ED- Der Mitternachtsruf oder die Hoffnung der Versammlung Christi


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andere Schriften von Edward Dennett

Es ist unser Wunsch, in den folgenden Zeilen einen Gegenstand vor den Leser zu bringen, der für jedes Kind Gottes von täglich wachsendem Interesse sein muss. Es ist dies die Wiederkunft oder das zweite Kommen unsers Herrn Jesu Christi. Doch muss dessen Betrachtung, um von Segen zu sein, nicht ohne ernstes Gebet und mit der offenen Bibel geschehen, um alle Stellen, auf die wir uns beziehen, selbst zu untersuchen, und dies in Abhängigkeit von dem Heiligen Geiste, den der erhöhte und verherrlichte Christus herniedergesandt hat, auf dass Er uns lehre und in die ganze Wahrheit leite und uns das Kommende verkünde (Joh. 16, 13).

Es könnte sein, dass diese Blätter in die Hände von solchen fallen würden, welche, obwohl wirklich bekehrt, die Vergebung ihrer Sünden und den Frieden mit Gott wirklich besitzend, dennoch kein großes Interesse an diesem Gegenstand finden, so zuversichtlich sie auch wissen, dass, sollte Gott sie in irgend einem Augenblick abrufen, sie in den Himmel gingen. Aber ihre Seelen sind nicht erfüllt von der „glückseligen Hoffnung", bald von Angesicht zu Angesicht den teuren Herrn zu sehen, welcher für sie am Kreuze litt und blutete und starb, um sie von der Hölle zu erretten, und ihnen ein Recht und Teil an Seiner Herrlichkeit mit Ihm selbst zu erwerben.

Wir trafen vor einiger Zeit auf einer Reise mit jemand zusammen, dessen Zustand ziemlich dem soeben bezeichneten entsprach. Er war unzweifelhaft ein Kind Gottes und suchte seinem Heiland zu dienen. Auf die Frage aber, ob er die Wiederkunft des Herrn Jesu erwarte, antwortete er: „Nun, sehen Sie, ich gehe nicht so tief in diese Dinge ein, wie Sie. Diese Frage berührt mich nicht so sehr. Ich weiß, dass ich bereit bin, wann immer Gott mich abrufen will, ja wenn ich sofort sterben müsste, so hätte ich keine Furcht. Und daher kann es mir so ziemlich gleich sein, ob Er morgen schon kommt oder in hundert Jahren, denn ich bin bereit, zu welcher Zeit Er auch kommen mag."

„Denken wir uns", war unsre Erwiderung, „Sie wären nach Indien gegangen, um gewisse Geschäfte zu erledigen, und hätten Ihre Frau und Kinder hier zurückgelassen. Doch obschon Sie sie zurückgelassen, vergessen Sie sie doch keineswegs; kein Tag vergeht, ohne dass Ihre Gedanken zu ihnen zurückeilen, und Sie sehnen sich nach der Zeit, wann Sie wieder mit ihnen vereinigt sein werden. Endlich haben sich Ihre Geschäfte beinahe abgewickelt und Sie schreiben mit großer Freude heim, dass man Sie nun bald erwarten dürfe. Sie könnten zwar den Tag Ihrer Ankunft nicht bestimmen, jedenfalls aber könnte Ihre Familie auf ein baldiges Wiedersehen hoffen. Die Liebe der Ihrigen kennend sind Sie überzeugt, dass es ihnen eine ebenso große Freude sein wird, diese Nachricht zu erhalten, als es Ihnen gewesen, sie zu geben.

Kurz nachdem die Ihrigen diesen Brief empfangen, besuche ich sie einmal und frage, ob sie Nachrichten von Ihnen hätten. „O ja", wird mir geantwortet, „er hat uns gerade geschrieben und gesagt, dass er bald heimkommen werde, ja wir können ihn nun eigentlich beständig erwarten. Jedoch berührt es uns schließlich wenig, ob er morgen schon kommt oder erst in einem Jahr, denn wir sind ganz bereit, ihn zu empfangen, zu welcher Zeit er irgend kommen mag." Würde eine solche Sprache, fuhren wir fort, nicht einen traurigen Zustand der Dinge bekunden, — dies sie nicht berühren? Wenn sie irgendwelche Liebe für Sie hätten, würden ihre Herzen hoch schlagen beim Gedanken, Sie so bald wieder zu sehen."

Und hat nicht unser teurer Heiland uns auch hier zurückgelassen? Denkt Er nicht beständig an uns, obwohl Er im Himmel ist? Ist Seine Liebe gegen uns jetzt nicht ebenso tief und stark, wie damals gegen Seine geliebten Jünger, als Er mit Ihnen durch diese Welt wandelte? „Da Er die Seinigen, die in der Welt waren, geliebt hatte, liebte Er sie bis ans Ende" (Joh. 13, 1). Und Er hat auch uns sagen lassen, dass Er jeden Augenblick zurückkehren könne. Im Schlusskapitel der Offenbarung, welches Seine letzten Mitteilungen an die Seinigen enthält, gebraucht Er dreimal die herzerfreuenden Worte: „Siehe, ich komme bald!"

Sollte unsre Liebe davon unberührt, unsre Herzen unbewegt bleiben? Hoffentlich nicht, sondern lasst uns fröhlich in die Antwort einstimmen: „Ja komm, Herr- Jesu!" (Offenb. 22, 20.)

Wir möchten den Leser nun bitten, Matth. 25, 1 — 13 sorgfältig zu lesen und vor sich zu behalten, während wir miteinander etwas näher auf den Inhalt dieses Abschnittes eingehen.

Eine geringe Aufmerksamkeit genügt, um uns zu zeigen, dass das Gleichnis von den zehn Jungfrauen in drei Teile zerfällt, welchen drei Perioden der Geschichte der Versammlung oder Gemeinde Christi auf merkwürdige Weise entsprechen. Die Versammlung nahm, beiläufig bemerkt, ihren Anfang am Pfingsttage. Obwohl von aller Ewigkeit her in den Ratschlüssen Gottes, war sie dennoch ein Geheimnis, das verborgen blieb (vergl. sorgfältig Röm. 16, 25; Eph. 3, 3—7; Kol. 1, 24—28), und bestand tatsächlich in dieser Welt nicht, bis am Pfingsttage in Jerusalem der Heilige Geist vom Himmel herniederkam (Apgsch. 2, 1—4) und alle Gläubigen zu einem Leibe taufte (1. Kor. 12, 12-14). Dort also war es und auf diese Weise, dass die Versammlung ihren Anfang nahm. Wir können jetzt nicht weiter auf diesen wichtigen Gegenstand eingehen und beschränken uns auf die obigen Bemerkungen, durch welche es jedem klar sein wird, dass wir uns auf die Zeit beziehen, welche am Pfingsttage begann, bis auf den heutigen Tag fortdauerte und fortdauern wird, bis der Herr vom Himmel herniederkommt und wir Ihm entgegengerückt werden in die Luft (1. Thess. 4, 16. 17). Damit wird die Geschichte der Versammlung oder Gemeinde Christi auf Erden geschlossen sein.

„Sie gingen aus, dem Bräutigam entgegen."

Dies war es, was die Christen am Anfang kennzeichnete. „Sie gingen aus, dem Bräutigam entgegen." Er, der kurze Zeit vorher für sie gestorben, war von ihnen weg in die Herrlichkeit Gottes zurückgekehrt. Dort saß Er, als Mensch, zur Rechten der Majestät in den Himmeln; doch ehe Er wegging, hatte Er ihnen die Verheißung gegeben, daß Er wiederkommen und sie zu sich in dieselbe Herrlichkeit nehmen werde. Ermuntert durch dieses Versprechen, erfüllt von dieser Hoffnung, gingen sie aus. Ihm entgegen. Die Welt, welche denjenigen soeben verworfen und gekreuzigt hatte, den ihre Herzen liebten, hatte nichts Anziehendes mehr für sie. Obwohl in ihr, waren sie doch nicht mehr von ihr (Joh. 17, 14). Sie begehrten weder ihre Herrlichkeit noch ihre Ehre, noch ihre Freuden. Gedanken an ihren abwesenden Herrn füllten ihre Herzen und sie sehnten sich nach dem Augenblick, da sie Ihn sehen und bei Ihm sein würden.

Wir lernten letzthin einen jungen und eifrigen Gläubigen kennen. Er suchte dem Herrn zu dienen, indem er das Evangelium predigte und hoffte, in kurzem seine Heimat zu verlassen und als Missionar zu den Heiden zu gehen.

„Erwarten Sie das Kommen des Herrn?" fragten wir ihn.

„Nein, das kann ich nicht sagen", war die Antwort.

„Haben Sie denn nie beachtet", fuhren wir fort, „wie oft das Neue Testament davon spricht?"

Er antwortete wieder verneinend und schien zu denken, es sage uns mehr vom Tod als von der Wiederkunft Christi. In der Tat würden vielleicht manche ebenso überrascht sein wie er, zu hören, dass der Tod — in Bezug auf den Gläubigen — nicht mehr als vier oder fünfmal erwähnt wird, während wir das Kommen des Herrn in allen vier Evangelien, in der Apostelgeschichte, in fast allen Briefen*) — in zweien derselben, dem ersten und zweiten Brief an die Thessalonicher, in jedem Kapitel — und endlich im Buch der Offenbarung zu wiederholten Malen finden.

*) Es ist sehr interessant, zu beachten, warum das Kommen des Herrn im Galater- und Epheserbrief nicht erwähnt wird. Im Galaterbrief muss der Apostel sozusagen den Grund wieder legen, weil Grundwahrheiten des Christentums, wie die Rechtfertigung durch den Glauben allein, in Gefahr standen, von den Gläubigen aufgegeben zu werden. Er kann sie daher nicht mit der herrlichen Hoffnung des Evangeliums beschäftigen, denn er muss abermals Geburtswehen um sie haben, KaP. 4, 18). Im Epheserbrief wird der Gläubige betrachtet als schon in Christo in die himmlischen

Der junge Mann war ganz erstaunt darüber und versprach die Schriften zu erforschen, um zu sehen, „ob cs sich also verhielte."

Ist es nicht seltsam, dass die Christen heutzutage so viel mit dem Tod beschäftigt sind, der im Worte Gottes so selten in Beziehung auf sie erwähnt ist, während die freudige und gesegnete Hoffnung der persönlichen Wiederkunft des Herrn, von welcher es so viel spricht, ja die fast auf jeder Seite uns entgegenleuchtet, unbeachtet, vergessen bleibt, oder als eine übertriebene Auffassung einiger weniger Gläubigen betrachtet wird? Doch nein, geliebter Leser, es ist eine der wichtigsten Wahrheiten, die uns Gott geoffenbart hat, unsre wahre und eigentliche Hoffnung, in engster Verbindung stehend und von größtem Einfluss ans unsre ganze Herzensstellung und unsern Wandel.

Lasst uns in Kürze einige Stellen nachsehen, welche davon sprechen, und zuerst Joh. 14, 1—5 lesen. Unser teurer Herr ist hier auf dem Punkt, die Welt zu verlassen. Von den Menschen verworfen und wissend, „dass Seine Stunde gekommen war, dass Er aus dieser Welt zu dem Vater hingehen sollte" (Joh. 13, 1), versammelt Er die Seinigen um sich, welche Er darin zurücklassen musste. Er möchte sie noch an Seiner Seite haben, denn Er fühlt sich daheim in diesem kleinen Kreis und weiß, dass Er ohne Zurückhaltung zu ihnen sprechen kann nach der tiefen Liebe Seines Herzens. Judas, der Verräter, ist hinausgegangen „und es war Nacht" (V. 30). Ja Nacht, die schrecklichste geistige Nacht lag auf der Erde in jenen: Augenblick. Jesus, lesen wir kurz vorher, „war sehr erschüttert im Geiste."

Örter versetzt und weil unsre Stellung in dieser Epistel von diesem Gesichtspunkt aus angeschaut wird, so wird nicht vom Kommen des Herrn gesprochen als dem, wodurch wir erst dorthin gelangen werden.

Es war nicht nur der Hass der Menschen, tief und lange genährt, nicht nur der Verrat des Judas oder die Untreue der andern Jünger, so bitteren Schmerz Ihm auch alles dies verursacht haben muss, welches Seinen Geist in jenen ernsten Augenblicken niederdrückte. Tiefere Schatten noch lagen auf Seinem einsamen Weg. Das Kreuz mit all seinen Schrecken erhob sich vor Seiner Seele. Der Sturm des göttlichen Gerichts sollte sich bald über diesem heiligen Haupt entladen, und seine schweren Wolken hingen schon über Ihm. Aber über alles hinweg schaute Er auf die Herrlichkeit, in welche Er bald eintreten sollte (Kap. 13, 31. 32), und aufs bestimmteste teilt Er nun Seinen Jüngern mit, dass Er von ihnen Weggehen würde. Er wusste, mit welcher Traurigkeit sie dies erfüllen würde, und die Last, die auf Ihm selber lag vergessend, sucht Er ihre armen Herzen nach oben zu richten; Er spricht zu ihnen von des Vaters Haus, wohin Er geht, von der Stätte, die Er ihnen bereiten wollte, eine Stätte, weit besser als alles, was die Welt ihnen geben konnte.

Auf welche Weise aber sollten sie dorthin gelangen? Das ist gerade die Frage, die uns beschäftigt. Lies selbst die Antwort darauf, und während du liesest, stelle dir vor, dass du selbst im Kreise der Jünger sitzest und den Herrn sagen hörest: „Und wenn ich hingegangen bin und euch eine Stätte bereitet habe, so komme ich wieder und will euch zu mir nehmen, auf dass, wo ich bin, auch ihr seid" (Kap. 14, 3). Welche Ermunterung, welcher Trost für die niedergeschlagenen Jünger: Ich komme wieder!

Bezog Er sich mit diesen Worten etwa auf ihren Tod? Gewiss nicht. Wenn sie starben, so schieden sie ab, um bei Ihm zu sein (Phil. 1, 23). Er verließ das Haus des Vaters nicht persönlich, um sie zu sich zu holen. Sicher dachten auch die Jünger bei Seinen Worten an nichts anderes als an Seine persönliche Wiederkunft, ja es war unmöglich, dass sie dieselben anders verstehen konnten. Wir sind überzeugt, dass uns darum, weil wir Seine Abwesenheit so wenig fühlen, der Gedanke an Seine Rückkehr so wenig Freude macht. Die Leere, welche die Abwesenheit einer geliebten Person hinterlässt, kann durch nichts anderes ausgefüllt werden als durch deren Gegenwart. Und wer ist ein Freund für uns wie Jesus? Können wir nicht, wenn auch in noch so kleinem Maße, sagen: „Welchen wir, obgleich wir Ihn nicht gesehen, lieben?" (1. Petri 1, 8.)

Aber kehrte Er nicht nach Seiner Auferstehung zu den Jüngern zurück, frägt jemand, und beziehen sich Seine Worte nicht etwa auf diese Rückkehr? Freilich kam Er nach Seiner Auferstehung wieder in die Mitte Seiner Jünger, aber nur für einen kurzen Augenblick. Uneingedenk Seiner eigenen Worte, mit denen Er sie versichert hatte, dass Er am dritten Tage auferstehen würde, und ungläubig gegenüber dem vereinigten Zeugnis derer, die Ihn gesehen, sind sie erschrocken und voll Furcht, als „Jesus selbst in ihrer Mitte stand" (Luk. 24, 36). In ihrer Unfähigkeit, zu glauben, können sie es gar nicht fassen, dass ihr geliebter Herr und Meister in Wahrheit wieder unter ihnen sei, sondern halten Ihn für einen Geist.

Er muss ihren Unglauben schelten, nimmt aber ihre Furcht weg und beruhigt ihre erschrockenen Gemüter mit den liebevollen Worten: „Sehet.... dass ich selbst es bin; betastet mich und sehet, denn ein Geist hat nicht Fleisch und Bein, wie ihr sehet, dass ich habe."

O nein, Seine Auferstehung vollzog sich nicht bloß dem Geiste nach, sondern war eine wirkliche, tatsächliche. Da stand Jesus wieder vor ihren Augen als ein wirklicher Mensch. So wirklich ein Mensch nach Seiner Auferstehung wie vor Seinem Tode, dass Er, um sie noch völliger davon zu überzeugen, „vor ihren Augen aß."

Und nachdem Er von ihnen gesehen worden war während vierzig Tagen (Apstgesch. 1, 2), „führte Er sie hinaus bis nach Bethanien,.... und indem Er sie segnete, schied Er von ihnen und ward hinaufgetragen in den Himmel."

Versetzen wir uns im Geiste in diese Szene, wie sie uns in Apstgesch. 1 geschildert wird: Die Jünger sind um ihren auferstandenen Herrn versammelt, und gespannt horcht ein jeder' auf Seine Abschiedsworte. Er sagt ihnen, bis sie nach Jerusalem zurückkehren und dort den Heiligen Geist erwarten sollten, der nach nicht vielen Tagen vom Himmel herniederkommen werde, um bei und in ihnen zu wohnen und ihre Kraft zum Dienst und Zeugnis zu sein. „Und als Er dieses gesagt hatte, ward Er emporgehoben, indem sie es sahen, und eine Wolke nahm Ihn von ihren Augen weg." O wie schauen sie unverwandt Ihm nach gen Himmel! Wie hängt ihr Blick festgebannt an der Wolke, die Ihn ausgenommen hat! Kaum scheinen sie die Gegenwart der zwei himmlischen Boten zu bemerken. Doch horch, diese sagen zu ihnen: „Dieser Jesus, der von euch in den Himmel ausgenommen ist, wird also kommen, wie ihr ihn habt auffahren sehen."

Worauf bezogen sich diese Worte? Auf den Tod? gewiss nicht, sie könnten unmöglich so ausgelegt werden. Nein, sie wiederholen nur dieselbe kostbare Wahrheit, welche Christus selbst in Joh. 14. ausgesprochen hatte, die Wahrheit nämlich Seiner persönlichen Wiederkunft.

1. Thess. 3,12. 4,1. 9.10.

Es ist sehr interessant zu sehen, wie der Apostel die Worte „zunehmen", „überströmen" hier gebraucht, und es ist zugleich wichtig, denn dieselben zeigen uns, dass es hienieden für das Wachstum und die Fortschritte des Gläubigen keine Grenze gibt. Man hört zuweilen von Vollkommenheit oder Heiligkeit sprechen als einem Ziel, das in dieser Wett erreicht werden könnte, während die flüchtigste Bekanntschaft mit Stellen, wie die angeführten, uns zeigt, dass solche Lehren nicht von vom Worte Gottes unterstützt werden. Der Apostel sagt: „Euch aber mache der Herr völlig und überströmend in der Liebe gegeneinander" u. s. w. Wo wäre die Grenze für dieses „Überströmen" zu suchen? Und wiederum: „Übrigens denn, Brüder, bitten und ermahnen wir euch in dem Herrn Jesu, wie ihr von uns empfangen habt, in welcher Weise ihr wandeln und Gott gefallen sollt, wie ihr auch wandelt, dass ihr darin immer reichlicher zunehmet" (Kap. 4, l). Diese Gläubigen waren belehrt worden, wie sic wandeln sollten, um Gott zn gefallen, ja sie wandelten in der Tat nach Gottes Wohlgefallen, lind doch sollten sic nicht damit zufrieden sein, sie sollten darin „immer reichlicher zunehmen." Ebenso sehen wir Kap. 4, ll. 10, dass sie von Gott gelehrt worden waren, einander zu lieben, und sie zeigten auch diese Liebe „gegen alle die Brüder in ganz Makedonien." Und dennoch fügt der Apostel wiederum hinzu: „Wir ermahnen euch aber, Brüder, immer reichlicher zuzunehmen." Sowohl also in der Liebe gegeneinander und gegen alle, als auch in einem Gott wohlgefälligen Wandel sollten sie stets reichlicher Frucht tragen, und nicht ein einziger dieser Heiligen hätte je sagen dürfen: Ich habe das Ziel erreicht, das Gott uns gesteckt hat, ich habe es „ergriffen", ich genieße nun die Vollkommenheit. Die Antwort auf solch eitle Einbildungen würde sofort sein: Zu welchem Ziel du auch gelangt bist, du sollst „immer reichlicher zunehmen." Wie könnte es auch anders sein, wenn Christus selbst in Seiner unendlichen Liebe gegen uns unser Beispiel ist, und wenn außerdem noch geschrieben steht: „Wer da sagt, dass er in Ihm bleibe, der ist schuldig, selbst auch so zu wandeln, wie Er gewandelt hat" (1. Joh. 2, 6). Zu glauben, dass man dies erreicht habe, kann nur daher kommen, dass man weder Ihn noch sich selbst erkennt.

Sehr schön ist es auch, des Apostels Gebet in Kap. 3, 12 in 2. Thess. 1, 3 erhört zu sehen, denn er sagt dort: dass er schuldig sei, Gott zu danken, „weil euer Glaube sehr wächst und die Liebe eines jeglichen von euch allen gegeneinander überströmend ist." Doch selbst in einem solchen Fall ist, angesichts der Liebe Christi, die alle Erkenntnis übersteigt, das Streben, „reichlicher zuzunehmen", stets noch unsre Aufgabe.


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