handlung war, durch Gewalt die Bezahlung einer Schuld erlangen zu wollen, sondern weil , er nicht in Gnade gehandelt und diese Schuld erlassen hatte. Erwägen wir ernstlich diese Tatsache. Wer es versäumt, in Gnade zu handeln, wird bald das Bewusstsein der Gnade verlieren; wer die Grundsätze des Reiches Gottes nicht verwirklicht, wird den Genuss dieser Grundsätze in seiner Seele verlieren. Das ist die Lehre, die aus dem Gleichnis vom bösen Knecht zu ziehen ist. Wie nötig war es nun, daß der Herr Seinen Jüngern die Ermahnung gab: „Sehet zu, und hütet euch vor aller Habsucht; denn nicht, weil jemand Überfluss hat, besteht sein Leben in seiner Habe." (Luk. 12, 15.)

Aber wie schwierig ist es, die Habsucht näher zu bezeichnen und die Gewissen zum Bewusstsein dieser Sünde zu bringen! Sie hat, gleich der Weltförmigkeit, gar verschiedene Abstufungen, vom Weiß bis zum dunkelsten Schwarz; so dass, um das Vorhandensein derselben entdecken zu können, eine geistliche und himmlische Gesinnung am nötigsten ist. Aber außerdem ist es auch in dieser Beziehung nötig, dass unsere Herzen von dem „Sauerteig der Pharisäer, welcher Heuchelei ist," gereinigt seien. Die Pharisäer waren geldliebend und konnten über die Lehre Christi nur spotten (vergl. Luk. 16, 14.); und also ist es bei allen denen, die von jenem Sauerteige angesteckt sind. Sie werden die richtige Anwendung der Wahrheit, sei es in Bezug auf die Habsucht oder andere Sünden, nie verstehen ; sondern bestreben sich, eine Bezeichnung zu erfinden, die ihnen konveniert. Sie suchen, die Wahrheit Gottes anders auszulegen, ihre Wichtigkeit und Schärfe zu vermindern, bis es ihnen gelungen ist, ihr Gewissen derselben gegenüber abzustumpfen; und so fallen sie unter den Einfluss und die Macht des Feindes. Wir müssen entweder durch die reine Wahrheit des Wortes Gottes, oder durch die unreinen Grundsätze der Welt geleitet sein, welche, wie wir wohl wissen, in der Werkstätte Satans, der ihr Fürst ist, geschmiedet und in die Welt eingeführt werden, um seinen Zwecken zu dienen.

Im Gleichnis des reichen Mannes, das der Herr uns als Beispiel der Habsucht gibt, finden wir einen Charakter, den die Welt achtet und lobt. Aber darin, wie in allen den andern Gegenständen dieses ernsten Kapitels, sehen wir den Unterschied zwischen jetzt und dann, zwischen der Zeit und der Ewigkeit. Alles hängt vom Lichte ab, in welchem wir die Menschen und die Dinge betrachten. Wenn man sie einzig vom zeitlichen Gesichtspunkt aus anschaut, so ist es ganz natürlich, dass man sein Geschäft zu vergrößern, seine Verbindungen auszubreiten und für die Zukunft Schütze zu sammeln sucht. Der Mensch, der also handelt, wird jetzt vorsichtig genannt, aber dann kann er ein „Narr" erfunden werden. Nun, lieber Leser, erinnern wir uns, dass wir die Dinge dieser Zeit im Lichte der Ewigkeit, im Lichte Gottes, zu betrachten haben. Das ist die wahre Weisheit, welche das Herz nicht auf den Zustand der Dinge beschränkt, der „unter der Sonne" herrscht, sondern es ins Licht und unter den Einfluss jener unsichtbaren Welt stellt, wo die Grundsätze des Reiches Gottes gelten. Was würden wir von Prozessen, vom Jagen nach Geld und Gut, vom Aufhäufen von Vermögen, von Versicherungsgesellschaften halten, wenn wir sie im Lichte der Ewigkeit betrachten würden? Diese Dinge passen sehr gut für Leute, deren einziger Beweggrund das Wohlsein in diesem Leben ist; aber der Jünger Christi soll das Wohlsein im zukünftigen Leben zum Beweggrund haben. Dies macht den ganzen Unterschied aus, und es ist gewiss ein ernster Unterschied.

„Das Land eines gewissen reichen Menschen trug viel ein." (Luk. 12, 16.) Was ist Unrechtes darin, ein guter Landwirt oder ein geschickter Handelsmann zu sein? Wenn Gott die Arbeit eines Menschen segnet, sollte dieser sich nicht darüber freuen? Ohne Zweifel; beachten wir aber die Kundgebungen eines habsüchtigen Herzens. „Er überlegte bei sich selbst." Es war nicht in Gottes Gegenwart, nicht unter den mächtigen Einflüssen der Ewigkeit, dass er überlegte, sondern in den engen Schranken seines selbstsüchtigen Herzens. Deshalb ist es nicht zu verwundern, dass er zu dem praktischen Schluss kam: „Was soll ich tun? Denn ich habe nicht, wo ich meine Früchte einsammle." Wie! war kein anderer Gebrauch davon zu machen im Hinblick auf Gottes Zukunft? Ach, nein. Der Mensch hat eine Zukunft, oder träumt wenigstens von einer Zukunft, auf welche er rechnet und für die er Vorsorge trifft; aber das eigene Ich ist das Einzige, das diese Zukunft erfüllt — das Ich, sei es in meiner eigenen Person, sei es in derjenigen meiner Frau oder meiner Kinder, was, in dieser Beziehung, im Grunde dasselbe ist. Das, was Gottes Zukunft erfüllt, ist Christus, und die wahre Weisheit wird uns dazu führen, unsere Blicke auf Ihn zu richten als unserm Mittelpunkt und Beweggrund für die Zeit und die Ewigkeit. Aber die wahre Weisheit ist Torheit in den Augen der Welt; ja, die Weisheit des Himmels ist Unsinn für diejenigen, die nach irdischen Dingen trachten.

„Und er sprach: Dies will ich tun: ich will meine Scheunen Niederreißen und größere bauen und dahin einsammeln all mein Gewächs und meine Güter." Es ist eine traurige Konsequenz in feinen Gedanken, Worten und Handlungen. „Dahin", in die selbstgebaute Scheune, „will ich alles einsammeln". Armseliger Schatz als ganzes Besitztum einer unsterblichen Seele. Gott kam gar nicht in Betracht; Er war weder sein Vorratshaus, noch sein Schatz, und so ist es immer bei einem Weltmenschen.

„Und ich will zu meiner Seele sagen: Seele, du hast viele Güter daliegen auf viele Jahre; ruhe aus, iss, trink, sei fröhlich." So sehen wir, dass der Vorrat eines Weltmenschen höchstens für „viele Jahre" ausreicht. Genieße denselben so gut du kannst, denn diese enge Grenze kann nicht überschritten werden. Sogar nach feiner eigenen Ansicht in Bezug darauf, können seine Vorräte nicht in die unendliche Ewigkeit dauern, welche sich über diesen kurzen Zeitraum hinaus erstreckt. Und diese Vorräte hält er seiner Seele vor, die niemals sterben soll, als die Quelle ihrer Ruhe und Freude. Elende Blindheit! unsinnige Berechnung! Welch ein Unterschied zwischen dem und was ein Gläubiger seiner Seele vorstellen kann! Auch er kann sagen: „Seele, ruhe aus, iss, trink und sei fröhlich; iss vom besten aus Gottes Vorräten, und trinke aus dem Strome Seiner Wonne und von dem Weine Seines Reiches, und freue dich Seines völligen Heils; denn du hast viele Güter, ja unerschöpfliche Reichtümer, unaussprechliche Schätze, nicht nur für mehrere Jahre, sondern für die Ewigkeit. Christi vollbrachtes Werk ist der Grund zu deinem ewigen Frieden, und Seine zukünftige Herrlichkeit ist das gewisse Ziel deiner Hoffnung." Dies ist eine ganz andere Redeweise, lieber Leser, und zeigt den Unterschied zwischen jetzt und dann. Uns eine Zukunft auszumalen, ohne Gott den ersten Platz darin zu geben, ist eine wahre Torheit ; sobald Gott dazwischen kommt, verschwindet das Bild.

„Gott aber sprach zu ihm: Du Narr! in dieser Nacht wird man deine Seele von dir fordern; was du aber bereitet hast, für wen wird es sein?" Und man beachte dann die Lehre, die der Herr daraus zieht: „Also ist, der für sich Schätze sammelt, und ist nicht reich gegen Gott." Derjenige, der Schütze sammelt, macht leicht einen Gott aus seinem Schatz; er lässt sich in eine falsche Sicherheit betreffs seiner Zukunft einwiegen, indem er an die Güter denkt, die er in Reserve hat; denn wenn er sie nicht hätte, so würde er unglücklich sein. Es würde einen natürlichen Menschen um die Vernunft bringen, wenn man ihm nichts geben würde, um davon abzuhängen, als Gott allein; er würde lieber irgendetwas haben als nur Gott. Gebt ihm alte Pergamente in Gestalt von Aktien, gebt ihm einen Versicherungsschein, er wird sich darauf stützen und sogar ruhig sterben, wenn er diese Fetzen seinen Erben hinterlassen kann. Mit einem Wort, alles hat für das natürliche Herz Wert, außer Gott. Nach dem Urteil des unbekehrten Menschen ist alles Wirklichkeit außer der einzigen Wirklichkeit. Das zeigt den wahren Zustand der menschlichen Natur. Sie kann wohl von Gott reden, aber kann nicht auf Ihn vertrauen. Der Grundzug des von Gott abgefallenen Menschen ist Misstrauen in Bezug auf Ihn, und eine der schönsten Früchte der Wiedergeburt ist, dass der Mensch in Stand gesetzt wird, in allen Dingen Gott zu vertrauen. „Die Deinen Namen kennen, werden ihr Vertrauen auf Dich setzen." Nur sie können es.

Aber indem ich dies schreibe, ist es mein Hauptzweck, mich an die Gewissen der Christen zu richten. Ich frage nun den christlichen Leser in aller Offenheit, ob es mit der Lehre Christi, wie sie im Evangelium enthalten ist, übereinstimmt, dass Seine Jünger Schütze sammeln, Reichtum anhäufen auf Erden? Es ist fast überflüssig, eine solche Frage zu stellen, angesichts des zwölften Kapitels in Lukas und anderer ähnlichen Stellen, wie: „Sammelt euch nicht Schätze auf der Erde, da wo Motte und Rost verderben, und wo Diebe durchgraben und stehlen; sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Rost verderben, und wo Diebe nicht durchgraben noch stehlen." (Matth. 6, 19. 20.) Das ist klar genug, und man braucht nur ein aufrichtiges Gewissen, um es so anzuwenden, dass es die richtigen Resultate hervorbringt. In dieser Beziehung, wie in betreff der Prozesse, müssen wir uns nur erinnern, dass wir dem Reiche Gottes angehören, um zu wissen, wie wir handeln sollen. Die Grundsätze dieses Reiches sind ewig und für jeden Jünger Christi bindend.

„Er aber sprach zu Seinen Jüngern: Deshalb sage ich euch: seid nicht besorgt für das Leben, was ihr essen, noch für euern Leib, was ihr anziehen sollt. Das Leben ist mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung." Beachten wir, dass es heißt: „Seid nicht besorgt." Diese Worte brauchen keine Auslegung und dürfen nicht abgeschwächt werden. Es denkt vielleicht jemand, sie bedeuten: Seid nicht sehr besorgt; aber es handelt sich hier nicht nur um große Sorgen, sondern es ist einfach gesagt: „Seid nicht besorgt," und zwar in Bezug auf das, was der Mensch wirklich immer bedarf, nämlich Nahrung und Kleidung. „Seid um nichts besorgt," sagt auch der Geist durch den Apostel in Phil. 4, „sondern in allem lasset durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure Anliegen vor Gott kundwerden, und der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, wird eure Herzen und eure Sinne bewahren in Christo Jesu." Da ist die feste Grundlage des Friedens des Herzens, den so wenige Gläubige wirklich genießen. Viele, welche Frieden des Gewissens durch den Glauben an die Vollkommenheit des Werkes Christi gefunden haben, genießen nicht Frieden des Herzens durch den Glauben an die vollkommene Fürsorge Gottes in allem was uns betrifft.

Es kommt oft vor, dass wir für unsere Schwierigkeiten und Prüfungen beten, und uns ebenso bekümmert und niedergeschlagen vom Gebet erheben, wie wir niederknieten. Wir geben vor, unsere Angelegenheiten in Gottes Hände zu legen, aber wir verstehen nicht, dieselben dort zu lassen, und dadurch berauben wir uns des Friedens des Herzens. So war es der Fall mit Jakob in 1. Mose 32. Er bat Gott, ihn aus der Hand Esaus zu befreien; aber kaum hatte er sich von seinen Knien erhoben, dass er seinen Gedanken verriet betreffs der wahren Grundlage des Vertrauens seiner Seele, indem er sprach: „Ich will sein Angesicht versöhnen mit dem Geschenk, das vor mir hergeht." Es ist klar, dass er mehr auf sein Geschenk, als auf Gott vertraute. Dies ist ein sehr gewöhnlicher Fehler unter den Kindern Gottes. Wir bekennen, auf die ewige Quelle zu harren, während der Blick der Seele sich an irgend eine irdische Zisterne wendet (Jer. 2, 13); und also wird Gott wirklich beiseitegelassen, unsere Herzen sind von der Sorge nicht befreit und genießen den Frieden nicht.

In der Fortsetzung der angeführten Stelle in Phil. 4, gibt uns der Apostel ein Verzeichnis der Dinge, an welche wir denken sollen, und die geeignet sind, uns von uns selbst und unsern eignen Angelegenheiten abzuziehen. „Im Übrigen, Brüder, alles was wahrhaftig, alles was ehrbar, alles was gerecht, alles was rein, alles was liebreich, alles was wohllautet, wenn irgend eine Tugend und wenn irgend ein Lob ist, dies erwäget. Was ihr auch gelernt und empfangen und gehört und an mir gesehen habt, dies tut, und der Gott des Friedens wird mit euch sein." Wenn ich also glaube und weiß, dass Gott meiner gedenkt und für mich sorgt, so habe ich „den Frieden Gottes"; und wenn ich an Gott und die Dinge, die Ihm Wohlgefallen, denke und mich mit denselben beschäftige, so habe ich „den Gott des Friedens" mit mir.

Dies alles ist in völliger Übereinstimmung mit der Belehrung des Herrn in Lukas 12. Nachdem Er die Herzen Seiner Jünger in Bezug auf ihre zeitlichen Bedürfnisse und ihren zukünftigen Schatz beruhigt hat, sagt Er: „Trachtet aber nach dem Reich Gottes, und dies alles wird euch dazu gegeben werden." Das will nicht sagen, dass ich nach dem Reich trachten soll mit dem Hintergedanken, dass, indem ich es tue, für meine Bedürfnisse gesorgt werde, was für einen wahren Jünger unpassend wäre. Denn derselbe denkt nur an seinen Meister und an das Reich seines Meisters; und dieser wird dann gewiss nicht versäumen, an Seine Jünger und deren Bedürfnisse zu denken. So sind die Beziehungen zwischen einem treuen Knecht und einem allmächtigen und gnadenvollen Herrn. Solch ein Knecht kann also ohne Unruhe, ja völlig frei von Sorge sein.

Aber noch ein anderer Grund wird uns in dieser Ermahnung gezeigt, um Besorgnis aus unsern Herzen zu verbannen, nämlich deren gänzliche Nutzlosigkeit: „Wer unter euch vermag mit Sorgen seiner Größe eine Elle zuzusetzen? Wenn ihr nun auch das Geringste nicht vermögt, warum seid ihr für das Übrige besorgt?" Wir gewinnen nichts durch unsere Sorgen, und, indem wir uns denselben hingeben, machen wir uns nur unfähig, nach dem Reich Gottes zu trachten, und hindern durch unsern Unglauben die Wirksamkeit des Herrn in uns. Die Worte: „Er konnte dort kein Wunderwerk tun wegen ihres Unglaubens," sind immer wahr in Bezug auf uns. Der Unglaube ist das große Hindernis der Entfaltung der Macht Gottes zu unsern Gunsten. Wenn wir die Sorge für unsere Angelegenheit selbst übernehmen, so haben wir natürlich Gott nicht nötig. Aber so werden wir unter dem niederdrückenden Einfluss unserer unruhigen Gedanken gelassen, die uns dazu treiben, unsere Zuflucht zu irgend einer menschlichen Hilfsquelle zu nehmen, und uns zum Schiffbruch in betreff des Glaubens führen. Es ist von der höchsten Wichtigkeit für uns, zu verstehen, dass wir uns entweder auf Gott oder auf die Umstünde stützen. Es würde uns absolut nichts nützen, zu meinen, dass wir uns auf Gott und die Umstände stützen. Man stützt sich ganz auf Gott oder gar nicht. Ist es denn nicht sehr inkonsequent, vom Glauben zu reden, den Glauben zu empfehlen, während in Wirklichkeit unsere Herzen auf die eine oder andere Weise vom Geschöpf abhängig sind? Wir sollten unsere Wege in dieser Beziehung ernstlich Prüfen; denn da die unmittelbare und völlige Abhängigkeit von Gott ein besonderer Charakterzug des göttlichen Lebens und ein Hauptgrundsatz Seines Reiches ist, so ist es unerlässlich, dass wir wohl darauf achten, damit wir unserm Fortschritt in diesem allein richtigen Zustand kein Hindernis in den Weg legen.

Gewiss ist es für Fleisch und Blut sehr schwierig, nichts Sichtbares als Stütze zu haben. Zittert nicht das Herz angesichts der Umstünde, wie am Ufer eines unbekannten Meeres, wo nur der Glaube leben und bestehen kann. Wir sind manchmal auf dem Punkt, mit Lot auszurufen: „Siehe doch, diese Stadt ist nahe, um dahin zu fliehen, und sie ist klein; lasse mich doch dahin gerettet werden (ist sie nicht klein?), dass meine Seele lebe." (1. Mose 19.) Das Herz begehrt irgend einen Fetzen irdischer Dinge, einige Planken vom armseligen Floß der Güter dieser Welt, kurz, irgend etwas, um nicht genötigt zu sein, in einem Zustand gänzlicher Abhängigkeit von Gott zu leben. Aber wenn man Gott wirklich kennt, so muss man Ihm vertrauen; und wenn man Ihm vertrauen soll, so muss man Ihn kennen. Sonst wird das arme Herz sich immer nach einer festen, sichtbaren Hilfsquelle sehnen. Handelt es sich um zeitliche Bedürfnisse, so wird es sehnlich wünschen, ein festes Einkommen, wohlangelegtes Geld, eigenes Land oder irgendwelches Besitztum zu haben, überhaupt etwas, woraus das arme Herz zählen kann. Handelt es sich um den Dienst des Wortes oder irgend ein öffentliches Zeugnis für den Herrn, so ist dasselbe der Fall. Wenn jemand geht, um das Wort zu verkündigen oder darüber zu reden, so möchte er sich auch auf etwas stützen können: wenn nicht auf eine geschriebene Predigt, so doch auf einige Notizen, auf eine Vorbereitung, anstatt einfach und völlig von Gott abhängig zu sein.

Daher kommt es, dass die Weltlichkeit solche bedenkliche Fortschritte unter den Christen macht. Es ist aber nur der Glaube, der die Welt überwindet; nur er erhebt die Seele über die Einflüsse der Zeit und bewahrt sie im Lichte der Ewigkeit. Er schaut nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. So überwindet er die Welt und reinigt das Herz. Er hört und vertraut auf die Worte Jesu: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es ist euers Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben." Wenn nun Sein Reich mein Herz erfüllt, so haben andere Dinge nicht Raum darin. Ich kann dann leicht die Schatten der Gegenwart aufgeben, in der Aussicht auf die zukünftigen Wirklichkeiten; die vergänglichen Güter der jetzigen Zeit, im Hinblick auf die Ewigkeit. Deshalb fügt der Herr gleich hinzu: „Verkauft eure Habe und gebet Almosen; macht euch Säckel, die nicht veralten, einen Schatz, unvergänglich in den Himmeln, wo kein Dieb sich nahet und keine Motte verderbet. Denn wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein."

„Wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein." Wenn unser Schatz auf Erden ist, so wird auch unser Herz daselbst sein, und wir werden weltlich sein. Aber wie können wir wirklich unser Herz von der Welt befreien? Dadurch, dass es von Christo erfüllt wird, welcher der wahre Schatz ist, den weder die „Säckel" noch die „Scheunen" der Welt fassen können. Die Welt sammelt ihre „Güter" in Scheunen, welche verfallen, und in Säckel, die veralten; und was wird dann aus dem Schatze werden? Gewiss baut derjenige nicht sicher, der unter dem Himmel baut. Trotzdem wollen viele, wenn auch nicht für sich selbst, doch wenigstens für ihre Kinder, d. h. ihr zweites Ich, bauen und Reichtümer ansammeln. Ein so gesammeltes Vermögen wird selten zum Segen für die Kinder, weil es sie von dem den Menschen im Allgemeinen von Gott bestimmten Weg abzieht, nämlich dass jeder „arbeite und wirke mit den Händen das Gute, auf dass er (nicht für sich oder für sein zweites Ich Schätze sammeln könne, sondern) dem Dürftigen mitzuteilen habe". Dies ist das dem Menschen vom Herrn bestimmte Los; wenn ich deshalb für mein Kind Schätze sammle, so entziehe ich es und mich selbst dieser Bestimmung, und es kann daraus nur ein Verlust von Segen folgen. Wenn ich je die unvergleichliche Wonne des Gehorsams gegen Gott und des Vertrauens auf Ihn in allen Dingen geschmeckt habe, sollte ich dann mein Kind derselben berauben? Würde ich also als guter und weiser Vater handeln? Wenn ich auf Gott vertrauen kann in dem, was mich betrifft, warum kann ich es nicht auch betreffs meiner Kinder tun? Kann derjenige, der mich genährt und gekleidet hat, nicht auch sie nähren und kleiden? Ist Seine Hand verkürzt, oder sind Seine Hilfsmittel erschöpft? Soll ich aus meinen Kindern Faulenzer oder Müßiggänger machen? ihnen anstatt Gott Geld oder Werttitel geben? O lieber Leser, erwägen wir wohl die einfache Tatsache, dass, wenn wir nicht für unsere Kinder auf Gott vertrauen können, wir Ihm auch nicht für uns selber vertrauen. Sobald ich mich auf das verlasse, was ich gesammelt habe, sei es wenig oder viel, so Weiche ich von dem Wandel des Glaubens ab. Ich mag meinen Schatz mit den schönsten Namen nennen, die je von weltlichen oder ungläubigen Herzen erfunden worden sind, die Wahrheit ist, dass derselbe den Platz einnimmt, der Gott gehört. „Wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein."

Aber man verstehe diese Wahrheit wohl und lege ihr nicht einen Sinn bei, den sie nicht hat. Ich bin verpflichtet, nach den kräftigen Ermahnungen und Beispielen des Wortes Gottes, durch Arbeit für meine und der Meinigen Bedürfnisse zu sorgen; denn „wenn jemand für die Seinigen, und besonders für die Hausgenossen, nicht sorgt, der hat den Glauben verleugnet und ist schlechter denn ein Ungläubiger". (1. Tim. 5, 8.) Das ist klar genug. — Außerdem ist es meine Pflicht, soweit es die Grundsätze Gottes zulassen und Er mir die Mittel dazu gibt, meine Kinder so zu erziehen, dass sie zu irgend einem Dienste oder Beruf, zu welchem sie Gott leiten mag, fähig seien. Aber ich sehe nirgends im Worte, dass ich meinen Kindern ein Vermögen hinterlassen soll, statt einer ehrlichen Beschäftigung, in einfacher Abhängigkeit Von ihrem himmlischen Vater. Und ist es nicht eine Tatsache, dass Kinder selten den Eltern dankbar sind, die ihnen ein reiches Erbteil hinterlassen haben; während andere sich immer mit Dankbarkeit und Hochachtung an die väterliche Fürsorge einer Praktischen Frömmigkeit erinnern, durch welche sie in Stand gesetzt worden sind, für sich selbst zu arbeiten im Vertrauen auf Gott? Es gibts nichts Köstlicheres als diese glückliche und gesegnete Abhängigkeit eines wahren Jüngers Christi.

Aber ich darf nicht eine Stelle übergehen, welche man oft gebraucht oder vielmehr missbraucht hat, um die weltliche und ungläubige Sitte, Reichtum zu sammeln, zu unterstützen, nämlich 2. Kor. 12, 14: „Siehe, das dritte Mal stehe ich bereit, zu euch zu kommen und werde euch nicht zur Last fallen, denn ich suche nicht das Eure, sondern euch. Denn die Kinder sollen nicht für die Eltern Schütze sammeln, sondern die Eltern für die Kinder." Wie viele Leute sind ganz froh, wenn sie in der heiligen Schrift einen Schein von Gutheißung ihrer Weltlichkeit finden! Gewiss ist in dieser Stelle nur ein Schein von Gutheißung ; denn sicher lehrt der Apostel die Christen, himmlische Menschen zu sein, nicht, Schätze zu sammeln auf Erden. Er erwähnt nur die gewöhnlichen Verhältnisse in der Welt und ein gewöhnliches Gefühl bei dem natürlichen Menschen, mit dem Zweck, seine Handlungsweise den Korinthern gegenüber, welche seine Kinder im Glauben waren, besser verständlich zu machen. Er war ihnen nicht zur Last gefallen und wollte es auch in Zukunft nicht, weil er ihnen ein Vater war. Wenn nun Gottes Kinder zu den Grundsätzen der Welt zurückkehren wollen, so mögen sie also alle Sorge darauf verwenden, Schätze zu sammeln „in den letzten Tagen"; aber sie mögen sich erinnern, dass das Ende davon Motte, Rost und Fäulnis sein wird. (Jak. 5.) O wenn wir den Wert jener „Säckel", die nicht veralten, jener himmlischen „Scheunen", in welche der Glaube seine unvergänglichen Güter sammelt, erkennen würden, dann würden wir auf einem heiligen Pfade durch diese gegenwärtige böse Welt wandeln, dann würden wir uns aus den mächtigen Flügeln des Glaubens über die dumpfe Atmosphäre erheben, welche wie ein Leichentuch diese Welt, die Christum verwirft und Gott hasst, umhüllt — eine Welt, ganz durchdrungen und verunreinigt von diesen beiden Elementen: der Hass gegen Gott und die Liebe zum Geld.

Zum Schluss habe ich noch zu sagen, dass der Herr Jesus, der anbetungswürdige, göttliche Meister, indem Er durch diese himmlischen Grundsätze die Gedanken und Neigungen Seiner Jünger auf das richtige Niveau zu erheben sucht, ihnen zwei Dinge ans Herz legt, die in den Worten des Geistes Gottes zusammengefasst werden können: „zu dienen dem lebendigen und wahren Gott und zu erwarten Seinen Sohn aus dem Himmel". (1. Thess. 1, 9.10.) Die übrige Belehrung des zwölften Kapitels in Lukas, vom 35. Vers an, steht in Verbindung mit diesen zwei Hauptpunkten, auf welche ich die ernste Aufmerksamkeit meines christlichen Lesers lenken möchte. Der Dienst des lebendigen Gottes soll unser ganzes tägliches Leben kennzeichnen, und die Erwartung Seines Sohnes aus dem Himmel unsere Zukunft erfüllen.

Möge der Heilige Geist Sein Wort mit himmlischer Kraft begleiten, auf dass es solcherweise in die Herzen und Gewissen eindringe, dass das Leben der Kinder Gottes davon zeuge, der Name des Herrn Jesu verherrlicht und Seine Wahrheit dargestellt werde im Benehmen derjenigen, die Ihm angehören. Möge einem jeden von uns die Gnade reichlich zu Teil werden, ein ehrliches Herz und ein zartes, gerades und gutes Gewissen zu haben, auf dass wir wie ein wohlgestimmtes Instrument seien, das, wenn die Hand des Meisters es berührt, einen reinen Ton gibt, in völliger Harmonie mit Seiner himmlischen Stimme!

Endlich, sollten diese Seiten in die Hände von jemand kommen, der noch nicht Frieden seines Gewissens in der durch den Sohn Gottes vollbrachten Erlösung gefunden hat, so möchte ich ihn ermahnen, dieselben doch nicht beiseite zu legen, mit dem Gedanken: „Diese Rede ist hart; wer kann sie hören?" Du frägst vielleicht: Was würde aus der Welt werden, wenn solche Grundsätze darin herrschten? Ich antworte: Sie würde aufhören, von Satan regiert zu werden und würde „das Reich Gottes" werden. Aber, mein Freund, darf ich dich fragen, welchem Reiche du angehörst, dem jetzigen oder dem zukünftigen? Lebst du für die Dinge dieser Welt, oder trachtest du nach denjenigen der Ewigkeit, lebst du für die Erde oder für den Himmel? O ich bitte dich ernstlich und in Liebe, sei ehrlich und aufrichtig mit dir selbst in der Gegenwart Gottes. Gedenke daran, dass „nichts verdeckt ist, das nicht aufgedeckt, und nichts verborgen, das nicht kund werden wird". Vor dem Richterstuhl Gottes wird alles ans Licht gestellt werden. Darum sage ich dir, sei offen mit dir selbst. Frage dich, wie du stehst, welche deine Beziehungen mit dem lebendigen Gott seien, was die Grundlage deines Friedens sei, was deine Aussichten für die Ewigkeit seien. Denke nicht, dass Gott von dir verlange, dass du den Himmel durch das Ausgeben der Dinge der Erde gewinnest. Nein, Er weist dich an Christum, der, indem Er deine Sünden an Seinem Leibe auf das Kreuz trug, dem Sünder, welcher glaubt, einen Weg geöffnet hat, auf dem er kraft einer göttlichen Gerechtigkeit zu Ihm kommen kann. Gott verlangt nicht, dass du etwas seiest oder tuest; sondern das Evangelium sagt dir, was Jesus ist und was Er getan hat, und wenn du das in deinem Herzen glaubst und mit dem Munde bekennst, so wirst du errettet werden. (Röm. 10, 9.)

Er, der ewige Sohn Gottes, eins mit dem Vater, nahm einen Leib an, der durch die Kraft des Heiligen Geistes zubereitet war, wurde von einem Weibe geboren und wurde also ein wirklicher Mensch — wahrer Gott und wahrer Mensch — der, nach einem Leben vollkommenen Gehorsams, auf dem Kreuze starb, indem Er für uns zur Sünde und zum Fluche gemacht worden war und den Kelch des gerechten Zornes Gottes bis zum letzten Tropfen getrunken hatte, den Sieg über das Grab davontrug und denjenigen zu nichte machte, der die Macht des Todes hat, nach welchem Er in den Himmel auffuhr und sich zur Rechten Gottes setzte. Sein vollkommenes Opfer hat solch einen unendlichen Wert, dass durch Ihn allen Menschen die Vergebung der Sünden angeboten wird und jeglicher Glaubende von allem gerechtfertigt ist. (Apostel- gesch. 13, 38. 39.) Ja, er ist in Ihm begnadigt und angenehm gemacht, hat das ewige Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tode in das Leben hinübergegangen. (Eph. 1, 6; Joh. 5, 24.)

Das ist das Evangelium, die frohe Botschaft des Heils, die Gott durch den vom Himmel gesandten Heiligen Geist aller Kreatur verkündigen lässt. Nun, lieber Leser, „siehe, das Lamm Gottes, welches die Sünde der Welt wegnimmt". Glaube und du wirst leben!


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