CHM- Gott in allen Dingen


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andere Schriften von C.H. Mackintosh

Ein einfältiges Auge und ein kindliches Herz sind eine kostbare Gabe Gottes- Alle Gläubigen konnten und sollten sie besitzen; aber leider begegnet man ihr nur selten unter den Kindern Gottes. Die eigene Kraft, der eigene Verstand und der eigene Wille spielen gewöhnlich eine so große Rolle, dass das Glaubensauge trübe, der Blick umschleiert und das Herz unfähig ist, die Wege Gottes zu verstehen und Sein geheimnisvolles, verborgenes Wirken in allem wahrzunehmen. Das ist ein großer Verlust für uns und eine Unehre für unseren Gott.

Nichts hilft dem Christen mehr, still und getrost seinen Weg zu gehen, die Schwierigkeiten und Versuchungen auf dem Pilgerpfade zu ertragen und Gott darin zu verherrlichen, als die Gewohnheit, Ihn in allen Dingen zu sehen. Es gibt keine Lage, keinen Umstand, kein Ereignis in dem Leben eines Gläubigen, so unbedeutend und geringfügig sie auch dem natürlichen Auge erscheinen mögen, die nicht als stille Boten Gottes an ihn betrachtet werden konnten. Wenn nur das Auge einfältig, das Ohr geöffnet, das Herz kindlich und der Sinn geistlich ist, so werden wir köstliche, gesegnete Erfahrungen machen von dem Tun Gottes; wir werden erfahren, dass Er Seine Hand hat in den alltäglichsten Dingen dieses Lebens, und dass es Seine Freude ist, uns durch den Wink Seines Auges zu leiten. Ach! wenn wir uns doch mehr in dieser Weise leiten ließen, dass Er nicht nötig hätte, uns Zaum und Zügel anzulegen! (Psalm 32, 8. 9.)

Wie groß, wie anbetungswürdig ist unser Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde, dass Er sich herablässt, sich um die kleinsten und unwichtigsten Dinge zu bekümmern! Er, der einst sprach: „Es werde!", der alle Dinge durch das Wort Seiner Macht trägt und erhält — Er bekümmert sich auch um den Sperling auf dem Dache, Er zählt die Haare auf unserem Haupte! Ans erscheint manches groß, manches gering, da wir alles nach unserer Kraft und unserem Vermögen messen Für Ihn, den Allmächtigen, gibt es nichts Großes und nichts Geringes. Ob Er Welten ins Dasein ruft oder die jungen Raben speist, ist für Ihn gleich. Seine wunderbare Größe offenbart sich in dem tosenden Orkan nicht mehr als in dem sanften Säuseln des Südwindes, in der majestätischen Zeder auf dem Libanon nicht mehr als in dem kleinen Veilchen, das still am Wege blüht.

Wenn wir nur einfältigere Augen hätten, um zu sehen, und kindlichere Herzen, um zu verstehen!

Erblicken wir in den täglichen Umständen nichts anderes als was der natürliche Mensch darin sieht — Zufalle und selbstverständliche Ereignisse, wie das menschliche Leben sie einmal mit sich bringt - so mag das Leben zu einer langweiligen Einförmigkeit für uns werden, kaum der Mühe wert, dass man es lebt; oder zu einer drückenden Bürde, die man je eher je lieber ablegen möchte. Wenn wir aber Gott in alles und jedes hineinbringen, so erhält unser Leben hienieden einen unendlichen Wert, eine tiefe Bedeutung für den erneuerten Sinn und einen wunderbaren Reiz Mr das Auge des Glaubens. Wir erblicken dann in allen Dingen die Hand eines allweisen, allmächtigen und liebenden Vaters; wir erkennen auf Schritt und Tritt die gesegneten Spuren Seiner Gegenwart und Seines Wirkens. Und wie sehr dadurch das Gebets- leben, der verborgene Umgang mit Gott, gefördert wird, brauchen wir kaum zu sagen. Wie lieblich und erfrischend ist es, das kindlich-einfältige Geber eines Gläubigen zu hören, der die Treue und Güte Gottes auf dem zurückgelegten Wege erfahren, zugleich aber auch sich selbst, seine eigene Kraft und Weisheit in ihrem ganzen Nichts kennen gelernt hat! Er lässt „alle seine Anliegen", die großen und die kleinen, mit Gebet, Flehen und Danksagung vor seinem Gott kundwerden; er wirft alle seine Sorgen, die großen und die kleinen, auf Ihn, der sich bereitwillig damit beladen will, und — der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, bewahrt sein Herz und seinen Sinn in Christus Jesu. (Phil. 4.) Glückselig ein jeder, der so Gott in allem zu seiner Zuversicht und Stärke macht! Für ihn ist kein Tag unwichtig. Er verachtet auch nicht ,,den Tag kleiner Dinge". Die Geschichte eines jeden Tages erweckt seine Teilnahme; und wie könnte es anders sein, da sie ja für seinen Gott und Vater wichtig ist?

Wir lernen in der ganzen Schrift, dass es für den Gläubigen keinen Zufall gibt, dass nichts von ungefähr kommt. Vor allem liefert uns das Buch des Propheten Jona einige höchst treffende Beweise für diese Wahrheit. In der ganzen Geschichte des Propheten zeigt sich wieder und wieder, selbst in den gewöhnlichsten Dingen, die Dazwischenkunft Gottes. Und wird es nicht auch bei einem jeden von uns so sein, wenn wir einmal unsere Geschichte in dem Lichte der göttlichen Gegenwart erblicken werden? Wie werden wir dann staunen über unsere Kurzsichtigkeit, über unser schwaches Verständnis, über unseren Kleinglauben und unsere Torheit! Und wie werden wir die wunderbare Güte, Treue und Geduld unseres Gottes bewundern, dessen Hand alle unsere Wege hienieden geleitet und uns mit unendlicher Langmut bis ans Ziel gebracht hat!

Ich möchte nicht in eine ausführliche Erklärung des genannten Buches eingehen, sondern nur auf einen Ausdruck aufmerksam machen, der sich beinahe in jedem Kapitel wiederholt, nämlich: „Jehova bestellte". Der Heilige Geist lässt uns gleichsam einen Blick hinter die Szene tun und zeigt uns das verborgene Wirken Gottes Er ist es, der alles in Seiner Hand hat: Wind und Wellen, Hitze und Kälte, Mensch und Tier; und Er lenkt alles nach dem Rate Seines Willens.

Im ersten Kapitel sendet der Herr einen starken Sturm, um durch ihn zu dem Herzen und Gewissen Seines ungehorsamen Knechtes zu reden. Jona wollte sich dem ihm gewordenen göttlichen Auftrag entziehen, indem er in ein Schiff stieg, das nach Tarsis fuhr. Ninive lag im Osten von Palästina, Tarsis im Westen. Gott sagte: „Gehe rechts!" Aber Jona ging links. So ist der Mensch. „Da warf Jehova einen heftigen Wind auf das Meer, und es entstand ein großer Sturm auf dem Meere, so dass das Schiff zu zerbrechen drohte." (V. 4.) Dieser Sturm redete eine eindringliche, ernste Sprache zu dem Propheten, wenn nur sein Ohr geöffnet gewesen wäre, die Stimme Gottes zu vernehmen. Es war eine feierliche Botschaft Gottes an ihn. Jona bedurfte, belehrt und zurecht gebracht zu werden, nicht die armen heidnischen Schiffsleute. Sie waren ohne Zweifel schon oft einem Sturme begegnet; für sie war ein Sturm nichts Neues, nichts Besonderes, nichts anderes als eines der gewöhnlichsten Erlebnisse eines Seemannes. Aber es gab einen Mann im Schiffe, für den er etwas Besonderes, Außergewöhnliches war. Aber wie wunderbar! — die heidnischen Schiffer merken bald, dass Gott gegen sie ist, während Jona, der Prophet Gottes, im unteren Schiffsraume liegt und so fest schläft, dass der Obersteuermann ihn mit kräftigem Rufe aufwecken muss. Welch eine ernste Lektion für uns! Wie ist es möglich, mögen wir wohl fragen, dass ein Gläubiger so gefühllos werden kann? Ach! dass es möglich ist, beweist unsere eigene Geschichte.

Erst als die Schiffer das Los werfen, nur zu erfahren, um wessentwillen das Unglück sie erreiche, ja, erst als das Los den Propheten trifft und die Seeleute ihn fragen, woher er komme und was sein Geschäft sei, kommt Jona zur Einsicht. Erst jetzt vernimmt er die Stimme des Boten Gottes und bekennt, dass der Herr um seinetwillen so ernst rede. Auf seinen eigenen Rat werfen die geängstigten Seeleute ihn ins Meer. Damit war für sie die Sache beendigt, nicht aber für Jona und Gott. Die Schiffer sahen nichts mehr von Jona, aber Gott sah ihn und gedachte an ihn.

Gott in allen Dingen! Jona ist in eine neue Lage, in neue Umstände versetzt, aber nicht in solche, wo die Boten Gottes ihn nicht mehr erreichen könnten. Der Gläubige kann sich nie in einer Lage befinden, in welcher die Hand Gottes zu kurz wäre oder die Stimme Gottes sein Ohr nicht erreichen könnte. Als Jona ins Meer geworfen wurde, „bestellte Jehova einen großen Fisch, um Jona zu verschlingen/' Jehova bestellte den Sturm, und Jehova bestellte den Fisch. Ein großer Fisch war nichts Ungewöhnliches; es gibt deren viele im Meere. Aber Gott bestellte einen besonderen für Jona, damit er der Bote Gottes an seine Seele werde- Und siehe da, im Bauche des Fisches kommt Jona zur Besinnung, ja, er wird in seinen Umständen und selbst in seinen Worten ein Vorbild von Christus.

Wir überspringen jetzt die nächsten Kapitel, um im letzten unseren Propheten an der Ostseite der Stadt Ninive wiederzufinden. Er hatte den Bewohnern der Stadt die Botschaft Gottes verkündigt, und sie hatten auf seine Predigt hin Buße getan, so dass Gott sich des Uebels gereuen lassen konnte, das Er wegen ihrer Sünden über sie beschlossen hatte. Jona ist unzufrieden darüber und hadert mit Gott. Lieber hätte er dem Untergang der großen, dichtbevölkerten Stadt zugeschaut, als nun sehen zu müssen, dass Gott in Gnade und Erbarmen handelte. Armer Jona! rufen wir unwillkürlich aus; aber lasst uns nicht etwa denken, dass unsere Herzen andere wären als das Herz des murrenden Propheten. Wir sind aus demselben Stoff bereitet und derselben Torheit fähig.

Jona scheint die Wahrheiten, die er während der drei Tage im Bauche des Fisches gelernt hatte, schon wieder völlig vergessen zu haben, und er bedarf eines neuen Boten von feiten Gottes. O wie gnädig und langmütig ist unser Gott! Unermüdlich beschäftigt Er sich mit uns, und wieder und wieder lehrt Er uns dieselben Lektionen.

„Und Jehova, Gott, bestellte einen Wunderbaum und ließ ihn über Jona emporwachsen, damit Schatten über seinem Haupte wäre, um ihn von seinem Missmut zu befreien." (Kap. 4, 6.) Welch eine anbetungswürdige Gnade! Der Wunderbaum, wie der große Fisch, bildeten ein Glied in der Kette der Umstände, durch welche der Prophet nach der Absicht Gottes wandeln sollte. Obgleich sehr verschieden in ihrer Art, waren sie doch beide Boten Gottes für seine Seele. „Und Jona freute sich über den Wunderbaum mit großer Freude." Er hatte vorher verlangt zu sterben; aber sein Verlangen war nicht das Ergebnis eines heiligen Wunsches, diese arme Erde verlassen zu dürfen und für ewig in Ruhe zu sein, sondern die Folge seines Unwillens und seiner Enttäuschung. Nicht das Glück der Zukunft, ja, nicht einmal die Leiden der Gegenwart erweckten den Wunsch in ihm, abzuscheiden; es war nur gekränkter Ehrgeiz, die eitle Sorge um seinen Ruf als Prophet.

Bei uns erwecken manchmal die Leiden der Gegenwart das Verlangen, abzuscheiden und bei Christus zu sein. Wir wünschen von dem augenblicklichen Druck befreit zu werden, und deshalb, wenn dieser Druck vorüber ist, hört auch das Verlangen auf. Ist dagegen die Person des Herrn der Gegenstand unseres Verlangens, sehnen wir uns nach Seinem Kommen, um Ihn von Angesicht zu Angesicht, „wie Er ist", schauen zu können, so üben die äußeren Umstände wenig Einfluss aus.

Unser Sehnen nach Ihm ist dann ebenso groß in den Tagen des Sonnenscheins und der Ruhe, als in Zeiten des Sturmes und des Druckes.

Als Jona unter dem Schatten des Wunderbaumes saß, trug er kein Verlangen mehr nach dem Tode. Seine Freude über den Wunderbaum und dessen kühlen Schatten ließ ihn seinen Unmut vergessen. Gerade diese letztere Tatsache beweist, wie sehr er der besonderen Boten Gottes bedurfte. Ter Zustand seiner Seele musste offenbar werden, und er wurde offenbar zu seiner tiefen Beschämung. Gott kann alles benutzen, um die Geheimnisse und Tiefen des menschlichen Herzens zu enthüllen, auch einen Wunderbaum, ,,den Sohn einer Nacht"; und Er tut es zu unserem ewigen Wohl und zur Verherrlichung Seines Namens. Wahrlich, der Christ kann sagen: „Gott in allen Dingen." Er kann Seine Stimme vernehmen in dem Heulen des Sturmes wie in dem Hinwelken einer Pflanze.

Doch wir sind noch nicht am Ende der Wege Gottes mit Jona angelangt. Der Wunderbaum war, wie bereits gesagt, nur ein Glied in der bedeutsamen Kette der Umstände; das folgende Glied ist ein Wurm! „Aber Gott bestellte einen Wurm am folgenden Tage, beim Aufgang der Morgenröte; und dieser stach den Wunderbaum, dass er verdorrte." Dieser Wurm, so unbedeutend er sein mochte, war nichtsdestoweniger der ernste Bote Gottes, gerade so wie der Sturm und der große Fisch. Ein Wurm, wenn er von Gott benutzt wird, kann Wunder tun. Der Wunderbaum verdorrte. ,,Und es geschah, als die Sonne aufging, da bestellte Gott einen schwülen Ostwind, und die Sonne stach Jona aufs Haupt/' Alles muss Mitwirken, um Jona zur Erkenntnis seines Unrechts zu bringen. Ein Wurm und ein schwüler Wind — wunderbare Mittel in der Hand Gottes! Aber gerade in ihrer scheinbaren Geringfügigkeit offenbart sich umso auffallender die Größe unseres himmlischen Vaters. Ob ein heftiger Orkan oder ein unbedeutender Wurm — Gott kann beide zur Erfüllung Seiner Absichten der Liebe benutzen. Der Sturm, der große Fisch, der Wurm, der schwüle Ostwind — alle sind Werkzeuge in Seiner Hand. Der unbedeutendste wie der gewaltigste Bote muss Seine Absichten fördern helfen. Wem wäre es in den Sinn gekommen, dass ein Orkan und ein Wurm miteinander die Mittel sein könnten, um ein Werk Gottes zu tun? Und doch war es so. Groß und klein sind, wie im Anfang bemerkt, nur Ausdrücke, die unter den Menschenkindern im Gebrauch sind. Bei Gott ist nichts groß und nichts klein. Er zählt die Menge der Sterne, und Er nimmt Kenntnis von dem Sperling, der vom Dache fällt. Er macht die Wolken zu Seinem Gefährt und ein demütiges Herz zu Seiner Wohnung.

Darum noch einmal: Gott in allen Dingen. Für den Gläubigen gibt es nichts Zufälliges, nichts Bedeutungsloses in allem, was ihm begegnet. Er mag durch dieselben Umstände zu gehen und dieselben Versuchungen zu bestehen haben wie andere Menschen; aber er darf sie nicht nach denselben Grundsätzen deuten. Sie führen für sein geöffnetes Ohr eine ganz andere Sprache als für das Ohr des natürlichen Menschen. Er sollte in den unbedeutendsten wie in den wichtigsten Ereignissen eines jeden Tages die Stimme Gottes vernehmen und Seine Boten erkennen. Er wird auf diesem Wege köstliche Erfahrungen machen.

Die Sonne, die in majestätischem Lauf ihre Bahn durchzieht, und der Wurm, der über den Weg kriecht — beide sind von Gott geschaffen, und beide können in der Ausführung Seiner unerforschlichen Absichten mitwirken.


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