JND- Ein Brief an eine Freundin beim Tode ihres Kindes


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Liebe Schwester im Herrn!

Ihnen und Ihrem lieben Manne sage ich hiermit herzlichen Dank für den mir zugesandten Bericht von dem Unfall, dem Ihr teures Kind zum Opfer fiel. Es ist in der Tat eine schmerzliche Prüfung, ein Wesen, das einen Teil von uns selbst bildet, so unerwartet mit einem Schlage hinweggerafft zu sehen. Doch wie ganz anders nimmt sich alles dieses aus, wenn man auf die Liebe des Herrn blicken kann und glauben darf, dass ein solches Kindlein ein Gegenstand dieser Lieb, ist, wovon ich völlig überzeugt bin.

Das ist ein Trost, der Ihre veränderte Lage zu einer ganz anderen gestaltet. Die Erkenntnis der Liebe Gottes, welche sich sogar in dieses Tal des Todesschattens Eingang verschafft hat, hat auch für uns, die wir glauben, dessen ganze Finsternis mit den herrlichsten Strahlen erleuchtet; ja gerade die Finsternis dient nur dazu, uns zu zeigen, welch ein Gewinn und Trost es ist, ein solches Licht zu besitzen. Dann ist es Licht in dem Herzen; und wenn wir dieses reine Licht haben, so kann es niemals recht dunkel bei uns werden.

Wir leben in einer Welt des Kummers und der Schmerzen; und je länger wir darin sind, ja je mehr wir in der Nähe des Herrn wandeln, desto besser werden wir sie als solche erkennen. Ich meine nicht, dass nicht manche unserer Kümmernisse Züchtigungen seien; wir wissen, dass sie das oft sind für die, welche Er am meisten liebt, wie wir das bei Hiob sehen. Alle außer Christus selbst dürfen durch sie Gnade um Gnade kennen lernen; und auch Er nahm teil an den Kümmernissen anderer, selbst wenn sie aus ihren eigenen Fehlern und ihrer Torheit hervorgegangen waren; denn Sein Mitgefühl war stets vollkommen und ist es, Gott sei Dank, heute noch.

Er litt z. B. um der Gerechtigkeit willen, und Er litt auch für die Sünde; aber außerdem empfand Er, indem Er in Gnade einen Platz unter dem gottesfürchtigen Überrest in Israel einnahm, alles das, was jener Überrest über den Zustand des Volkes Israel (von dem Er ja einen Teil ausmachte) unter der züchtigenden Hand Gottes fühlte. Alles das empfand Er, wie kein anderer es empfinden konnte. Und Sein' Mitgefühl ist auch jetzt noch ebenso vollkommen, obwohl Er sich jetzt nicht mehr in den schmerzlichen Umständen befindet, die Ihn befähigt haben, dieses Mitgefühl auch mit uns in unseren Prüfungen zu teilen (Hebr. 2,18; 4,15.)

Zudem haben wir nur an dem Teile zu leiden, der des Zerbrochen- und Zurechtgebrachtwerdens bedarf. Eine angetastete Zuneigung ist, vorausgesetzt dass Christus im Schmerze bei uns ist, unendlich kostbar, und wenn es auch die Kostbarkeit des Schmerzes ist. Nur wenn der eigene Wille sich mit dem Schmerze vermengt, ist Bitterkeit darin; es ist dann ein Leiden, worin Christus nicht zu finden ist. Alles dies aber ist uns sehr nützlich und notwendig.

Der Herr hat Ihren lieben Kleinen zu sich in den Himmel genommen (für ihn ist das sicherlich kein Verlust); was hat nun Gott mit dieser Seiner Handlungsweise uns, den Herzen der dadurch zunächst betroffenen, zu sagen? Er, der die mütterlichen Gefühle gegeben hat, weiß auch, was sie sind. Er weiß, was Er verwundet hat, und weiß auch warum; Er hat eine Liebesabsicht dabei. In unserm Innersten schlummert eine Unmenge von Dingen, deren wir uns gar nicht bewusst, und die noch nicht in die rechte Unterwürfigkeit unter Gott gebracht sind; sie wirken da, und kommen oft ganz unerwartet zum Vorschein. Dann greift Gott bei uns ein — o wie vieles hat Er uns dann zu zeigen! wie viele Bande zerreißt Er mit einem Schlage! Die innigsten Verbindungen von Empfindungen und Zuneigungen werden angetastet, so dass wir fühlen, welchen Platz der Tod auch in ihnen hat.

Ich darf wohl sagen, dass ich nie eine Familie gesehen, die nach dem ersten Todesfall genau dieselbe gewesen wäre wie vorher. Es war eine Lücke in dem Kreise entstanden, eine Bresche war hineingelegt worden. Alles, was den Zuneigungen und dem Leben dieser Welt angehörte, war angetastet und — als sterblich erfunden worden; es war seinem innersten Wesen nach getroffen. Das Leben nahm dann seinen gewöhnlichen Lauf; die Wogen hatten sich über dem Gegenstand geschlossen, der hineingeworfen worden war — jedoch die Tatsache bleibt, der Tod und die Zuneigungen, die dieser Welt angehören, waren einander begegnet.

Aber alles das ist gut; denn der Tod ist in die Welt gekommen. Überdies leben wir in diesen Dingen, unser Wille lebt in ihnen; und wenn der Wille erst gebrochen ist, dann ist er, soweit dieser Bruch geht, für alles gebrochen. Wir lernen uns dann mehr auf das stützen, was niemals bricht — dabei gehen wir nicht etwa unserer Zuneigungen verlustig, sondern sie werden mehr von Christus beherrscht und weniger von dem Willen unserer eignen Natur; denn die Natur muss ebenso wie die Sünde selbst in den Tod. Der Herr macht nun nie einen solchen Bruch, es sei denn um hierdurch Seele und Herz mehr zu sich selbst zu ziehen; und sicherlich ist es all den Schmerz, der je gefühlt wurde, und mehr als das wert, wenn wir dadurch nur den geringsten Bruchteil mehr von Seiner Liebe und damit auch von Ihm selbst kennen lernen. Nichts kommt dem gleich, und nichts Ihm selbst; und was wir so lernen, bleibt in Ewigkeit.

Außerdem vollbringt Er auf diese Weise ein sehr nützliches Werk an unserm Herzen; wir empfangen so eine größere Fähigkeit, Ihn zu erkennen, uns Seiner zu erfreuen und Gemeinschaft mit Ihm zu pflegen, eine größere Fähigkeit, uns in Gott zu erfreuen und Ihn zu verstehen, sowie das zu erkennen und seinem Werte nach zu erfassen, woran Er Wonne hat. Unsere sittliche Fähigkeit, an dem Gefallen zu finden, was in sich vortrefflich ist, wird vermehrt. Wir verstehen so wenig, zu welch hohen und erhabenen Dingen wir berufen sind. O, dass die Gläubigen es besser verständen, bei Gott zu sein, Gemeinschaft und gemeinsame Freude mit Ihm zu haben! Manche besitzen ja schon hienieden viel davon. Alles das steht uns offen; aber alles, was der Natur und dem eignen Willen seinen Ursprung verdankt, kann keinen Teil hieran haben; und wie oft leben die Gläubigen, wenn sie auch den Herrn nicht unmittelbar verunehren, in dem, was von Natur ihrem Wesen entspricht. Dann beschäftigt sich der Herr mit ihnen, „um den Menschen von seinem Tun abzuwenden, und auf dass Er Übermut vor dem Manne verberge". (Hiob 13, 17.)

O wie gut ist es, wenn der Übermut wirklich vor uns verborgen wird! Und wie vollkommen wird er verborgen, wenn Gott anfängt, mit uns zu handeln, und uns in Seine Gegenwart bringt, welche Mittel Er auch dazu gebrauchen mag! Er kennt die Triebfedern unserer Herzen und weiß, sie zu berühren. Aber welch eine Gnade ist es, dass Er täglich so beständig auf uns acht hat! „Er zieht Seine Augen nicht ab von dem Gerechten", lesen wir in Hiob 36, 7. Welch ein Gott ist es doch, mit dem wir es zu tun haben! und dies ausschließlich in Liebe! Wenn der Sturm ganz vorüber ist, wird die Herrlichkeit, für die Er uns zubereitet, ihren Glanz unverhüllt ausstrahlen. Und was wird diese Herrlichkeit sein? Er selbst, den wir in all Seiner zärtlichen Fürsorge erkannt haben. Wenn wir dereinst in dem Glanze Seiner Herrlichkeit sind, so wird die Herrlichkeit Gottes alles erleuchten. Und das Lamm wird Seine Leuchte sein. Wir werden bei dem Sohne sein, bei Jesu, und Ihm gleichgestaltet, werden wir uns mit Ihm in alldem Glanze und der göttlichen Gunst erfreuen, die sich über Ihn ergießt. O wie herrlich ist diese Liebe, die Liebe Jesu, kraft deren wir dann für immer mit Ihm dorthin versetzt sind, und die uns in den vollen, gesegneten Genuss derselben einführt!

Mein inniges Gebet ist, dass diese Trübsal für Sie beide und für alle Ihre geliebten Kinder von Segen sein möge, damit auch sie erkennen, wie nahe der Tod ist, aber wie doch der Herr noch viel näher ist. Geben Sie Ihrem lieben Manne die Zusicherung meines innigsten Mitgefühls. Der Schmerz eines Vaters ist, wenn auch von anderem Charakter, nicht weniger tief als der einer Mutter.

Sie müssen erwarten, dass im Laufe der Zeit das gegenwärtige Gefühl des Verlustes an Stärke abnehmen, ja in gewissem Sinne sogar verschwinden wird. Die zärtliche Erinnerung an Ihr Kindlein wird zwar nie ganz erlöschen, aber deren Charakter wird sich ändern, und Ihre noch lebenden Kinder sowie die täglichen Beschäftigungen werden dahin wirken, dass diese Erinnerung Sie nicht mehr so ausschließlich beschäftigt. Das ist ganz natürlich und in gewissem Sinne auch richtig. Bestehende Pflichten haben ihren Platz, so dass es Gefühlen und Zuneigungen nicht eingeräumt werden darf, das Herz zu sehr in Anspruch zu nehmen. Was ich Ihnen recht angelegentlich empfehle, ist, aus den Augenblicken, wo der Eindruck und die Wirkung des Geschehenen stark ist, Nutzen zu ziehen, indem Sie vor Gottes Angesicht gehen und all die Früchte Seiner Wege und Seiner zärtlichen Gnade pflücken. Es sind dies Zeiten, wo Er das Herz erforscht und uns zu

gleicher Zeit Seine Liebe offenbart. Möchten Sie durch dieses für das Herz einer Mutter so schmerzliche Ereignis an dem inneren Menschen reichlich wachsen und zunehmen.

Ihr Ihnen in Christus ergebener,

JND


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