CHM- „Was sind das für Reden?"


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andere Schriften von C.H. Mackintosh

(Luk. 24, 17.)

Die Tage, welche unser gepriesener Herr im Grabe zubrachte, waren für viele von denen, die auf Erlösung in Israel warteten, eine Zeit des Dunkels und der Verwirrung. Es hätte eines nüchternen und starken Glaubens bedurft, um das Herz ganz über die schweren Wolken zu erheben, die sich gerade damals am Gesichtskreis des Volkes Gottes zusammengezogen hatten; und anscheinend haben in jener Prüfungsstunde nicht viele diesen Glauben besessen.

Ohne Zweifel erblicken wir in den beiden, nach Emmaus wanderenden Jüngern eine Darstellung des Zustandes, in welchem sich die meisten, wenn nicht alle Gläubigen damals befanden. Sie waren in gänzlicher Verwirrung und wussten nicht mehr ein und aus. „Und sie unterhielten sich miteinander über alles dieses, was sich zugetragen hatte. Und es geschah, indem sie sich unterhielten und miteinander überlegten, dass Jesus selbst nahte und mit ihnen ging; aber ihre Augen wurden gehalten, damit sie Ihn nicht erkannten."

Ihre Herzen waren voll von den Umständen um sie her. Alle Hoffnung war abgeschnitten. Ihre mit so großer Liebe genährten Erwartungen betreffs der Wiederherstellung des Reiches waren vereitelt. Über der ganzen Szene lagen finstre Todesschatten, und ihre armen Herzen waren traurig. In diesem Augenblick naht der auferstandene Heiland und richtet eine Frage an die bekümmerten und zagenden Gemüter. „Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Reden, die ihr wandelnd miteinander wechselt, und seid niedergeschlagen?"

Das war in der Tat eine billige und zugleich ernste Frage, in hohem Grade darauf berechnet, die beiden Jünger, wie wir zu sagen pflegen, wieder zu sich selbst zu bringen. Denn gerade das bedurften sie irr jenem Augenblick. Anstatt in der ewigen und unabänderlichen Wahrheit Gottes zu ruhen, waren sie mit den Umständen beschäftigt. Die Schrift sprach klar und einfach genug: hätten sie nur auf ihre Stimme gelauscht. Aber anstatt auf das bestimmte Zeugnis des ewigen Geistes im Worte zu hören, hatten sie sich gänzlich unter die Wirkung und den Einfluss, äußerer Umstände bringen lassen. Anstatt festen Fußes auf den: unvergänglichen Felsen der göttlichen Offenbarung zu stehen, trieben sie auf den Wogen des bewegteil Lebensmeeres dahin, auf und nieder, auf und nieder. Sie waren, um es mit einem Wort zu sagen, für den Augenblick, was ihren Gemütszustand betraf, unter die Gewalt des Todes geraten. Kein Wunder deshalb, wenn ihre Herzen traurig und ihre Reden nichts welliger als fröhlich waren.

Lieber Leser! ist es nicht auch manchmal mit uns so? Geraten wir nicht, gleich jenen Jüngern, zuweilen unter die Gewalt der sichtbaren und zeitlichen Dinge, anstatt durch den Glauben im Lichte der unsichtbaren und ewigen Dinge zu leben? Wir bekennen, an einen auferstandenen Heiland zu glauben, Ihn zu kennen, mit Ihm gestorben und auferstanden zu sein; wir bekennen, Kinder Gottes zu sein und den Heiligen Geist in uns wohnen zu haben, und doch sinken wir zu Zeiten völlig zusammen, lassen die Flügel hängen und kriechen am Boden, im Staube umher. Bedürfen wir in solchen Augenblicken nicht auch einer ähnlichen Frage von feiten unseres auferstandenen Heilandes? Ja, hat Er nicht oft Ursache, uns zu fragen: „Was sind das für Reden, die ihr miteinander wechselt?" Kommt es nicht häufig vor, dass bei Zusammenkünften, Begegnungen, gemeinschaftlichen Wanderungen und dergl. unsere „Reden" alles andere sind, als was sie sein sollten? Wie oft machen trübe Gedanken über die niederdrückenden Umstände, in denen wir leben, unser ganzes Gesprächsthema aus! Unsere Geschäfte, unsere schwache Gesundheit, unsere Familienverhältnisse, die Schwierigkeiten, unter denen wir uns durchs Leben schlagen müssen, kurz, alles und jedes wird behandelt, nur nicht das Richtige! Wir lassen uns so völlig von solchen Dingen ein- und hinnehmen, dass unsere geistlichen Augen gehalten werden und wir Ihn nicht mehr zu erkennen vermögen, der in Seiner zärtlichen treuen Liebe an unserer Seite steht; und Er muss dann unsere armen, törichten Herzen aufrütteln mit Seiner gewaltigen Frage: „Was sind das für Reden, die ihr wandelnd miteinander wechselt?"

Lasst uns darüber nachdenken! Wir neigen alle so sehr dazu, uns mit den Umständen zu beschäftigen, anstatt mit dem, „was droben ist", jenen herrlichen und lebendigen Wirklichkeiten, welche in Christus Jesu unser Teil geworden sind. Und was haben wir davon? Werden unsere Umstände leichter, oder unsere Aussichten freundlicher, wenn wir recht viel darüber reden und seufzen? Im Gegenteil, wir machen uns nur immer ärmer und unglücklicher; unsere Unterhaltungen rauben uns den letzten Rest von Mut und Kraft, und, was das Schlimmste von allem ist, wir verunehren Christus durch sie in trauriger Weise.

Viele Christen machen sich einen sehr unklaren Begriff davon, wie wichtig ihr Verhalten ist, ihr Wesen, ihre Gesinnung, ja, die ganze Art und Weise, wie sie sich im täglichen Leben geben. Wir vergessen oft, dass die Verherrlichung des Herrn in engster Verbindung steht mit unseren Bewegungen und Äußerungen, mit unserer Redeweise und unserem ganzen Auftreten. Wir alle wissen, dass wir den Charakter eines Familienhauptes viel nach dem beurteilen können, was wir bei seinen Kindern und Dienstboten wahrnehmen. Sind die Kinder scheu und ängstlich, so darf man annehmen, dass der Vater ein strenger, mürrischer und wahrscheinlich auch willkürlicher Mann ist. Sehen die Dienstboten gedrückt und abgearbeitet aus, so gehen wir wohl nicht fehl, wenn wir den Herrn für hartherzig und selbstsüchtig halten. Mit einem Wort, wir können uns ein Bild von dem Vorstand eines Haushaltes machen, wenn wir den Ton, den Geist, die ganze Art und Weise seiner Angehörigen beobachten.

Wenn das nun so ist, sollten wir dann nicht ernstlich bemüht sein, als Hausgenossen Gottes durch unsere Gesinnung, durch unsere Worte, unser ganzes Wesen einen richtigen Eindruck von dem zu geben, was Er ist? Wenn die Menschen, mit denen wir in den Einzelheiten des täglichen Lebens in Berührung kommen, uns finster, mürrisch und niedergedrückt sehen, wenn sie zornige, aufgeregte Worte von uns vernehmen, oder uns bitter klagen hören über dies und das, wenn sie sehen, wie wir für das Unsrige besorgt sind, mit derselben, oder gar noch größerer Gewinnsucht als sie unsere Geschäfte betreiben, oder wenn sie in unseren Häusern Unfrieden und unheilige Gesinnung, Eitelkeit und Weltsinn sehen — ja, wie können sie dann den Gott richtig würdigen lernen, den wir unseren Gott und Vater nennen?

Lieber gläubiger Leser! Wende dich nicht von diesen Worten ab. Sei versichert, wir bedürfen dringend solch einfacher, praktischer Ermahnungen. Man findet heutzutage viel Verstandestätigkeit bei der Beschäftigung mit den göttlichen Wahrheiten, wobei das Gewissen unberührt und das Herz leer bleibt, und infolge dessen auch im Leben keine Frucht zu Tage tritt. Wir bekennen, wie bereits gesagt, gestorben und auferstanden zu sein; aber wenn einmal etwas geschieht, was uns empfindlich trifft, sei es in unserer Person oder in unseren Interessen, ach! wie oft zeigt es sich da, dass das Alte praktisch noch gar nicht tot ist, und dass unser Glaube an Tod und Auferstehung noch sehr viel von einer bloßen Theorie an sich hat!

Möge der treue Herr uns Gnade geben, diese Dinge mit mehr Ernst in unseren Herzen zu erwägen, auf dass das Bild eines wahren Christen durch uns mehr zur Darstellung komme, zur Verherrlichung unseres Gottes und Vaters und unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi! Dann werden auch die, welche mit uns in Berührung kommen, mehr davon sehen, was wahres Christentum ist in seiner Wirkung auf Charakter und Wandel, und die Folgen werden gesegnet sein.


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