CHM- David im Land der Philister


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andere Schriften von C.H. Mackintosh

„Und David sprach in seinem Herzen: Nun werde ich eines Tages durch die Hand Sauls umkommen; mir ist nichts besser, als dass ich eilend in das Land der Philister entrinne." (1. Sam. 27, 1.)

Dies war Davids zweiter Besuch im Lande der Philister. Wir lesen im 21. Kapitel: „Und David machte sich auf und floh an selbigem Tage vor Saul, und er kam zu Achis, dem Könige von Gath." Hier finden wir, wie David sich in Wirklichkeit aus den Händen Gottes herausnimmt und sich den Händen des Philisterkönigs anvertraut. Er verlässt die Stellung der Abhängigkeit und begibt sich mitten unter die Feinde. Aber anstatt in seinem wahren Charakter als Gottes Knecht aufzutreten, spielt er den Irrsinnigen vor denen, die ihn noch vor so kurzer Zeit als den Führer Israels dastehen gesehen hatten. (Kap. 21, 13.) „Und die Knechte Achis sprachen zu ihm: Ist das nicht David, der König des Landes? Haben sie nicht von diesem in den Reigen gesungen und gesprochen: „Saul hat seine Tausende erschlagen, und David seine Zehntausende?" Die Philister erkannten Davids wahren Charakter als „König des Landes", den Besieger der Zehntausende, und meinten, dass er unmöglich anders als ihr Feind auftreten konnte, so wenig vermochten sie den moralischen Zustand seiner Seele in jenem denkwürdigen Abschnitt seiner Geschichte zu unterscheiden, und so wenig dachten sie daran, dass der Besieger Goliaths gerade bei ihnen Schutz vor Saul suchen würde.

Die Welt kann die Wechselfälle im Glaubensleben nicht verstehen. Wer hätte auch, nachdem er Zeuge der Vorgänge im Terebinthentale gewesen, denken können, dass David sich so bald schon fürchten würde, die Resultate jenes Glaubens, mit welchem Gott ihn ausgestattet hatte, zu bekennen? Wer hätte sich vorstellen können, dass er, mit dem Schwerte Goliaths in der Hand, sich davor scheuen würde, als der Besieger Goliaths aufzutreten? Und doch war es so. „Und David nahm sich diese Worte zu Herzen und fürchtete sich sehr vor Achis, dem Könige von Gath. Und er verstellte seinen Verstand vor ihren Augen und tat unsinnig unter ihren Händen, und er kritzelte an die Flügel des Tores und ließ seinen Speichel auf seinen Bart Herabfließen."

So muss es immer sein, wenn der Gläubige den Pfad der einfältigen Abhängigkeit von Gott und der Fremdlingschaft in dieser Welt verlässt. Er muss sich „verstellen", seinen wahren Charakter gewissermaßen verleugnen und ein Verhalten einschlagen, das vor Gott den Charakter des Betrugs trägt und von der Welt vielleicht als Blödsinn angesehen wird. Wie traurig ist das! Der Gläubige sollte stets seine Würde bewahren, jene Würde, welche aus dem Bewusstsein hervorgeht, dass man es mit Gott zu tun hat. Aber sobald der Glaube erlahmt, ist auch die Kraft zum Zeugnis dahin, und der Gläubige wird für einen „Narren" gehalten. Als David in seinem Herzen sagte: „Nun werde ich eines Tages durch die Hand Sauls umkommen", verließ er den einzigen Pfad der wirklichen Kraft. Hätte er seinen Weg als der heimatlose Flüchtling auf den Bergen Israels fortgesetzt, so würde er niemals den Knechten Achis ein so erbärmliches Bild geboten haben — er würde niemals ein Wahnsinniger genannt worden sein. Im Terebinthentale hätte Achis sicher nicht gewagt, David einen solchen Namen beizulegen; ebenso wenig in der Höhle Adullam. Aber leider, David hatte sich der Macht dieses Fremdlings übergeben, und deshalb musste er entweder um seiner früheren Treue willen leiden, oder er musste alles aufgeben, betrügen und den Narren spielen in ihren Augen. Er wählte das letztere. Sie beurteilten wohl seine eigentliche Würde als König des Landes, aber, indem er sich davor fürchtete, diese Würde zu bewahren, verleugnete er seinen wahren Stand und wurde ein Narr.

Wie oft können wir die Wirksamkeit desselben Uebels in dem Verhalten mancher Gläubige unserer Tage sehen! Da ist ein Mann, der durch sein früheres Verhalten und Wirken einen hohen Platz in den Gedanken seiner Brüder, ja vielleicht selbst der Kinder dieser Welt, erlangt hat; und doch wenn dieser Mann die Gemeinschaft mit Gott verliert, so wird er sich fürchten seine Würde aufrecht zu erhalten, und in demselben Augenblick, da die Feinde nichts anderes als ein entschiedenes Zeugnis gegen Ihr Tun und Lassen von ihm erwarten, wird er sein Verhalten ändern, „unsinnig tun" und nun, anstatt Achtung und Beachtung zu finden, zieht er sich nur die Verachtung anderer zu. Möchten wir gegen dieses Uebel sehr auf der Hut sein. Wir können ihm nur dann entgehen, wenn wir mit und vor- Gott wandeln und in dem vollen Bewusstsein Seiner Allgenügsamkeit für jede Lage der Dinge bleiben. Solange wir im Lichte wandeln und das Bewusstsein in uns tragen, dass Gott für alle unsere Bedürfnisse genügt, bleiben wir gänzlich unabhängig von der Welt und ihren Mitteln; im anderen Falle werden wir nur die Wahrheit, sowie unseren Charakter als Genossen der himmlischen Berufung verleugnen.

Wie gänzlich musste David das Bewusstsein von Gottes Allgenügsamkeit verloren haben, als er sagte: „Mir ist nichts besser, als dass ich eilend in das Land der Philister entrinne." Nichts besser für einen Mann des Glaubens als seine Zuflucht zur Welt zu nehmen! Wahrlich ein sonderbares Bekenntnis! Allein es ist das gewöhnliche Bekenntnis derjenigen, die den Umständen erlaubt haben zwischen sich und Gott zu treten. Wenn wir einmal von dem engen Pfade des Glaubens abgehen, sind wir in Gefahr in die gröbsten Gegensprüche zu geraten; und nichts könnte wohl treffender den Gegensatz darstellen zwischen einem Manne, der auf Gott blickt und einem anderen, der auf die Umstände schaut, als David im Terebinthentale und David vor den Knechten des Königs Achis, wie er an die Flügel des Tores kritzelt. Dieser Gegensatz ist indes voller ernster Belehrung und Warnung für uns. Er zeigt uns, was wir sind, und wie wenig — wenn es sich um die Dinge Gottes handelt — auf den Besten von uns zu rechnen ist. Arme, gebrechliche Geschöpfe, die bei jedem Wendepunkt des Weges eher bereit sind, eine falsche Richtung einzuschlagen, als den geraden Weg fortzusetzen, geneigt, den Fels der Zeitalter zu verlassen, um auf menschliche Stützen zu vertrauen, die Quelle des lebendigen Wassers aufzugeben, um uns selbst Brunnen auszuhauen, die aber kein Wasser halten! Wahrlich es tut uns not in Demut, Wachsamkeit und Gebet vor Gott zu wandeln; es tut uns not, mit dem Psalmisten unaufhörlich zu flehen: „Unterstütze mich nach deiner Zusage, so werde ich leben; und lass mich nicht beschämt werden in meiner Hoffnung! Stütze mich, so werde ich gerettet werden." (Ps. 119, 116. 117.) Es tut uns not, dass unsere Füße denen der Hindinnen gleich werden, damit wir in den glatten, schlüpfrigen Örtern, durch welche unser Weg führt, nicht zu Fall kommen.

Gottes Gnade allein kann uns befähigen, in beständiger Hingabe und Treue gegen den Herrn zu wandeln. Sind wir uns selbst überlassen, so gibt es nichts Böses und Verkehrtes, in das wir nicht geraten können. Nur diejenigen sind sicher, die sich an Gott klammern. Und welch ein Glück ist es, dass wir es mit Gott zu tun haben, der uns in unserer Unbeständigkeit zu tragen und unsere Seelen gegenherzustellen vermag, wenn sie unter dem Einfluss der Verwirrung und des Bösen um uns her zu ermatten drohen. Andrerseits bewahre Gott uns davor, von diesem Ziklag-Abschnitt der Geschichte Davids einen anderen Gebrauch zu machen, als dass wir ihn in der göttlichen Gegenwart auf unsere eigenen Herzen anwenden und ihn als eine ernste und heilige Warnung für uns selbst benutzen. Mögen auch unsere Stellung und Vorrechte als Christen ganz andere sein, als diejenigen Davids waren, so bleibt doch die Natur stets die gleiche, und wir würden unseren Seelen ernstlich schaden, wenn wir nicht jene tiefen, heilsamen Unterweisungen aus der Geschichte eines Mannes zögen, der in der ^Schule Gottes so weit gefördert war wie David. Gottes Erziehungs-Grundsätze bleiben zu allen Zeiten dieselben, mag auch die Stellung Seines Volkes in den verschiedenen Haushaltungen noch so verschieden sein.


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