CHM- Die Forderungen des HERRN


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andere Schriften von C.H. Mackintosh

„Und Mose und Aaron gingen hinein und sprachen zu dem Pharao: So spricht Jehova, der Gott Israels: Lass mein Volk ziehen, dass sie mir ein Fest halten in der Wüste!" (2. Mose 5, 1.)

Welche Tiefen der Wahrheit enthält dieses kurze Schriftwort! Sie ist eine jener vielumfassenden, gedankenreichen Stellen, welche sich so oft im Worte Gottes vorfinden, und die vor unseren Augen und Herzen ein weites Feld der köstlichsten Wahrheiten erschließen. Es stellt uns in schlichter, kräftiger Sprache den gesegneten Vorsatz Gottes vor. Er nimmt es sich vor, Sein Volk aus Ägypten, dem Hause der Knechtschaft, zu befreien und es für sich abzusondern, damit es Ihm in der Wüste Fest feiern möchte. Mit etwas wenigerem wollte Gott sich nicht zufriedengeben. Er wollte es nicht nur befreien von den Ziegelöfen und Fronvögten Ägyptens, sondern auch von ägyptischen Tempeln und Altären, Gewohnheiten und Verbindungen, Grundsätzen und Wegen. Mit einem Wort, Er wollte ein durch und durch abgesondertes Volk haben, dass Ihm in der Wüste dienen sollte.

Und wie es einst mit Israel war, so ist es heute mit uns. Auch wir müssen die Befreiung in Erfahrung gebracht haben, ehe wir Gott in Wahrheit dienen, Ihn anbeten und mit Ihm wandeln können. Es genügt nicht, dass wir die Vergebung unserer Sünden, unsere Errettung von Schuld, Zorn, Gericht und Verdammnis kennen, sondern wir müssen auch von dem gegenwärtigen bösen Zeitlauf und allein, was damit zusammenhängt, befreit werden, ehe wir dem Herrn in der richtigen Weise dienen können. Die Welt ist für den Christen dasselbe, was Ägypten für Israel war, mit dem Unterschied natürlich, dass unsere Trennung von der Welt nicht örtlich oder leiblich, sondern moralisch und geistlich ist. Israel verließ Ägypten dem Leibe nach; wir nehmen Abschied von der Welt dem Geiste und dem Grundsatz nach. Israel verließ Ägypten tatsächlich; wir gehen im Glauben aus der Welt hinaus, dennoch soll die Trennung eine Wirklichkeit sein, wie sie es auch bei den Israeliten war. „Lass mein Volk ziehen, dass sie mir ein Fest halten in der Wüste."

Gegen eine so strenge Absonderung hat Satan, wie wir ganz gut wissen, manches einzuwenden. Die erste Einwendung, welche er durch den Mund Pharaos erhob, lautete: „Gehet hin und opfert euerm Gott in dem Lande" (2. Mose 8, 25). Das waren listige, wohl überlegte Worte, ganz dazu angetan, ein Herz zu beeinflussen, das nicht mit den Gedanken Gottes vertraut war. Ist es nicht, hätte mit scheinbar vollem Recht gefragt werden können, ein Entgegenkommen von Seiten des Königs von Ägypten, euch Gleichberechtigung für eueren Gottesdienst anzubieten? Gewiss, ihr dürfet euere Religion ebenso gut ausüben, wie andere. Es gibt ja Platz für alle. Weshalb denn Trennung fordern? Warum wollt ihr euch nicht mit euren Nachbarn auf gleichen Boden stellen? Solche Engherzigkeit ist sicher nicht nötig!

Solche Worte mochten sehr vernünftig und klug klingen, aber das einfache Gebot Jehovas lautete: „Lass mein Volk ziehen", und ließ dem Zweifel keinen Raum. Wenn Er sagt: „Lass mein Volk ziehen," so müssen wir gehen, auch wenn alle Macht der Erde und der Hölle, der Menschen und der Teufel sich gegen uns erhöbe. Das Überlegen und Disputieren hilft alles nichts. Wir müssen gehorchen. Die Ägypter können denken, was sie wollen; für Israel denkt Jehova. Die Folgen werden beweisen, wer recht denkt.

Im Anschluss an das Gesagte möchten wir ein Wort über die „Engherzigkeit" unter gewissen Christen sagen, von welcher so viele zu reden wissen. Die eigentliche Frage ist die: Wer hat die Grenzen oder Schranken des christlichen Glaubens festzustellen? Der Mensch oder Gott, menschliche Meinungen oder die göttliche Offenbarung? Sobald diese Frage gelöst ist, hebt sich die Schwierigkeit von selbst. Manche schrecken zurück vor dem bloßen Worte: „Engherzigkeit". Was ist denn eigentlich Engherzigkeit, und was ist die Weitherzigkeit? Ist das nicht ein engherziger Mensch, der die ganze Wahrheit nicht annehmen und sich durch dieselbe nicht leiten lassen will? Ein Herz, welches durch menschliches Gutdünken, durch weltliche Grundsätze, durch eigene Interessen oder durch den eigenen Willen regiert wird, kann doch nicht als „weit" bezeichnet werden. Ebensowenig kann man ein Herz, das sich der Autorität des Herrn und der Heiligen Schrift unterwirft, das sich standhaft weigert, ein Haarbreit von dem geoffenbarten Willen Gottes zu weichen, „eng" nennen.

Ja, hierin liegt die Lösung dieser, wie jeder anderen Schwierigkeit. Wir müssen alles von dem göttlichen Standpunkt aus ins Auge fassen; dann werden wir nicht irre gehen. Bildet aber der Mensch oder unser eigenes Ich unseren Ausgangspunkt, betrachten wir von dort aus alles um uns her, so sind wir nicht mehr im Stande, ein gesundes Urteil zu fällen. Unsere Augen sind kurzsichtig oder sogar verblendet, und unser Herz ohne wahres göttliches Licht. Wir beurteilen alles falsch.

Dies muss jedem aufrichtigen Herzen einleuchten. Wenn aber das Herz nicht in Aufrichtigkeit für Christus schlägt, wenn das Auge nicht einfältig und das Gewissen dem Worte nicht unterworfen ist, so ist es verlorene Zeit und Mühe, es von der Wahrheit des Gesagten überzeugen zu wollen. Zu welchem Zweck streitet man mit jemanden, der anstatt dem Worte Gottes zu gehorchen, sich bemüht, der Wahrheit die Spitze abzubrechen? Es ist eine ganz hoffnungslose Aufgabe, jemanden überzeugen zu wollen, der nie die moralische Kraft und Bedeutung des Wortes „Gehorsam" kennen gelernt hat.

Wie schön lautet die Antwort Moses auf den ersten Einwurf Satans. Er sagt: „Es geziemt sich nicht, also zu tun; denn wir würden der Ägypter Gräuel opfern dem Jehova, unserem Gott; siehe, opferten wir der Ägypter Gräuel vor ihren Augen, würden sie uns nicht steinigen? Drei Tagereisen wollen wir ziehen in die Wüste und Jehova, unserem Gott, opfern, so wie er zu uns geredet hat" (2. Mose 8, 26. 27). Ägypten war nicht der rechte Platz, um dort dem wahren Gott einen Altar aufzurichten. Abraham hatte keinen Altar, als er sich von dem Pfade des Glaubens ab und nach Ägypten wandte. Er verließ seinen Gottesdienst und seine Fremdlingschaft, als er dorthin ging (siehe 1. Mose 12, 9. 10; 13, 1—4). Wenn nun Abraham dort nicht hatte anbeten können, so vermochte es auch sein Same nach ihm nicht. Die Welt kann vielleicht die Notwendigkeit einer „dreitägigen Reise" nicht einsehen, aber das hat wenig zu bedeuten. Die Beweggründe, welche den wahren Gläubigen leiten, sowie die Gegenstände, welche ihn beseelen, gehören durchaus nicht zu dieser Welt. „Deswegen erkennt uns die Welt nicht, weil sie Ihn nicht erkannt hat." Wir können uns darauf verlassen, dass ein Christ, umso weniger treu gegen seinen Herrn handelt, je besser ihn die Welt versteht.

Wir reden selbstverständlich von den Beweggründen des wahren christlichen Lebens. Ohne Zweifel gibt es in dem Leben eines treuen Christen manches, das die Welt ganz gut zu schätzen weiß, Gerechtigkeit, Aufrichtigkeit, Wahrheitsliebe, Gutherzigkeit, Sorge für Notleidende, Selbstverleugnung — das sind alles Dinge, welche die Welt verstehen und achten kann. Trotzdem aber werden sich immerhin bei dem wahrhaft treuen Christen die Worte des Apostels bewahrheiten: „Deswegen erkennt uns die Welt nicht." Wollen wir mit Gott wandeln und Ihm wohlgefällig sein, so bleibt uns nichts übrig, als einen entschiedenen Bruch mit dieser Welt und mit dem eigenen Ich zu machen und unseren Platz außerhalb des Lagers zu nehmen mit einem von Menschen zwar verworfenen, aber in den Himmel aufgenommenen Christus. Möchten wir mit wahrem Herzensentschluss diesen Weg gehen zur Verherrlichung des Namens des Herrn!

Der zweite Einwurf Satans ist mit dem ersten sehr nahe verwandt. Wenn es ihn: nicht gelingt, Israel ganz in Ägypten zurückzuhalten, so will er wenigstens versuchen, das Volk so nahe wie nur möglich zu halten. „Und der Pharao sprach: Ich will euch ziehen lassen, dass ihr Jehova, euerm Gott, opfert in der Wüste; nur en fern et euch nicht so weit" (Kap. 8,28).

Der Sache Christi wird vielmehr geschadet durch ein scheinbares, teilweises, unentschiedenes Aufgeben der Welt, als durch ein völliges Bleiben in ihr. Unentschiedene, wankelmütige Christen schwächen das Zeugnis und verunehren den Herrn weit mehr, als die, welche kein Bekenntnis machen. Ferner dürfen wir wohl sagen, dass zwischen dem Aufgeben gewisser weltlicher Dinge und dem Aufgeben der Welt selbst ein sehr großer Unterschied besteht. Es mag jemand gewisse Formen der Weltlichkeit ablegen und dennoch zu gleicher Zeit die Welt tief im Herzen behalten. Er mag das Theater, den Ballsaal, den Billardtisch und die Musikhalle aufgeben und trotzdem sich an die Welt klammern. Wir können diese und jene schlechten Zweige abhauen, um nur mit um so größerer Zähigkeit andere festzuhalten.

Dieser Umstand verdient unsere ernste Aufmerksamkeit; denn es ist ganz unmöglich, Fortschritte im Geistlichen zu machen, solange das Herz mit den heiligen Ansprüchen Christi gleichsam spielt. Wir sind der festen Überzeugung, dass in Tausenden non Fällen, wo Christen über Befürchtungen und Zweifel, über Umstände, Mangel an Licht, Trost und Freude klagen, der Grund darin zu suchen ist, dass sie nie in Wirklichkeit mit der Welt gebrochen haben. Entweder wollen sie dem Herrn gleichsam ein Fest in Ägypten feiern, oder sie bleiben doch so nahe, dass sie jeden Augenblick wieder in die Welt zurückgezogen werden können, so nahe, dass sie weder das Eine noch das Andere, weder kalt noch warm sind; ihr ganzer Einfluss kommt dem Feinde zu Gute.

Wie können solche Seelen glücklich sein? Wie kann von Frieden bei ihnen die Rede sein? Wie können sie in dem Lichte des Angesichts des Vaters, wie in dem Genuss der Gegenwart des Herrn wandeln? Wie kann sie die Sonne der neuen Schöpfung erleuchten? Ganz unmöglich. Sie müssen Abschluss machen mit der Welt und sich von ganzem Herzen und mit aller Entschiedenheit dem Herrn übergeben. Christus muss das Herz beherrschen. Hierin liegt das Geheimnis des Wachstums im Geistlichen. Der Anfang muss richtig sein; und wir fangen an, indem wir glauben und verwirklichen, dass die Verbindungen mit der Welt durch den Tod Christi für uns abgebrochen worden sind. Das Kreuz Christi trennt uns von dem gegenwärtigen bösen Zeitlauf; es hat uns nicht nur von den ewigen Folgen unserer Sünden befreit, sondern auch von der Herrschaft der Sünde und von den Grundsätzen, Wegen und Gewohnheiten einer Welt, welche, wie uns das Wort Gottes sagt, im Bösen liegt.

Es ist eins der Meisterstücke Satans, dass er Christen dahin bringt, sich in dieser Welt niederzulassen, oder sich „nicht so weit" von ihr zu entfernen, während sie, was die Errettung ihrer Seelen betrifft, sich auf das Kreuz berufen. Vor dieser schrecklichen Schlinge können wir den christlichen Leser nicht ernst genug warnen. Eine aufrichtige Hingebung des Herzens an einen verworfenen und verherrlichten Christus und eine innige Gemeinschaft mit Ihm vermögen uns allein vor diesem Fallstrick zu bewahren. Um mit Christus zu wandeln, an Ihm uns erfreuen und von Ihm uns nähren zu können, müssen wir von dieser gottlosen, bösen Welt getrennt sein. Ja, in den Gedanken, Gesinnungen und Neigungen unserer Herzen sollen wir getrennt sein, nicht nur von ihrer Ausgelassenheit, Torheit und Eitelkeit, sondern von ihrer Religion, ihrer Politik, kurz von ihrem ganzen Tun und Treiben.

Was wir so sehr bedürfen in diesen Tagen weltlicher Religiösität, Selbstgefälligkeit und des Jagens nach dem Beifall des Menschen ist, Christus zu unserem alleinigen Standpunkt zu machen, von Ihm das eigene Ich, die Welt und die sogenannte Versammlung zu betrachten, Ihn zum Mittelpunkt zu haben, um welche» sich alles dreht, von Ihm aus alles zu beurteilen, es komme was da will. O, möchte es so mit uns sein! Dann, nur dann werden wir etwas von der Kraft, Schönheit und Fülle des Wortes verstehen: „Lass mein Volk ziehen, dass sie mir ein Fest halten in der Wüste!"

Wenn es sich um die völlige Befreiung Israels aus Ägypten handelt, so macht Satan, wie wir gesehen haben, jeden Zoll breit Boden streitig. Er war bereit, ihnen zu erlauben, in dem Lande oder doch wenigstens in der Nähe des Landes ihren Gottesdienst auszuüben; aber ihrer gänzlichen Befreiung aus dem Lande gegensetzte er sich mit der Anwendung seiner ganzen Kraft und aller seiner Mittel.

Doch Jehova ist dem großen Widersacher überlegen und will Sein Volk befreit sehen. Er lässt sich nicht von Seinem Vorsatz abbringen, und wenn der Feind zehntausend Einwürfe machen möchte. Die göttliche Herrlichkeit ist unzertrennlich mit der völligen Absonderung Israels von Ägypten sowie von allen Völkern des Erdbodens verbunden, wie geschrieben steht: „Abgesondert wird es wohnen und unter die Nationen nicht gerechnet werden" (4. Mose 23, 9). Diesem allem aber gegensetzt sich der Feind und bietet alles auf, um es zu verhindern.

„Und Mose und Aaron wurden wieder zu dem Pharao gebracht, und er sprach zu ihnen: Ziehet hin, dienet Jehova, euerm Gott! Welche alle sind es, die ziehen sollen? Und Mose sprach: Mit unseren Jungen und mit unseren Alten wollen wir ziehen, mit unseren Söhnen und mit unseren Töchtern, mit unserm Kleinvieh und mit unseren Rindern wollen wir ziehen; denn wir haben ein Fest Jehovas. Und er sprach zu ihnen: Jehova sei so mit euch, wie ich euch und euere Kinder ziehen lasse! Sehet zu, denn Böses steht vor euch! Nicht also! Ziehet doch hin ihr Männer, und dienet Jehova; denn das ist's, was ihr begehrt habt. Und matt trieb sie hinaus von dem Pharao" (2. Mos. 10, 8—11).

Diese Worte enthalten eine sehr ernste Unterweisung für die Herzen aller christlichen Eltern. Sie enthüllen zugleich die listige Absicht Satans. Wenn er die Eltern nicht in Ägypten zurückhalten kann, so sucht er wenigstens die Kinder dort zu behalten, um auf diese Weise das Zeugnis von der Wahrheit Gottes zu schwächen, Seine Verherrlichung an Seinem Volke zu verringern und zu verhindern, dass das Volk sich seiner völligen Segnung in Gott erfreue. Die Eltern in der Wüste und ihre Kinder in Ägypten — welch ein schrecklicher Gegenspruch. So etwas ist den Gedanken Gottes ganz entgegengesetzt und wirkt zerstörend auf Seine Verherrlichung durch den Wandel der Seinigen ein.

Wir müssen bedenken, dass unsere Kinder gleichsam einen Teil von uns selbst bilden.' Das sind sie durch die schöpferische Hand Gottes, und sicher, was der Schöpfer zusammengefügt hat, will der Erlöser nicht auseinandergerissen haben. Deshalb finden wir immer wieder in der Schrift, dass das Haus eines Mannes in den Gedanken Gottes unzertrennlich mit dem Manne selbst verbunden ist. „Du und dein Haus" ist ein Wort von tiefer praktischer Bedeutung. Es begreift die wichtigsten Folgen in sich und reicht allen christlichen Eltern den köstlichsten Trost dar; und wir dürfen wohl hinzufügen, dass die Vernachlässigung dieses Grundsatzes in Tausenden von Familien die traurigsten Dinge zur Folge gehabt hat.

Wie viele christliche Eltern haben leider infolge einer durchaus falschen Anwendung der Lehre von der Gnade ihren Kindern erlaubt, in Eigenwillen und Weltlichkeit aufzuwachsen. Ja, sie haben sich sogar dabei mit dem Gedanken getröstet, dass sie nichts in dieser Sache tun könnten, und dass sie in Gottes eigener Zeit, wenn sie anders in dem ewigen Segens-Ratschluss mit eingeschlossen seien, eingesammelt werden würden. In Wirklichkeit haben sie die wichtige praktische Wahrheit aus dem Auge verloren, dass der Gott, welcher das Ende vorherbestimmt, auch die Mittel verordnet, durch welche das Ziel erreicht wird. Das ist aber gewiss der Gipfelpunkt der Torheit, wenn man das Ende erreichen will und zu gleicher Zeit die Mittel vernachlässigt. Wir wollen durchaus nicht damit sagen, dass alle Kinder christlicher Eltern notwendig in der Zahl der Auserwählten Gottes mit einbegriffen sind, dass sie daher unfehlbar errettet werden müssen, und dass die Schuld an den Eltern liege, wenn sie verloren gehen. Derartiges wollen wir nicht für einen Augenblick behaupten. Ihm allein sind alle Seine Werke von Anbeginn der Welt bekannt, und kein sterbliches Auge hat jemals einen Blick in das Buch der göttlichen Geheimnisse getan. Was aber begreift eigentlich das Wort: „Du und dein Haus" in sich? Nun, es enthält zweierlei Unterweisungen für uns. Erstens stellt es uns ein hohes Vorrecht und zweitens eine ernste Verantwortlichkeit vor. Es ist unzweifelhaft das Vorrecht aller christlichen Eltern, für ihre Kinder auf Gott zu rechnen; zugleich ist es ihre erste Pflicht und Verantwortlichkeit — gefällt uns das Wort nicht? — sie für Gott zu erziehen.

Das sind die beiden Seiten dieser so wichtigen Frage. Das Wort Gottes betrachtet das Haus als unzertrennlich mit dem Mann verbunden. „Heute ist diesem Hause Heil gegenfahren." „Glaube an den Herrn Jesus Christus, und du wirst errettet werden, du und dein Haus." Dies liegt den Vorrechten und der Verantwortlichkeit christlicher Eltern zu Grunde. Indem wir nun nach diesem Grundsatz handeln, nehmen wir ohne Zögern den Standpunkt Gottes ein in Bezug auf unsere Kinder, um sie sorgfältig für Ihn zu erziehen, während wir, was den Erfolg betrifft, auf Ihn rechnen. Wir können nicht zu früh anfangen und dann sollen wir ruhig fortfahren, Tag für Tag, Jahr ein Jahr aus, unsere Kinder für Gott zu erziehen. Gerade so wie ein weiser und geschickter Gärtner seine Fruchtbäumchen, während sie noch jung und biegsam sind, an der Mauer hinaufleitet, damit die Sonne sie bestrahlen möchte, so sollten auch wir unsere Kinder, solange sie noch jung und empfänglich sind, für Gott zu erziehen suchen. Wäre es nicht im höchsten Grad töricht, wenn jener Gärtner warten wollte, bis die Zweige alt und knorrig geworden sind? Sie dann noch biegen 'und leiten wollen, wäre eine hoffnungslose Aufgabe. Und ebenso würde es den höchsten Grad von Torheit verraten, wenn wir unsere Kinder jahrelang unter der bildenden Hand Satans, der Welt und der Sünde lassen wollten, ehe wir uns aufrüttelten, um uns an dieses heilige Werk, ihre Erziehung für Gott, zu geben.

Doch man möge uns nicht missverstehen. Wir wollen durchaus hiermit nicht sagen, dass die Gnade etwa erblich sei, oder dass man durch die Erziehung die Kinder zu wirklichen Christen machen könne. Nichts liegt uns ferner. Die Gnade Gottes ist unumschränkt, und die Kinder christlicher Eltern müssen, wie alle andere Menschen, aus Wasser und Geist geboren werden, wenn es sich- darum handelt, dass sie das Reich Gottes sehen, oder in dasselbe eingehen sollen. Alles dieses ist so klar, wie die Schrift es nur machen kann; aber ebenso klar und deutlich redet die Schrift andererseits von der Pflicht der Eltern, ihre Kinder „in der Zucht und Ermahnung des Herrn zu erziehen."

Was begreift nun diese „Erziehung" in sich? Was bedeutet das Wort? Worin besteht die „Erziehung?"

Das sind gewiss wichtige Fragen für die Herzen und Gewissen christlicher Eltern. Es ist sogar zu befürchten, dass wenige, sehr wenige von uns verstehen, was christliche Erziehung ist und wie sie vor sich geht. Sie besteht durchaus nicht darin, dass unsere Kinder in der Religion gedrillt werden müssen, um Bibelstellen und fromme Lieder, wie Papageien, hersagen zu können. Dabei würde man die Bibel in ein Ausgabenbuch und den Familienkreis in eine Schule umwandeln. Ohne Zweifel ist es sehr gut, dem Gedächtnis des Kindes die Heilige Schrift und gute Lieder einzuprägen; aber ist es nicht oft der Fall, dass die Religion zu einer lästigen, beschwerlichen Sache und die Bibel zu einem Schulbuch für die Kinder gemacht wird? Dies müssen wir auf jeden Fall vermeiden. Wir sollten vielmehr darnach trachten, unsere Kinder mit einer rein christlichen Atmosphäre zu umgeben, und zwar von ihrem ersten Atemzug an. Sie sollten an ihren Eltern jene Früchte des wahren geistlichen Lebens sehen wie Liebe, Friede, Lauterkeit, Zartgefühl, Selbstlosigkeit, Geduld und Sorge für andere. Diese Eigenschaften des christlichen Lebens üben einen mächtigen moralischen Einfluss auf das empfängliche Gemüt des Kindes aus, und der Heilige Geist wird sich sicherlich dieser Mittel bedienen, um sein Herz zu Christus- zu der Quelle all dieser lieblichen Eigenschaften hinzuziehen. -

Wer könnte auf der anderen Seite die verderbliche Wirkung beschreiben, die es auf unsere Kinder-haben muss, wenn, sie an uns Ungereimtheiten, üble Laune, Selbstsucht, Weltlichkeit und Habsucht sehen müssen?

Können wir behaupten, unsere Kinder aus Ägypten mit heraufgebracht zu haben, wenn die Grundsätze und Gewohnheiten Ägyptens in unserm ganzen Tun und Treiben zu Tage treten? Wohl mögen wir in ihrer Gegenwart fließend von der Wüste und von Kanaan reden; allein unsere Handlungen, Wege und Gewohnheiten verraten uns, denn sie sind ägyptisch. Unsere Kinder sind nicht so blind, dass sie den groben Gegenspruch nicht vernehmen sollten; und die Wirkung kann nicht anders als höchst verderblich sein. Wie sehr die Untreue christlicher Eltern zu dem Unglauben der Jetztzeit beigetragen hat, davon machen wir uns keinen Begriff.

Es könnte vielleicht jemand sagen, dass die Kinder dennoch verantwortlich seien, auch wenn ihre Eltern inkonsequent mit der Berufung sind. Es steht uns aber schlecht an, unseren Kindern gegenüber auf ihrer Verantwortlichkeit zu bestehen, wenn wir unserer eigenen so schlecht nachgekommen sind. Sie sind allerdings verantwortlich, aber auch wir sind es. Und wenn wir es unterlassen, unseren Kindern die lebendigen und Beweise zu liefern, dass wir Ägypten ein für allemal verlassen haben, brauchen wir uns gar nicht zu wundern, wenn sie darin zurückbleiben. Was nützt es überhaupt, von dem Leben in der Wüste und von unserer Stellung in Kanaan zu reden, wenn unser ganzes Leben und Betragen das Gepräge Ägyptens trägt? In dem Fall redet das Leben eine ganz andere Sprache als die Lippen des Mundes^ und eins straft das andere Lügen. Unsere Kinder urteilen aber naturgemäß nach dem, was wir sind, und nicht nach dem, was wir sagen. Wenn wir in Wirklichkeit Ägypten verlassen haben, so wird die Tatsache sich bald in unserem Betragen bewahrheiten. Wenn es sich aber anders bei uns verhält, so hat unser ganzes Reden keinen Wert; es wird vielmehr unsere Kinder anekeln und sie dahin bringen, das Christentum für reinen Betrug zu halten.

Wie überaus ernst ist alles dieses! Wie sollten sich christliche Eltern in der Gegenwart Gottes prüfen! Wir können versichert sein, dass diese Frage von der Erziehung unserer Kinder in der Zucht und Ermahnung des Herrn eine weit wichtigere ist, als manche zu denken scheinen. Der Heilige Geist kann uns allein befähigen, das heilige Werk der Erziehung in diesen schweren Zeiten auszuführen. Doch der Herr hat gesagt: „Meine Gnade genügt dir." Wir können völlig auf Gott rechnen, dass Er unsere Bemühungen segnen wird. Es ist sicherlich Gott nicht wohlgefällig, wenn wir die Hände in den Schoß legen, wenn wir sagen: Die Gnade ist nicht erblich, wir können unsere Kinder nicht bekehren, und wenn sie in der Zahl der Auserwählten Gottes mit einbegriffen sind, so müssen sie errettet werden, wenn aber nicht, so können wir nichts dafür. Dies alles ist einseitig und falsch. Eine solche Entschuldigung wird das Licht des Richterstuhls Christi nicht ertragen. Christliche Eltern können sich nicht von der Verantwortlichkeit, ihre Kinder für Gott zu erziehen, losmachen. Das Verhältnis zwischen Vater und Kind bringt diese Pflicht mit sich, deren richtige Erfüllung aber beständige Herzensübung vor Gott fordert. Die christliche Erziehung beginnt mit dem Kindlein und muss Tag für Tag, Jahr ein, Jahr ans, fortgesetzt werden, und zwar in steter Abhängigkeit von Gott, welcher sicherlich zu Seiner Zeit die Gebete der Eltern erhören und ihre Bemühungen segnen wird.

Wir wollen zum Schluss ein kurzes Wort über den letzten Einwurf Satans gegen die Forderung Jehovas sagen. Es heißt: „Und der Pharao rief Mose und sprach: Ziehet hin, dienet Jehova; nur euer Kleinvieh und eure Rinder sollen zurückbleiben; auch eure Kinder mögen mit euch ziehen." Der Feind will sie jetzt ziehen lassen, aber ohne die Mittel, mit welchen sie dem Herrn dienen sollten. Kann er sie nicht länger in Ägypten behalten, so versucht er sie zu lähmen.

Beachten wir die Antwort Moses. Sie offenbart ein wahrhaft ergebenes Herz. „Und Mose sprach: Auch Schlachtopfer und Brandopfer musst du in unsere Hände geben, dass wir Jehova, unserm Gott opfern. So muss auch unser Vieh mit uns ziehen, nicht eine Klaue darf zurückbleiben; denn davon werden wir nehmen, Jehova, unserm Gott, zu dienen; und" — erwägen wir wohl die inhaltsreichen Worte — „wir wissen ja nicht, womit wir Jehova dienen sollen, bis wir dorthin kommen." Wir müssen den göttlichen Standpunkt eingenommen haben, ehe wir im Stande sind, den Charakter und die Tragweite der Ansprüche Gottes zu verstehen und zu schätzen. Solange wir uns in einer weltlichen Atmosphäre bewegen und uns leiten lassen durch einen weltlichen Geist, durch weltliche Grundsätze und Gegenstände, ist es ganz unmöglich, das richtig zu beurteilen, was sich für uns vor Gott geziemt. Wir müssen den erhabenen Boden einer vollbrachten Erlösung betreten; wir müssen in Absonderung von der Welt uns in dem Lichte der neuen Schöpfung bewegen, ehe wir dem Herrn in der rechten Weise dienen können. Erst dann, nachdem wir durch die Wirksamkeit des in uns wohnenden Geistes zu erkennen vermögen, wohin der Tod und die Auferstehung uns bringt, mit anderen Worten, wenn wir die Bedeutung der „drei Tagereisen" verstehen, sind wir fähig, in den wahren Dienst Gottes einzugehen. Aber dann werden wir auch völlig verstehen und erkennen, dass alles, was wir sind und haben, Ihm angehört. „Wir wissen ja nicht, womit wir Jehova dienen sollen, bis wir dorthin kommen." Köstliche Worte! Möchten wir ihre Kraft und ihre praktische Anwendung besser verstehen! Mose, der Mann Gottes, begegnet allen. Einwürfen Satans damit, dass er mit Entschiedenheit an dem Befehl Jehovas festhält: „Lass mein Volk ziehen, dass sie mir ein Fest halten in der Wüste!"

Dies ist zu allen Zeiten und unter allen Umständen der einzig wahre Grundsatz. Der göttliche Maßstab muss auf alle Kosten aufrechterhalten werden. Sobald wir diesen Maßstab um nur eines Haares Breite erniedrigen wollen, hat Satan seinen Zweck erreicht, und wahrer christlicher Dienst und wahres Zeugnis für Gott sind unmöglich gemacht.

Möge der Geist Gottes uns in der praktischen Bedeutung dieser Wahrheiten unterrichten!


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