CHM- Verschiedenheit und Einheit


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andere Schriften von C.H. Mackintosh

Es ist wichtig und lehrreich zugleich, die verschiedenen Seiten der Wahrheit, wie sie uns in dem Neuen Testament vorgestellt werden, zu betrachten, die alle ihren Mittelpunkt finden in dem Einen, der die Wahrheit ist. Dies gilt sowohl bezüglich der Evangelien als auch der Episteln. Ein jeder der vier Evangelisten gibt uns, unter der unmittelbaren Leitung des Heiligen Geistes, eine verschiedene Vorstellung von der Person Christi. Matthäus stellt Ihn vor in Seinen jüdischen Beziehungen — als den Messias, den Sohn Davids, den Sohn Abrahams, als den Erben der den Vätern gegebenen Verheißungen. In Markus steht Er vor uns als der treue Arbeiter, der eifrige Diener, als der wirksame Prophet und der unermüdliche Prediger und Lehrer. Lukas stellt uns „den Menschen Christus Jesus" vor Augen, in Seinen menschlichen Verhältnissen, den Sohn des Menschen, den Sohn Adams. (Luk. 4, 38.) Johannes spricht von dem Sohne Gottes, dem Sohne des Vaters, dem himmlischen Menschen.

Jeder hat daher seine eigene ihn bezeichnende Vorstellung. Keine zwei sind gleich, und doch stimmen alle miteinander überein. Wir finden eine lehrreiche Verschiedenheit und doch die vollkommenste Harmonie, Verschiedenheit und doch Einheit. Matthäus steht nicht im Gegenspruch mit Markus, noch Markus mit Lukas, oder Lukas mit Johannes. Da gibt es nirgendwo einen Zusammenstoß, weil jeder sich in seinem eigenen Kreise bewegt und alle sich um den einen großen Mittelpunkt scharen. Wir würden auch keinen von ihnen entbehren können. Wenn einer fehlte, so würde eine große Lücke vorhanden sein. Wir können unmöglich einen Strahl von der moralischen Herrlichkeit des Sohnes Gottes entbehren, und wir können durchaus nicht zugeben, dass eines der Werkzeuge, durch welche der Heilige Geist uns Ihn vor die Augen gemalt hat, bei Seite gesetzt wird. Wir bedürfen sie alle. Ein jedes nimmt seinen eigenen Platz ein und erfüllt, unter der Leitung, des Heiligen Geistes, seinen besonderen Dienst.

So ist es auch in den Briefen. Die Vorstellung des Paulus von der Wahrheit unterscheidet sich von der des Petrus, diejenige Petrus von der des Johannes, die des Johannes von der Vorstellung des Jakobus. Keine zwei sind gleich, und hoch stimmen alle miteinander überein. Niemals gegenspricht der eine dem anderen, weil sich jeder, wie bei den Evangelisten, in seinem eigenen Kreise bewegt und sich alle um den allgemeinen Mittelpunkt vereinigen. Der Kreis ist verschieden, aber der Mittelpunkt ist einer. Paulus lehrt uns die große Wahrheit von dem Verhältnis des Menschen zu Gott auf Grund der vollbrachten Erlösung und zugleich die Ratschlüsse Gottes in. Bezug auf Israel und die Versammlung. Petrus stellt uns die christliche Fremdlingschaft und die Regierung Gottes über die Welt vor Augen. Jakobus dringt auf praktische Gerechtigkeit. Johannes spricht über das ewige Leben, das zuerst bei dem Vater war und dann in dem Sohne geoffenbart und uns mitgeteilt wurde und endlich in der glorreichen Zukunft entfaltet werden wird.

Es würde nun die größte Torheit sein, wenn wir Vergleiche ziehen wollten zwischen diesen verschiedenen Seiten der Wahrheit, oder zwischen den geliebten und geehrten Werkzeugen, die der Heilige Geist gebraucht hat, um uns die Wahrheit zu offenbaren. Wie töricht wäre es, Matthäus dem Markus, oder Markus dem Lukas, Lukas dem Johannes, oder endlich Johannes allen den übrigen gegenüberstellen zu wollen! Wie unsinnig würde es sein, zu sagen: „Ich halte mich an Paulus. Jakobus steht tief unter unserem Standpunkt. Petrus und Johannes habe ich nicht nötig. Paulus, das ist mein Mann. Seine Bedienung des Wortes ziehe ich jeder anderen vor."

Es wäre dies die größte Torheit und Sünde. Die verschiedenen Seiten der Wahrheit lausen alle auf einen herrlichen und gesegneten Mittelpunkt aus. Die verschiedenen Werkzeuge werden alle durch ein und denselben Geist gebraucht, und zwar zu einem großen Zweck, zur Darstellung der Tugend und Vollkommenheiten Christi. Wir bedürfen sie alle. Wir können eben so wenig Matthäus oder Markus, wie Lukas oder Johannes entbehren; und wir würden sehr verkehrt handeln, wenn wir Jakobus oder Petrus geringschätzen wollten, weil sie nicht so erhabene Wahrheiten vorstellen wie Paulus und Johannes. Jeder ist nötig in seinem Wirkungskreise. Ein jeder von ihnen hat seinen besonderen Platz einzunehmen, sein besonderes Werk zu verrichten und den ihm anvertrauten Teil der Wahrheit mitzuteilen. Es würde nur zu großem Schaden für unsere Seelen gereichen und zugleich die Unantastbarkeit der göttlichen Offenbarung in Gefahr stellen, wenn wir uns nur an den einen oder anderen Teil der Wahrheit hielten oder uns ausschließlich zu einem der Werkzeuge des Heiligen Geistes bekännten.

Die Korinther verfielen in diesen großen Irrtum und zogen sich dadurch die scharfe Zurechtweisung des Apostels Paulus zu. Die einen sagten: „Ich bin des Paulus," die anderen: „Ich des Apollos;" die einen: „Ich bin des Kephas," wieder andere: „Ich bin des Christus." Alle nahmen einen verkehrten Standpunkt ein, und diejenigen, welche sagten, dass sie des Christus seien, hatten ebenso sehr Unrecht wie die übrigen. Sie waren ebenso töricht wie ihre Brüder, denn sie machten Christus zum Haupte eines Systems. Sie waren fleischlich und handelten nach Menschenweise.

Auch jetzt noch gibt es in der Versammlung Gottes verschiedene Arten von Arbeitern und verschiedene Seiten der Wahrheit, und es ist unser glückliches Vorrecht, um nicht zu sagen unsere heilige Berufung, sie alle anzuerkennen und uns in allen zu erfreuen. Wenn man jemand, der wirklich ein Diener Christi ist, geringschätzt, so ist das nichts anders, als die Wahrheit, die er bringt, verachten und unsere Segnungen preisgeben. „Alles ist euer. Es sei Paulus, oder Apollos, oder Kephas, oder die Welt, oder Leben, oder Tod, oder Gegenwärtiges, oder Zukünftiges: alles ist euer, ihr aber seid Christi, Christus aber ist Gottes." (1. Kor. 3, 21—23.)

Das ist die wahre und göttliche Weise, diese Sache zu betrachten, und zugleich ist es der Weg, um Sekten, Parteiungen und Vereinigungen in der Versammlung Gottes zu vermeiden. Es gibt nur einen Leib, ein Haupt, einen Geist, eine göttliche und vollkommene Offenbarung — die Heiligen Schriften; aber es gibt viele Glieder, viele Gaben, viele Seiten der Wahrheit, viele verschiedene Bedienungen. Wir haben sie alle nötig, und darum hat Gott sie alle gegeben. Allein Er hat sie nicht geschenkt, um die eine der anderen gegenüberzustellen, sondern damit wir sie alle "demütig und dankbar gebrauchen und durch sie, gemäß Seiner gnädigen Ratschlüsse, gesegnet werden.

Was aber würde die Folge sein, wenn wir nur eine besondere Seite der Wahrheit oder eine einzelne Bedienung annehmen wollten? Wir würden einfach einen unvollkommenen christlichen Charakter erhalten. Wir sind alle zur Einseitigkeit geneigt; und nichts nährt diese böse Meinung mehr, als ein starres Festhalten an einer besonderen Wahrheit, indem man andere, die von ebenso großer Wichtigkeit sind, ausschließt. Wir sind durch „die Wahrheit" geheiligt, und nicht durch den einen oder anderen Teil derselben. Wir sollen uns in jedem Teil der Wahrheit erfreuen, und wir sollen jedes Gefäß oder Werkzeug, welches unser Gott gebrauchen will, um Seine Wahrheit unseren Seelen mitzuteilen, von Herzen willkommen heißen. Wenn man das eine höher hält wie das andere, so heißt das nichts anders, als mehr mit dem Gefäß beschäftigt zu sein, wie mit dem Inhalt desselben, mehr auf den Menschen zu blicken als auf Gott. Und das ist ein großer Irrtum. „Wer ist denn Apollos und wer Paulus? Diener, durch welche ihr geglaubt habt, und zwar, wie der Herr einem jeden gegeben hat." (1. Kor. 3, 5.)

Das ist der große Grundsatz. Gott hat verschiedene Werkzeuge für Sein Werk. Wir haben sie alle nötig und sollen sie alle schätzen als Seine Werkzeuge, und als nichts anders. Es ist seit jeher die Absicht Satans gewesen, das Volk Gottes dazu zu bringen, Häupter, Parteiführer und Vorstände von Vereinigungen usw. aufzustellen, und auf diese Weise die Versammlung Gottes in Sekten aufzulösen und ihre sichtbare Einheit zu zerstören. Geben wir wohl acht auf seine Listen und bewahren wir die Einheit des Geistes in dem Bande des Friedens. (Eph. 4, 3.)

Und wie werden wir dieses herrliche Ziel erreichen? Einfach dadurch, dass wir uns in der Nähe des einzigen und wahren Mittelpunktes halten, dass wir in Christus und in der täglichen Gemeinschaft mit Ihm bleiben, dass wir in Seinen Geist eindringen, in Seinen Fußstapfen wandeln und in wahrer Gebrochenheit des Geistes und wahrer Demut des Herzens zu Seinen Füßen sitzen, dass wir uns Seinem Dienste völlig weihen und das Wohl und den Segen eines jeden geliebten Gliedes Seines Leibes suchen. Auf diese Weise werden wir vor Streit und Trennung, vor Zänkereien über eitle Fragen und unnütze Theorien, vor Parteiung, Vorurteil und Vorliebe bewahrt bleiben. Wir werden im Stande sein, alle die verschiedenen Seiten der Wahrheit zu entdecken und zu schätzen, die alle in einen göttlichen Mittelpunkt auslaufen. Wir werden uns in der großen Tatsache erfreuen, dass in all den Wegen und Werken Gottes, in der Natur und in der Gnade, in den Dingen auf der Erde und in dem Himmel, in der Zeit und in der Ewigkeit, keine tötende Einförmigkeit, sondern eine liebliche und herrliche Mannigfaltigkeit besteht, dass der allgemeine und ewige Grundsatz Gottes „Verschiedenheit und Einheit" ist.

Je mehr wir mit Einsicht und Einfalt des Herzens die verschiedenen Teile des Wortes Gottes erforschen, je mehr wir den göttlichen Zweck der einzelnen Bücher entdecken, desto mehr werden wir erkennen, wie genau und vollkommen sich der Inhalt derselben in den ihnen von Gott gestellten! Grenzen bewegt, wie notwendig jedes einzelne Buch dazu gehört, um das Wort Gottes zu vollenden, um Gott selbst sowie alle Seine Wege und Ratschlüsse in ihrer ganzen Vollkommenheit zu offenbaren. Wir werden uns gedrungen fühlen, auszurufen: Das ist wahrlich nicht das Wort eines Menschen, sondern Gottes Wort! Nur Gott selbst hat solche Verschiedenheit, die nirgendwo die ihr gestellte Grenze überschreitet, und zugleich eine solche Einheit, worin auch nicht die geringste Lücke vorhanden ist, in diesem heiligen Buche ans Licht stellen können. Er gebe uns einen erleuchteten Geist und begierige Herzen, die stets mit allem Fleiß darin forschen, und mache uns dadurch immer mehr fähig, Seinen heiligen Namen zu verherrlichen!


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