JND- Der Wunsch des gefangenen Paulus


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(Nach einem Vortrag)

„Paulus aber sprach: Ich wollte zu Gott, dass über kurz oder lang nicht allein du, sondern auch alle, die mich heute hören, solche würden, wie auch ich bin, ausgenommen diese Bande." (Apstgsch. 26, 2S.)

Es ist viel, liebe Freunde, also reden zu können. Der Apostel konnte das von ganzem Herzen den ihn Umgebenden sagen. Agrippa hatte zu ihm gesagt: „In kurzem überredest du mich ein Christ zu werden." Und hätte Paulus ihm geantwortet: „Wollte Gott du wärest es!" so wäre diese Antwort gewiss gut und der christlichen Liebe entsprechend gewesen, aber sie würde uns nicht so sehr den inneren Herzenszustand des Apostels enthüllt haben, wie jene, welche er gab. Sein von Freude erfülltes Herz konnte für sie nichts Besseres wünschen. Es war die Macht der Liebe, dies ist einem wahrhaft glücklichen Herzen ganz natürlich; es kann nicht anders.

Der Apostel wurde gedrängt eben das zu sagen, was er wohl wusste, was sein Herz, das sich Gottes rühmte (Röm. 5. 11), bewegte. Er war so glücklich, dass er anderen nur das gönnen wollte, was er in seiner Seele selbst genoss. Wahre göttliche Freude will anderen stets nur Gutes und ist voller Liebe gegen alle Menschen. Aber noch wehr; dieser Wunsch des Apostels zeigt, wie gesagt, seinen Herzenszustand trotz der misslichen Lage, in welcher er sich befand. Trotz seiner Gefangenschaft, welche nun schon mehr als zwei Jahre gedauert hatte, war sein Herz vollkommen glücklich; es war ein Glück, über welches er sich auch verantworten konnte, und darum wünschte er, dass alle, die ihn hörten, der König miteinbegriffen, solche würden, wie auch er war, ausgenommen seine Kette.

Solches ist die Wirkung, die in einer Seele hervorgebracht wird, welche das Christentum voll und ganz aufnimmt. Eine solche Seele besitzt ein Glück, welches nichts mehr zu wünschen übriglässt, welches aber stets jene Energie der Liebe begleitet, die will, dass auch andere sein möchten wie sie selbst. Außerdem sehen wir hier, dass dies ein Glück ist, welches durch äußere Umstände unberührt bleibt. Die ganze äußere Lage des Apostels war gewiss schlecht dazu angetan, ihm Freude zu bereiten.

Er hatte aber schon lange vorher mit Banden und Trübsalen gerechnet, und nahm daher keine Rücksicht auf sein Leben, als teuer für ihn selbst, auf dass er seinen Lauf vollende und den Dienst, den er von dem Herrn Jesu empfangen hatte, zu bezeugen das Evangelium der Gnade Gottes. (Apstgsch. 20.)

Infolge der Gewalttätigkeit der Juden in Jerusalem war Paulus ergriffen und in das römische Lager in Sicherheit gebracht worden. Man hatte ihn dann von einem Richterstuhl zum anderen geführt. Zwei Jahre lang lag er nun schon in der Gefangenschaft und musste sich schließlich auf den Kaiser berufen. Er war ein Mann, von dem man hätte denken können, dass er des Lebens müde war. Durch all das, was über ihn gekommen, müsste das Herz gebrochen und der Mut erschüttert sein. Aber keine Spur davon! Er spricht vor dem Gerichtshof von seiner Absicht bei seiner damaligen Reise nach Jerusalem, aber erwähnt seine Leiden mit keinem Wort. In allem hatte er sich nur geübt, „allezeit ein Gewissen ohne Anstoß zu haben vor Gott und den Menschen." Die schwierigen Umstände des Weges waren in seinen Augen hier nicht der Erwähnung wert; sie konnten sein Herz nicht beeinflussen. Er war glücklich in seiner Seele, und wünschte anderen nichts sehnlicher als dasselbe Glück. Freilich war er mit Ketten gebunden, aber das Eisen dieser Ketten drang nicht in seine Seele: Gottes Freigelassener kann nicht gekettet werden. Und er begehrte nichts mehr für andere, als diese völlige Freimachung durch den Herrn. Mehr konnte er nicht wünschen, als dass alle so würden, wie auch er war, seine Fesseln ausgenommen,

Wir wollen nun forschen, woher dieses Glück, diese Ruhe, die nichts zu wünschen übriglässt, kommt. So lange uns noch etwas zu wünschen übrig bleibt, mögen wir wohl bis zu einem gewissen Punkte Freude haben, aber wir haben keinen beständigen Frieden. In Paulus konnte man ein vollkommenes Glück sehen; und in diesem Glück offenbarte sich eine ungetrübte, inbrünstige Liebe. Er war ohne Zweifel noch nicht zur Vollendung gelangt, wie er auch selbst sagte: „Ich halte mich selbst nicht dafür, es ergriffen zu haben;" aber Glück und Liebe waren schon sein Teil. Er besaß ein vollkommenes Glück, und als er vor „Königen und Statthaltern" stand und von all ihrem Pomp und Glanz umgeben war, da wünschte er ihnen, dass sie so würden, wie er war. Und sein Zeugnis war so überwältigend, dass Agrippa zu ihm sagte: „In kurzem überredest du mich, ein Christ zu werden."

Vielleicht sind solche hier unter uns, deren Umstände niederdrückend und deren Herzen mit Schmerzen durchbohrt sind. Nun, nach seiner äußeren Lage zu urteilen war Paulus der „elendeste von allen Menschen;" nicht allein musste er selbst leiden, sondern es war zu Ende mit seinem Werke. Er konnte sich nicht mehr mit dem befassen, was die teure Herde des Herrn betraf. Menschlich gesprochen hatte er allen Grund sein Los zu beklagen, aber stattdessen war er ein Muster der Glückseligkeil. Das, was er in seiner Seele genoss, war eben ganz unabhängig von den äußeren Umständen; diese hätten ihn nicht glücklich machen können.

Manche meinen, dass, wenn nur ihre Umstände sich anders gestalteten, sie dann auch glücklich sein würden. Aber dies hätte Paulus nicht das Glück verschaffen können, welches sein Herz erfüllte. Gott allein war die Quelle, aus welcher er es geschöpft hatte. Wohl mag uns Kummer begegnen auf unserem Wege; aber dadurch sollte doch das Glück, von dem wir gesprochen haben, nicht gestört werden. Und wir bedürfen, liebe Freunde, die Festigkeit dieses Glückes; denn wer die Umstände dieses Lebens ein wenig kennt, der weiß, dass Kümmernisse nie fehlen.

Vor seiner Bekehrung besaß Paulus selbstredend dieses Glück nicht. Seine bevorzugte Stellung als Jude konnte es ihm nicht geben. Er hatte wohl als Mensch ein gutes Gewissen, aber kein wirkliches Licht von Gott, und so meinte er viel Widriges gegen den Namen Jesu des Nazaräers tun zu müssen. (Verse 9 und 10.) Das Gewissen wird oft gerade durch die religiöse Erziehung abgestumpft; und so war es in seinem Fall. Er gegensetzte sich Christus nach Kräften und dazu mit einem guten Gewissen! Mit gutem Gewissen ließ er sich die denkbar größte Ungerechtigkeit zu Schulden kommen. Im Übrigen war er in der Religion seiner Väter wohl unterrichtet, ein „Pharisäer nach der strengsten Sekte," der sich im Judentum durch seine Tätigkeit und seinen Eifer ganz besonders hervorgetan hatte. Er hatte zu den Füßen Gamaliels gesessen, stand, als er nach Damaskus zog, unter der Leitung des Hohenpriesters, und doch befand er sich im offenen Kampf mit dem Herrn Jesu! Trotz unserem Gewissen, unserer Religion, unserer Gelehrsamkeit und der Anerkennung der religiösen Führer der Welt, können wir also in direktem Gegenspruch mit dem Herrn stehen.

Wir können uns all dieser Vorzüge erfreuen und trotzdem ganz bankrott vor Gott dastehen; und das ist eine schreckliche Sache, umso schrecklicher, als die Dinge, die wir so hochschätzten, uns nicht nur keine Stütze find, sondern im Lichte Gottes sich als Werkzeuge erweisen, durch welche unsere Seelen verblendet wurden. Obwohl Paulus ein gutes Gewissen hatte, fromm war und von weisen Männern geleitet wurde, brachten ihn alle diese Vorteile schließlich nur dazu, in offenem Kampf gegen Gott aufzutreten. Manche rühmen sich, dass niemand ihnen etwas nachsagen könne, aber eine andere Sache ist es, wenn wir entdecken, dass alles dieses nur dazu gedient hat, uns zu Gegnern Christi zu machen.

Das Fleisch hat sowohl seine Religion, als auch seine Gelüste; es bietet alles auf, um das Gewissen an einer wirklichen Begegnung mit Gott zu hindern, Saulus war als ein natürlicher Mensch mit sich selbst zufrieden, und mit seinen guten Werken meinte er seine Sache in bester Ordnung vor Gott zu haben. So machen es viele. Die Religion, welcher sich das Fleisch bedienen kann, wird in die Waagschale geworfen, und man meint, so das nötige Gewicht erreichen zu können. Wenn das Gewissen dem Menschen sagt: „Du bist nicht ganz das gewesen, was du hättest sein sollen", so kommt die Religion, fügt ihre Formen und Zeremonien, die das Fleisch erfüllen kann, hinzu, wirft das Ganze in die Waagschale, und dann ist es gut. Aber das ist nicht der Glaube, denn dieser hat es mit Gott zu tun. Vor Gott hat man keine Religion, sondern nur ein von Sünden überführtes Gewissen. Wenn wir zum ersten Male in die Gegenwart Gottes kommen, so fühlen wir zu sehr das Gericht, dem wir verfallen sind, als dass wir an unsere Religion denken können. Weltliche Frömmigkeit ist nur da dienlich, wo wir ihrer nicht bedürfen. Im Bedürfnisfalle, d. h. in der Gegenwart der Gerechtigkeit Gottes, erweist sie sich als null und nichtig; es zeigt sich dann, dass sie nur die ganze Zeit dazu gedient hat, uns unsere Not als Sünder zu verbergen.

Was machte nun Paulus so glücklich? Es war ohne Zweifel die Wahrheit Gottes, aber zuerst hatte er das soeben Erwähnte au sich erfahren müssen. Als der Herr ihm auf dem Wege nach Damaskus begegnete, entdeckte er, dass er im offenen Gegenspruch mit Gott stand. Bis dahin war er zufrieden mit sich gewesen, aber nun war es mit alle dem aus. Der Herr Jesus erschien ihm in Herrlichkeit, und Saulus wurde von der Sünde überführt. So tief waren nun die Übungen seiner Seele, dass er während drei Tage weder aß noch trank! Gewiss war er da noch nicht in der Lage, sagen zu können: „Ich wollte, dass alle, die mich heute hören, solche würden, wie ich bin."

Darauf sendet ihn aber der Herr nach Damaskus, damit er dort das Wort der Wahrheit hören möchte, und nach dreitägiger tiefster Seelenübung, welche durch die Überzeugung hervorgerufen wurde, dass dieser Jesus, gegen den er mit solcher Wut gekämpft hatte, der Herr war, schickt dieser selbige Herr den Ananias zu ihm; und nun sehen wir, wie gründlich Pauli Bekehrung war. Aus einem Feinde wird er ein Freund Jesu und dazu der Apostel der Gnade! Dies war das Werk Gottes: aus dem Verfolger „Saulus" macht Er einen „Paulus", den mächtigsten Zeugen von der Liebe Jesu.

Paulus war ein gewissenhafter Mann und ein Eiferer für die Religion seiner Väter gewesen; aber trotz aller Gewissenhaftigkeit und Religion war er ein Feind Gottes. Er war der erste der Sünder gewesen, wie er auch selbst gesagt hat. Und doch wurde er in drei Tagen der ausgezeichneteste Apostel der Gnade! Wie kam es? Ganz einfach. Er war mit Jesu bekannt geworden. Es konnte sich nicht mit einem Male zeigen, was er sein würde, denn er war ganz entsetzt gewesen, als er erkannte, dass er dem Gericht des Todes verfallen war; aber er hatte in seinem Herzen die Stimme Jesu vernommen.

Ob Jude oder Heide, das bleibt sich ganz gleich. Die Seele muss von allem entblößt, das Gewissen von der Sünde überführt werden, und der Mensch muss verstehen lernen, dass die Religion des Fleisches nur Feindschaft gegen Gott ist. Dieses Überführtwerden von der Sünde findet nicht bei allen in derselben Weise statt - die Umstände sind ja bei den einzelnen Seelen verschieden, aber immer muss die Seele ihre Nacktheit vor Gott erkennen, und Christus muss ihr Seine Beziehungen zu den Seinigen offenbaren.

Es gibt unscheinbare Christen, welche von solchen, die in der religiösen Welt in Ansehen sind, geschmäht und selbst mit beleidigenden Titeln belegt werden; nun, gerade diesen wegen ihres Glaubens verachteten und geschmähten Personen offenbart der Herr Seine innigen Beziehungen zu den Seinigen. Die Offenbarung, welche Er dem Paulus machte, war eben die, dass die Seinigen mit Ihm eins sind. Er sagte gleichsam: jene Menschen, die du verfolgst, das bin Ich. Paulus steht die Herrlichkeit und fällt zu Boden. Kein Zweifel, der da redete, war der Herr. Aber dieser Herr war Jesus, welcher ihm zeigte, dass er Ihn verfolgte, indem er die Christen verfolgte. „Ich bin es," sagt Jesus, „den du verfolgst."

Es gab auch in jenen Tagen bei den Christen Verschiedenheiten im Glauben, Ausharren und der Gottseligkeit; aber Jesus trägt die Seinigen stets auf Seinem Herzen. Sie sind eins mit Ihm. Er sagte: „Ich bin Jesus, den du verfolgst", und eine völlige Umwälzung fand in dem gelehrten, religiösen und verfolgenden Paulus statt.' Je mehr Fleischesreligion bei uns vorhanden ist, desto größere Gegner Jesu sind wir. Je schöner die Außenseite ist, je ehrenhafter und rechtschaffener ich mich Hinstelle, desto mehr, ja genau so viel mehr, bin ich ein Feind Gottes und ein Gegner der in Jesu geoffenbarten Gnade. Ein Mensch, der sich in der Sünde wälzt, wird sich nicht anmaßen, der Freund Gottes zu heißen, oder vorgeben mit Ihm versöhnt zu sein.

Doch was diejenigen betrifft, welche an Ihn geglaubt haben, so betrachtet Christus sie als mit Ihm eins gemacht. Unter denen, die hier in diesem Raum sind, gibt es solche, welche glauben, und andere, die nicht glauben. Unter ersteren sind ohne Zweifel, was Geistlichkeit betrifft, große Unterschiede vorhanden; aber ich kann von allen sagen: sie sind eins mit dem Herrn Jesu, und diese einfache Wahrheit, das Einssein mit Ihm, der in der Herrlichkeit ist, verändert alles.

Paulus wurde später bis in den dritten Himmel entrückt und empfing kostbare Offenbarungen. Als der Herr ihm aus dem Wege nach Damaskus begegnete, hatte er noch viel zu lernen und große Fortschritte zu machen; denn er hielt sich sogar noch für verloren, bis Ananias ihm verständlich machte, was der Herr mit ihm vorhatte. „Der Gott unserer Väter hat dich zuvor verordnet, Seinen Willen zu erkennen und den Gerechten zu sehen und eine Stimme aus Seinem Munde zu hören. Denn du wirst Ihm an alle Menschen ein Zeuge sein von dem, was du gesehen und gehört hast." (Apstgsch. 22, 14. 15.) Doch von dem Augenblick an, wo er in Wahrheit den Herrn Jesus kennen gelernt hatte, war er eins mit Ihm.

Mochten denn auch die Umstände des Paulus sein, wie sie wollten, sei es in Jerusalem oder in Cäsarea, vor Festus oder vor dem Kaiser, er konnte sagen: „Ich möchte wünschen, dass ihr alle solche wäret wie ich bin, ausgenommen diese Bande"; denn er wusste, was er in Christus besaß. Es handelte sich um diese Wahrheit, das Einssein mit Christus. Selbstredend hatte Paulus noch viel von dem Herrn zu lernen, aber trotzdem war er eins mit Ihm; er hatte verstanden, dass er, indem er die Gläubigen, die Geliebten Jesu, verfolgte, Jesus selbst verfolgte. Der Herr hatte gesagt: „Was verfolgst du mich?" Je näher wir dem Herrn Jesu sind, desto besser werden wir verstehen, dass, wer seine Brüder antastet, der „tastet seinen Augapfel an."

Ich möchte noch einige Worte darüber hinzufügen was es ist, in Christo zu sein. Von Natur ist alles, was in uns ist: unsere Religion, unsere Werke, unser ganzes Wesen, Feindschaft gegen Gott, so daß es unmöglich ist, in diesem Zustande Gott zu gefallen. Es ist traurig, daß es so mit uns steht; aber es ist die Wahrheit. Paulus erkannte sie auch an. Er legte fortan dem keinen Wert mehr bei, was er einst für „Gewinn" gehalten hatte; im Gegenteil er achtete es für „Dreck". Aber er verstand auch, daß durch den Glauben alle Christen ein Leib in Christo sind; und im Glauben nahm er seinen Platz gemäß dieser Wahrheit mit ihnen ein. Er fragte sich nicht, ob er Glauben habe; er stellte auch keine gelehrte Untersuchungen über die Frage an: Was ist Glaube? sondern er wurde ein Christ, weil er glaubte, daß die Christen eins mit dem Herrn sind. Und gerade das ist das Leben und die Freude unserer Seelen; wir lernen verstehen, daß Christus gesagt hat: Du bist eins mit mir. Das ist mehr als die Beantwortung der Frage, ob ich Glauben habe.

Jesus kam in diese Welt um den Willen Gottes auszuführen, sowie den Menschenkindern das tiefe Interesse zu offenbaren, welches Gott an ihnen nahm, so daß wenn ich jetzt im Glauben zu Christo komme, ich das in Ihm finde, was mein ganzes Mißtrauen wegnimmt; denn Er läßt mich verstehen, daß Er mich durch uud durch kennt. Er kennt meine Sünden besser als ich; deshalb ist mein Herz frei, weil Er eben alles weiß und doch gekommen ist zu retten. Ich finde in Ihm dann wahre Freiheit, Gnade und unendliche Güte.

Ferner: indem ich nunmehr weiß, daß Er Gott ist, kenne ich Ihn als Heiland-Gott. Und welch eine Umwälzung findet in der Seele statt, welche weiß, daß sie es mit dem Gott zu tun hat, der Liebe ist und Sich nie verleugnet! Er ist nicht gekommen, um mir zu helfen, sondern um mich zu erretten. Und wie außerordentlich kostbar ist die Tatsache, daß, wenn ich dem Menschen Jesus begegnet bin, ich Gott begegnet bin. Ich bin eins mit Ihm, nicht auf dem Kreuze (dort hat Er meinen Platz eingenommen), sondern in all Seinen Vorrechten- Er hat meine Sache als Sünder auf Sich genommen und Sich selbst als Sühnopfer für die Sünde hingegeben. Gott kann mich nicht noch einmal belangen in Sachen meines Heils; Christus hat für mich im Gericht gestanden, und ich bin nun eins mit Ihm, der im Himmel ist.

Satan hat alles getan, was er tun konnte, aber seine Macht ist nunmehr für mich vernichtet. Nichts ist mehr da, was mich vor Gott beunruhigen könnte. In Seiner Gegenwart gibt es nur eine Quelle des Lebens und der Freude für mich. Ich finde alles in Jesu, in welchem „die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt". In Ihm finde ich Gnade für jedes meiner Bedürfnisse; Er ist meine Gerechtigkeit und meine Kraft.

Die Gerechtigkeit Gottes ist an die Stelle der menschlichen Gerechtigkeit getreten. Christus ist das Haupt aller Dinge geworden, und ist zur rechten Gottes verherrlicht als Folge des Sühnungswerkes, welches meine Sünden getilgt hat. So ist die ganze Fülle geoffenbart, und Jesus sagt, daß ich eins mit Ihm bin. Dann hat Er uns den Heiligen Geist gegeben, um uns dies zum Bewußtsein zu bringen. Christus hat von den Seinigen gesagt: Das bin ich. Wir haben nun zu untersuchen, was Christus ist, und zugleich unsere Freude daran zu finden, daß wir zu offenbaren suchen, was Er ist, da Er ja von den Seinigen gesagt hat, daß sie mit Ihm eins seien.

Der Heilige Geist ist uns gegeben worden, um das „Siegel" und das „Unterpfand des Erbes" zu sein. Wenn wir nun den Heiligen Geist haben, so find wir durch Ihn aufs innigste mit Christo verbunden, der uns als „Fleisch von Seinem Fleische" betrachtet, welches Er auch nährt und pflegt. Vielleicht muß Er es zuweilen ein wenig verwunden, aber das tut Er nur, weil Er es nicht vernachlässigen kann, da es eben Sein Fleisch ist. Und der Heilige Geist macht uns auf alles das aufmerksam, was an uns Jesu nicht entspricht, eben weil wir eins mit Ihm, ja, Sein Leib sind; und je mehr wir uns in Seiner Nähe aufhalten, desto schärfer wird unser Blick für alle diese Dinge werden. Um sich in völligem Maße des Vorrechtes, eins mit Jesu zu sein, erfreuen zu können, so daß das Herz vor Freude überströmt in dem Bewußtsein und Genuß dieses gesegneten Verhältnisses, muß der Heilige Geist in uns ungehindert und ungetrübt sein. Wäre das Herz des Apostels in dieser Beziehung nicht völlig frei gewesen, so hätte er, ungeachtet der Tatsache seines Einsseins mit Christo, nicht sagen können: „Ich wollte zu Gott, daß alle, die mich heute hören, solche würden, wie ich bin." Sein Verstand möchte die Wahrheit Vielleicht erkannt haben, aber sein Herz würde solche Worte nicht durch den Heiligen Geist haben aussprechen können. Wir sehen aber, daß der Heilige Geist weder durch Bande noch Trübsale unterdrückt wird. Nichts konnte Paulus hindern, „die Gnade, die in Christi Jesu ist", zu genießen. Er konnte sich glücklich nennen in jeder Lage, inmitten der schwierigsten Umstände, und seinen Zuhörern sagen: „Ich wollte, daß ihr alle solche würdet, wie auch ich bin."

Was würde wohl unsere Antwort auf die Bemerkung des Agrippa: „In kurzem überredest du mich, ein Christ zu werden", gewesen sein? Hätten wir mit den Worten des Apostels antworten können, oder würden wir gesagt haben: „Wollte Gott, daß du ein Christ würdest." Die Antwort des Apostels zeigt das innere Glück, welches er besaß. O, glücklich der Mensch, der also reden kann! Und alle Gläubigen können so reden in Christo; denn Christus hat von allen gesagt: Das bin ich. Aber wenn wir nicht in der Nähe des Herrn verharren oder mit anderen Worten, uns nicht in dem Zustand des Paulus befinden, find unsere Herzen nicht frei, also reden zu können.

Leider kann es manche Dinge in dem Leben eines Christen geben, welche Gott zwingen, ihn zu züchtigen, und in der Offenbarung Seiner Liebe in dieser Beziehung gibt es eine große Mannigfaltigkeit. Aber das ändert nichts an der Wahrheit, die wir berührt haben.

Der Christ sieht in Gott unendliche Güte. Er schaut in Christo die Gerechtigkeit Gottes, das Leben Gottes und die Herrlichkeit Gottes, ja, er sieht das, was ihn für eins mit Christo erklärt. Er besitzt ferner den Heiligen Geist, um den Herrn verstehen und sich stets in Ihm erfreuen zu können, und damit er durch dieses „Unterpfand" wisse, daß die Gemeinschaft mit Gott und das Glück, welches diese Gemeinschaft verleiht, für ewig sein sind. Ist es nun ein Wunder, wenn er mit einem Herzen voll göttlicher Liebe, ausruft: „Ich wollte, daß alle, die mich hören, solche würden, wie auch ich bin."

Das Eintreten in die Gegenwart Gottes räumt alles beiseite, was ein Mensch dem Aufwachen, und der Tätigkeit seines Gewissens hindernd in den Weg stellen mag. Vor Ihm, dessen Auge jeden Schleier, jede Bedeckung durchdringt, ist der Mensch mit all seiner Religion nackt und bloß. Und wenn einmal unser Gewissen erwacht, so wird alles das, was wir zwischen uns und Gott gestellt haben, was Ihn unseren Augen verbirgt: alle unsere Sorgen oder Vergnügungen, alle unsere eigene Frömmigkeit oder Gleichgültigkeit, zu einem Gegenstand des Abscheues für uns. Und wenn wir so zu Gott gebracht worden sind, kann Christus zu uns, zu dir und mir sagen: „Du bist eins mit mir; und Gott beschäftigt sich mit dir, eben weil du eins mit mir bist; gerade so wie Er einst im Blick auf Seine Jünger hienieden zu Paulus sagte: „Ich bin es, den du verfolgst". Möge Gott uns Gnade geben, geliebte Freunde, diese kraftvolle und für unsere Seele so gesegnete Wahrheit besser zu verstehen!


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