CHM- Sünden und Sünde


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andere Schriften von C.H. Mackintosh

In der Entfaltung des glorreichen Planes der Erlösung sehen wir zunächst einen heiligen Gott sich beschäftigen mit der Frage unserer Sünden; wir sehen Ihn über dieselben Gericht ausüben in der Person Seines geliebten, ewigen und göttlichen Sohnes, und zwar um den ganzen Strom Seiner Gnade und Liebe gegen alle Menschen ausgießen zu können. „Hierin ist die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass Er uns geliebt und Seinen Sohn gesandt hat als eine Sühnung für unsere Sünden." (1. Joh. 4, 10.)

Die wahre Erkenntnis dieser Gnade durch den Glauben muss dem Gewissen Frieden geben. Es ist unmöglich zu glauben, dass Gott sich selbst in Bezug auf unsere Sünden befriedigt hat, und dennoch den Frieden mit Gott zu entbehren. Wenn Er Jesus aus den Toten auferweckt hat und uns Den also sehen lässt, der an unserer statt unsere Sünden auf dem Kreuze getragen hat und jetzt zur Rechten der Majestät in den Himmeln gekrönt ist, sollten dann nicht unsere Herzen zur Ruhe kommen in Betreff der ganzen Sündenfrage? Sicher und gewiss.

Doch wie erreichte Christus den Platz, den Er jetzt auf dem Throne des Vaters droben ausfüllt? War es als „Gott über alles, gepriesen in Ewigkeit? Nein; denn das ist Er immer gewesen. War es als der ewige Sohn des Vaters? Nein, denn das war Er von Ewigkeit her; Er war von jeher in dem Schoße des Vaters, der Gegenstand Seiner ewigen und unaussprechlichen Wonne. Ging Er dorthin als ein fleckenloser, heiliger Mensch, als Derjenige, dessen Natur vollkommen rein und vollkommen frei von Sünde war? Nein; denn in diesem Charakter und auf diesem Grunde konnte Er in jedem Augenblick - von der Krippe bis zum Kreuze — einen Platz zur Rechten Gottes beanspruchen. Wie erreichte Er denn diesen Platz? Dem Gott aller Gnade sei ewig Preis und Dank! Christus ging hin als Derjenige, der durch Seinen Tod das glorreiche Werk der Erlösung vollbracht hatte — als Der, welcher mit dem ganzen Gewicht unserer Sünden beladen gewesen war - als Der, welcher in vollkommener Weise alle die gerechten Ansprüche jenes Thrones, auf welchem Er jetzt sitzt, erfüllt hatte.

Die Erkenntnis dieser Wahrheit, wiederholen wir, muss den Frieden mit Gott bringen. Wir können unmöglich durch den Glauben auf Den schauen, der um unsertwillen auf das Kreuz genagelt war, ohne zu wissen, dass uns die Sünden vergeben sind. Unser Herr könnte nicht, nachdem Er dieselben auf sich genommen und ihr gerechtes Gericht getragen hat, dort sein, wo Er jetzt ist, wenn die Länden nicht völlig gesühnt worden wären. Ter Anblick des mit Herrlichkeit gekrönten Sündenträgers sagt uns klar und deutlich, dass unsere Sünden für immer aus der Gegenwart Gottes hinweggetan sind. Wo sind sie geblieben? Sie sind alle ausgelöscht. Woher wissen wir das? Der, welcher sie alle aus sich genommen hatte, ist durch die Himmel gegangen zu dem Platze hin, von wo die höchste Herrlichkeit ausstrahlt.

Eine ewige Gerechtigkeit hat Sein Haupt mit eitler Krone der Herrlichkeit geschmückt, das Haupt Dessen, der der Erfüller unseres Erlösungswerkes, der Träger unserer Sünden war, und hat dadurch den unumstößlichen Beweis geliefert, dass alle unsere Sünden für ewig aus den Augen Gottes entfernt sind. Ein zur Rechten Gottes gekrönter Heiland und ein gereinigtes Gewissen sind in dieser gesegneten Haushaltung der Gnade unzertrennlich miteinander verbunden. Wunderbare Tatsache! Wohl mögen wir aus aller Kraft das Lob der erlösenden Liebe singen!

Allein es ist nicht nur Vergebung der Sünden, welche uns durch den Versöhnungstod Christi verkündigt wird. Diese ist an und für sich eine Gabe und eine Segnung der höchsten Art, und wir erfreuen uns ihrer, wie wir gesehen haben, gemäß des Wertes und der Wirkung des Todes Christi, wie Gott diesen schätzt. Aber außer dieser vollkommenen Vergebung finden wir auch eine gänzliche Befreiung von der gegenwärtigen Macht der Sünde.

Das ist eine Wahrheit, die für einen jeden, der die Heiligkeit liebt, von großer Wichtigkeit ist. Nicht nur hat Christus am Kreuze die Sünden Vieler getragen (Hebr. 9, 28), sondern die Sünde im Fleische ist auch dort gerichtet worden. (Röm. 8, 3.) Der Gläubige hat das Vorrecht, sich der Sünde für tot zu halten, Gott aber lebend in Christus Jesu. (Röm. 6, 11.) „Ich bin mit Christus gekreuzigt; und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir." (Gal. 2, 20.) Das ist Christentum. Das alte „Ich" war gekreuzigt, hinweggetan, und Christus lebte in Seinem Diener.

Der nachdenkende Leser des so überaus lehrreichen Römerbriefes wird bemerken, dass wir von Kapitel 3, 21 bis Kapitel 5, 11 das Werk Christi auf die Frage der Sünden angewandt finden. Von Kap. 5, 12 bis zum Ende des 8. Kapitels wird jenes Werk von einer anderen Seite betrachtet. Es wird angewandt auf die Frage von der Sünde — von unserem „alten Menschen" — „dem Leibe der Sünde" — der „Sünde im Fleische". Die Schrift spricht niemals von einer Vergebung der Sünde, sondern sie versichert uns, dass Gott die Sünde im Fleische verurteilt oder gerichtet hat.

Dieser Unterschied ist sehr beachtenswert. Gott hat Seinen ewigen Abscheu vor der Sünde in dem Kreuze Christi gezeigt. Er hat Sein Gericht über dieselbe ausgesprochen und ausgeführt, und jetzt darf sich der Gläubige betrachten als verbunden und einsgemacht mit Dem, der an dem Kreuze starb und aus den Toten auferstanden ist. So tritt er aus dem Bereich der Herrschaft der Sünde und sieht sich in jene neue und gesegnete Sphäre versetzt, wo die Gnade herrscht durch Gerechtigkeit. „Gott aber sei Dank", sagt der Apostel, „dass ihr Sklaven der Sünde wäret, (einst, aber jetzt nicht mehr) aber von Herzen gehorsam geworden seid dem Bilde der Lehre, welchem ihr übergeben seid. Freigemacht aber von der Sünde, seid ihr Sklaven der Gerechtigkeit geworden. . . Jetzt aber, von der Sünde freigemacht und Gottes Sklaven geworden, habt ihr eure Frucht zur Heiligkeit, als das Ende aber ewiges Leben."

Hierin liegt das Geheimnis eines heiligen Lebens und Wandels. Die, welche des Christus sind, sind der Sünde gestorben; sie leben aber Gott. Für sie ist die Herrschaft der Sünde vorüber. Was hat die Sünde mit einem toten Menschen zu tun? Nichts. Der Mensch, welcher die Fülle der göttlichen Gnade zu einem Vorwande gebraucht, um in der Sünde zu leben, verleugnet die wahre Grundlage des Christentums. „Wir, die wir der Sünde gestorben sind, wie sollen wir noch in derselben leben?" Unmöglich. Es würde eine Verleugnung der ganzen christlichen Stellung sein. Wenn man sagt, dass der Christ von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Monat zu Monat vorangehen müsse, indem er sündige und wieder Buße tue, falle und wieder aufstehe, so erniedrigt man dadurch das Christentum und verfälscht den ganzen christlichen Stand. Wenn man behauptet, dass der Christ in der Sünde verharren müsse, weil er das Fleisch in sich habe, so lässt man den Tod Christi in einer seiner wichtigsten Beziehungen völlig unbeachtet und straft die ganze Belehrung des Apostels in Röm. 6 und 8 Lügen. Gott sei Dank! es ist durchaus keine Notwendigkeit vorhanden, dass der Gläubige sündige. „Meine Kinder, ich schreibe euch dieses, auf dass ihr nicht sündiget." (1. Joh. 2, 1.) Wir sollten uns in keinem einzigen sündigen Gedanken rechtfertigen. Es ist unser köstliches Vorrecht, in und nach dem Lichte zu wandeln und nicht zu sündigen. Ein sündiger Gedanke ist dem wahren Charakter des Christentums völlig fremd. Wir haben Sünde in uns und werden es haben, solange wir in diesem Leibe sind; aber wenn wir in dem Geiste wandeln (Gal. 5, 16), so wird sich die Sünde im Fleische gar nicht lebendig erweisen. Wenn wir sagen: „wir brauchen nicht zu sündigen", so bezeichnen wir dadurch eins der Vorrechte eines wahren Christen; die Behauptung aber, dass wir nicht sündigen können, ist Betrug.


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